Jobcenter-Leiterin sieht keinen Sinn in Verschärfung der Bürgergeld-Sanktionen

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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Sanktionen beim Bürgergeld für “Arbeitsverweigerer” wieder auf 100 Prozent erhöhen. Politiker von FDP und Union haben diesen Vorstoß zur Verschärfung der Sanktionen bereits begrüßt. Als Argument wird oft angeführt, dass die Jobcenter wieder mehr Macht und härtere Sanktionen gegen ihre “Kunden” einsetzen wollen. Die Leiterin des Jobcenters Hannover, Ana Paula Büße, begrüßt diesen Vorstoß des Arbeitsministers gegenüber NDR Info allerdings nicht.

Wiedereinführung der 100 Prozent Sanktionen

Wer jedes Arbeitsangebot ablehnt, dem soll bis zu zwei Monate lang das Bürgergeld komplett gestrichen werden – mit Ausnahme der Unterkunftskosten. Das sieht zumindest ein neuer Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vor.

Derzeit kann das Bürgergeld in solchen Fällen nach Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nur um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Hubertus Heil selbst erklärte, es könne nicht sein, dass “eine kleine Minderheit von Jobverweigerern das System Bürgergeld in Verruf bringe”.

Doch wie äußern sich die Jobcenter selbst zu diesem Gesetzesentwurf? Die Hannoverische Jobcenterleiterin Anna Paula Büße zeigt sich in einem Interview mit dem NDR verhalten zu diesen Vorschlägen.

Zu viel Augenmerk auf eine verschwindend geringe Gruppe

Ihrer Ansicht nach wird “viel Augenmerk auf ein sehr kleines Thema und eine sehr kleine Personengruppe gelegt. Natürlich ist jeder Einzelfall gesondert zu betrachten, und dem muss auch nachgegangen werden. Aber die breite, in der das Thema Sanktionen mit Blick auf Bürgergeld auf die Arbeit der Jobcenter diskutiert wird, das ist mir zu viel überhand”, so Büße.

Der Arbeitsminister selbst spricht von einer Gruppe von maximal 20.000 betroffenen Leistungsbeziehern, was im Vergleich zu den rund 5,5 Millionen Bürgergeldbeziehern verschwindend gering ist. Er will durch die Vollsanktionen rund 250 Millionen Euro pro Jahr einsparen.

Ab 2019 dürfen die Jobcenter nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur noch Sanktionen in Höhe von maximal 30 Prozent verhängen. War das bisher nicht genug, fragt der NDR.

Für die Leiterin des Jobcenters sind die derzeit möglichen Maßnahmen völlig ausreichend.

Sanktionen nur als Ultima Ratio

Zwar könne “die Sanktion im Einzelfall ein ergänzendes Instrument sein, um so etwas wie das Solidarprinzip unserer Gesellschaft zu verdeutlichen, aber aus meiner Perspektive muss Sanktion Ultima Ratio sein, wenn andere Wege ausgereizt sind, zum Beispiel auch auf alternative Möglichkeiten, die wir ja haben. Spätestens mit Einführung Bürgergeld Anfang des Jahres wie aufsuchende Beratung oder persönliches Coaching. Wenn diese Möglichkeiten alle ausgeschöpft sind und nicht funktionieren, nicht zur Kooperation führen, dann kann eine Sanktion tatsächlich ein ergänzendes Instrument sein”.

Die Diakonie kritisiert das Vorhaben der Totalsanktionen scharf. Das sei kontraproduktiv, denn es würde besonders Menschen mit besonderen Problemen hart treffen, zum Beispiel jene, die nicht gut lesen und schreiben können oder die beispielsweise Suchtprobleme haben.

Es werden die Hilflosen sanktioniert

Die Jobcenterchefin beobachtet ebenfalls eine deutliche Zunahme psychischer Grunderkrankungen. “Die Betroffenen sind oft hilflos und kommen in dem System nicht allein zurecht. Und genau da setzt ja eigentlich auch ein Stück weit das Bürgergeld an, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, die vielfach unverschuldet in schwierigen Situationen stecken. Ihnen zu helfen, persönliche Probleme zu meistern, traumatische Flucht Erlebnisse zu verarbeiten, um sie dann perspektivisch für den Arbeitsmarkt vorzubereiten.”

Zudem gab es eine “deutliche Veränderung unserer Kunden Struktur”, sagt die Jobcenter-Chefin. Viele können noch nicht die deutsche Sprache, weshalb das Lernen der Sprache im Fokus stehe, bevor in Richtung Arbeitsmarkt gedacht werden könne.

Anna Paula Büße geht daher nicht davon aus, dass der Anteil derjenigen, die alles ablehnen, sehr groß sei. Ein “Großteil der Personen, mit denen wir arbeiten, arbeiten konstruktiv mit uns”. Man müsse auch bedenken, dass Leistungsbeziehende, die mehrfach belastet sind, kurzfristig nicht vermittelbar sind. “Und darauf muss man Rücksicht nehmen”, so Büße.

Anhaltende Debatte demotiviert Jobcenter-Mitarbeiter

Auch die anhaltende Debatte um das Bürgergeld sei nicht konstruktiv. Es sei daher für die Jobcenter-Chefin schwierig “Mitarbeitende motiviert und zuversichtlich zu halten, wenn drum herum immer wieder diskutiert wird, welche Aufgaben Teile eventuell woanders vermeintlich besser aufgehoben wären.”

Wenn das Bürgergeld, das als größte Sozialreform zur Überwindung von Hartz IV verkündet wurde, noch im laufenden Jahr des Inkrafttretens bereits in Frage gestellt wird von der Politik, wirke das sich nach innen und nach außen negativ aus. “Gute Beratung braucht aus meiner Sicht verlässliche Rahmenbedingungen für die Person, die andere unterstützen sollen”, so Büße abschließend.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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