Jobcenter-Mitarbeiter: Bürgergeld ist wie Hartz IV – Es geht darum, Quoten zu erfüllen

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Die Abkehr von Hartz IV hin zu einem neuen Bürgergeldgesetz sollte einen positiven Wandel bringen. Dieser sei bis heute ausgeblieben, berichtet eine Mitarbeiterin des Jobcenters Dortmund. Nicht nur die Leistungsbezieher/innen hatten auf einen Wandel gehofft, sondern auch die Sachbearbeiter/innen in den Jobcentern.

Situation in den Jobcentern hat sich immer weiter verschlechtert

“Ich bin eine langjährige Mitarbeiter/in im Jobcenter Dortmund und möchte anonym bleiben”, beginnt der Brandbrief, den die Sozialberatungsstelle Tacheles auf ihren Seiten veröffentlicht hat. Seit mehreren Wochen und Monaten habe sich die Gesamtsituation in der Behörde immer weiter verschlechtert, ist darin zu lesen.

Mit der Einführung des Bürgergeldes habe sich nur der Name geändert – der erhoffte Wandel sei ausgeblieben, so die ernüchternde Bilanz der Mitarbeiterin. Immer mehr Mitarbeiter in den Jobcentern würden resignieren, innerlich kündigen oder sich tatsächlich einen neuen Job suchen.

Schlechte Personalsituation

Konkret kritisiert die Mitarbeiterin in erster Linie die Personalsituation. In vielen Teams (Arbeitsvermittlung, Sachbearbeitung, …) seien viele Stellen unbesetzt. Zudem seien viele Kolleg/innen bereits längere Zeit krankgeschrieben, was die Stellenbesetzung zusätzlich erschwere.

Diese Situation führe nun dazu, so die Mitarbeiterin des Jobcenters, dass weniger Sachbearbeiter/innen mehr Leistungsberechtigte betreuen müssten. Darunter leide nun auch die Betreuung der Leistungsbeziehenden. Die Qualität der Betreuung und Beratung könne nicht aufrechterhalten werden, was zu Stress und Unzufriedenheit auf beiden Seiten führe.

Gruppenveranstaltungen statt qualitative Betreuung

Der Betreuungsschlüssel sei daher sehr hoch. Allerdings sei eine sogenannte Kontaktdichte vorgegeben, die vor allem bei jungen Leistungsberechtigten unter 25 Jahren hoch sein müsse.

Eine Betreuung mit der vorgeschriebenen Kontaktdichte für junge Arbeitssuchende, wie sie der Gesetzgeber vorsieht, sei unter diesen Umständen nicht möglich. Um diese Situation zu “verschleiern”, werden Vermerke in die Akte aufgenommen: “KD nicht erreicht, kein neuer Sachstand”. KD steht dabei für Kunde.

Wenn die Kontaktdichtequote über einen längeren Zeitraum nicht stimmt, werden einfach Gruppeninformationstage organisiert, um möglichst viele Leistungsberechtigte auf einmal ins Jobcenter zu bekommen, damit die Quote wieder stimmt. Der inhaltliche Erfolg sei dabei eher überschaubar, so die Jobcenter-Mitarbeiterin.

Hauptsache Verteilung von Maßnahmen

In den wöchentlichen Besprechungen und Mails werde vor allem über die Verteilung der Maßnahmen gesprochen. Es werde offen kommuniziert, dass es weniger um die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen gehe, sondern darum, Listen zu füllen. Auch das tatsächliche Erscheinen der Bürgergeldempfänger sei eher zweitrangig. Wird die Anzahl der zugewiesenen Maßnahmen nicht erfüllt, wird von der Teamleitung Druck auf die Mitarbeiter im Jobcenter ausgeübt.

Sinnlose Maßnahmen schädigen dabei das Vertrauensverhältnis zwischen Leistungsberechtigten und Sachbearbeitern. Dies führt dazu, dass die Leistungsberechtigten die vermittelten Maßnahmen zunehmend ablehnen.

Weiterhin Vermittlungsvorang statt nachhaltige Betreuung

Mit der Einführung der Bürgergeldreform sollte die Weiterbildung Vorrang vor der Vermittlung in Arbeit haben. Doch daran hat sich nichts geändert. Abgesehen davon, dass Hartz IV in Bürgergeld umbenannt wurde und die Sanktionen nun gestaffelt sind, hat sich an der Funktionsweise nichts geändert. Stattdessen sind kurzfristige Erfolge, also die schnelle Vermittlung, wichtiger geworden.

Letztlich würde auch die Kommunikation zwischen den Abteilungen nicht gut funktionieren. Zudem sei die Kommunikation mit den “Kunden”, die eigentlich nicht mehr Kunden genannt werden dürfen, aber immer noch fast ironisch so bezeichnet werden, verboten worden.

Resignation und innerliche Kündigung

Durch diese Situation resignieren und verzweifeln immer mehr Mitarbeiter/innen in den Jobcentern und viele hätten innerlich bereits gekündigt. Der Brief wurde die Leitung der Bundesagentur für Arbeit und politisch Verantwortliche gesendet. Der Branbrief kann hier gelesen werden.

Viel Mut sich innerlich nicht zu verabschieden

Harald Thomé von der Sozialberatungsstelle “Tacheles” bedankte sich für den Brief. “Es gehört viel Mut dazu, sich eben nicht innerlich zu verabschieden, sondern den Diskurs zu suchen. Dafür herzlichen Dank.”

Das was in dem Brief geschrieben ist, sei nicht nur ein Problem des Dortmunder Jobcenters sonder bundesweites strukturelles Problem.
“Hohe Arbeitsüberlastung, Vorgaben die nur dazu da sind, Quoten zu erfüllen, keine auf den Einzelfall bezogene Integration und erst recht nicht ein Umgang auf Augenhöhe, sondern im Vordergrund steht das „Bedienen von Trägern“ bzw. Vollmachen von Plätzen oder „wahllose Maßnahmenzuweisung“. Alles aufgrund der Maßgaben aus Nürnberg, durch das Beratungskonzept Beko”, kritisert Thomé.

Anmerkung: Es ist nicht eindeutig, ob der/die anonym gebliebene/n Autor/in des Brandbriefes weiblich oder männlich ist. Wir haben uns aus stilistischen Gründen für die weibliche Form entschieden..

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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