Schwerbehinderung: Verbesserungen beim Verschlimmerungsantrag in 2025 – aber Vorsicht

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Wer seinen Grad der Behinderung (GdB) neu feststellen lรคsst, hofft gewรถhnlich auf zusรคtzliche Entlastungen.

Doch jeder sogenannte Verschlimmerungs- oder Neufeststellungsantrag รถffnet zugleich die Tรผr fรผr eine Herabstufung. Sozialgerichte bestรคtigen immer wieder, dass selbst kleinste Abweichungen in den Befunden den Verlust bereits gewรคhrter Punkte โ€“ und damit sogar des Schwerbehindertenstatus โ€“ nach sich ziehen kรถnnen.

Ein Urteil des Sozialgerichts Reutlingen aus dem Mรคrz 2024 verdeutlicht diese Gefahr: Dort blieb es nicht nur beim bisherigen GdB von 40, der Klรคger musste auch die Kosten des Verfahrens tragen, weil keine wesentliche Verschlechterung nachweisbar war.

In 2025 verรคndern sich einige Regeln, die man als Betroffener kennen sollte, wenn ein Verschlimmerungsantrag gestellt wird.

Neuregelungen im Behindertenrecht

Mit dem Jahreswechsel ist nicht nur ein weiteres Kapitel Sozialrecht in Kraft getreten. Seit 1. Januar 2025 gelten mehrere Neuregelungen, die auch denjenigen betreffen, die รผber einen Verschlimmerungs- oder Neufeststellungsantrag nachdenken.

Die jรผngste Reformwelle berรผhrt zum einen das Verfahren im Neunten Buch Sozialgesetzbuch, zum anderen die Versorgungsmedizin-Verordnung sowie einige Finanz- und Teilhaberegeln.

Wer heute eine Neubewertung seines Grades der Behinderung (GdB) anstrebt, muss deshalb genauer denn je prรผfen, ob Chancen und Risiken noch in derselben Balance stehen wie in den Vorjahren.

Die einschneidendste fachliche Neuerung ist die im Mai verabschiedete sechste ร„nderungsverordnung zur Versorgungsmedizin-Verordnung. Erstmals setzt der Gesetzgeber die UN-Behindertenrechtskonvention systematisch in Teil A der Grundsรคtze um.

Der klassische, rein medizinische Blick wird explizit um das biopsychosoziale Modell erweitert, das die Wechselwirkung von Funktionsbeeintrรคchtigung und Umweltbarrieren in den Mittelpunkt rรผckt.

Wer mehrere Gesundheitsstรถrungen hat, deren Auswirkungen sich รผberlagern, soll kรผnftig noch stรคrker als Einheit begutachtet werden.

Diese Modernisierung bedeutet jedoch nicht, dass die Einstufung automatisch groรŸzรผgiger ausfรคllt.

Die GdB-Tabellen in Teil B bleiben bis zur anstehenden groรŸen Revision unverรคndert; die Sozialverbรคnde rechnen deshalb vorerst nicht mit generellen Aufstufungen.

Fรผr Antragsteller bleibt es dabei: Jede Neubewertung kann auch nach 2025 zu einer Herabstufung fรผhren, wenn Gutachterinnen und Gutachter eine bessere Teilhabe-Situation feststellen oder medizinische Fortschritte stรคrker gewichten.

SGB IX 2025: verfahrensrechtliche Beschleunigung, keine neuen GdB-Kriterien

Zum 1. Januar trat zugleich ein Bรผndel kleinerer ร„nderungen im SGB IX in Kraft. Auffรคllig ist vor allem die Ausweitung des Kreises der Rehabilitationstrรคger: Mit der Soldatenentschรคdigung ist eine weitere Trรคgerschaft hinzugekommen.

Daneben stรคrkt der Reformtext in ยง 9 die Pflicht aller Reha-Trรคger, Leistungen zur Teilhabe gegenรผber Rentenleistungen vorzuziehen, und verankert in ยง 18 die Genehmigungsfiktion noch deutlicher.

Wer nach zwei Monaten keinen Bescheid erhรคlt, darf die beantragte Leistung als bewilligt ansehen โ€“ eine Regel, die in der Praxis Druck auf die Behรถrden ausรผbt, Fristen einzuhalten.

Fรผr Verschlimmerungsantrรคge selbst รคndert sich dadurch wenig: Sie bleiben fristlos mรถglich, doch die nachgelagerte Integration in den Gesamt-Reha-Prozess erfolgt jetzt schneller.

2025: hรถhere Freibetrรคge, stabile Pauschbetrรคge

Vorteile bzw. Ausgleiche sind fรผr viele der Hauptgrund, einen hรถheren GdB anzustreben. Hier lohnt ein Blick auf die neuen Zahlen.

Der Vermรถgensfreibetrag in der Eingliederungshilfe steigt auf 67 410 Euro, der Einkommensfreibetrag wurde ebenfalls inflationsbedingt nach oben angepasst.

Fรผr die Steuer hingegen bleiben die 2021 verdoppelten Behinderten-Pauschbetrรคge unverรคndert, sodass ein Sprung von GdB 50 auf 60 weiterhin โ€žnurโ€œ den Sprung von 1 140 auf 1 440 Euro bringt.

Wer kein zusรคtzliches Merkzeichen in Aussicht hat, gewinnt also nach wie vor meist wenig.

Mehr Barrierefreiheit, aber keine Auswirkung auf die Bewertung

Mit dem Barrierefreiheitsstรคrkungsgesetz mรผssen ab dem 28. Juni 2025 erstmals auch private Anbieter sicherstellen, dass viele alltรคgliche Produkte und Dienstleistungen fรผr Menschen mit Behinderung ohne Hรผrden nutzbar sind.

Fรผr den GdB-Bescheid zรคhlt das nicht unmittelbar, weil Hilfsmittel- oder Umweltanpassungen nach wie vor grundsรคtzlich auรŸer Betracht bleiben. Dennoch kann die neue Marktsituation dazu fรผhren, dass Gutachter bei kรผnftigen รœberarbeitungen der VersMedV prรผfen, ob bestimmte Funktionsverluste durch Technik kompensiert werden kรถnnen โ€“ ein weiterer Grund, Verschlimmerungsantrรคge mit Vorsicht zu genieรŸen.

Nutzen und Kosten sorgfรคltig abwรคgen

Ob ein hรถherer GdB im Alltag wirklich Vorteile bringt, hรคngt von mehreren Faktoren ab. Steuerlich lohnt sich eine Aufstufung nur, wenn mit dem neuen Wert ein hรถherer Pauschbetrag nach ยง 33b Einkommensteuergesetz erreicht wird. Fรผr 2025 etwa betrรคgt der Pauschbetrag bei 60 GdB 1 440 Euro, bei 70 GdB schon 1 780 Euro โ€“ erst ab diesen Schwellen spรผrt man einen deutlichen Unterschied.

Gleichzeitig bleiben viele Nachteilsausgleiche โ€“ etwa der besondere Kรผndigungsschutz oder der erleichterte Renteneintritt โ€“ bereits ab 50 GdB unverรคndert. Wer von 50 auf 60 klettert, aber kein zusรคtzliches Merkzeichen wie โ€žGโ€œ fรผr erhebliche Gehbehinderung erhรคlt, gewinnt daher oft wenig.

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Konsequenzen fรผr die Praxis

Unter dem Strich hat sich das Grundproblem nicht geรคndert: Eine Neufeststellung bleibt ein zweischneidiges Schwert, das 2025 lediglich in einen moderneren, etwas schnelleren Rechtsrahmen eingebettet ist.

Die Fragen lauten weiterhin, ob sich aus einem hรถheren GdB konkrete Vorteile ergeben, ob aktuelle und aussagekrรคftige Befundberichte vorliegen und ob die rechtliche Schablone der VersMedV โ€“ trotz ihrer Modernisierung โ€“ plausibel zu einem Plus statt zu einem Minus fรผhrt.

Erst wenn alle Antworten positiv ausfallen, ist der Schritt ins Antragsverfahren sinnvoll. In allen anderen Fรคllen gilt mehr denn je der Rat, sich vorab fachkundig beraten zu lassen, damit die neuen Regeln von 2025 nicht zur Falle werden.