Ist ein Sozialhilfeempfänger behinderungsbedingt nicht in der Lage, seine notwendigen Medikamente selbst zu beschaffen und ordnungsgemäß einzunehmen, kann der zuständige Träger der Eingliederungshilfe zur Zahlung einer einfachen Assistenz verpflichtet sein. Die durch die Assistenz gewährleistete Beschaffung und Überwachung der Medikamenteneinnahme stelle eine Leistung der Eingliederungshilfe zur selbstständigen Bewältigung des Alltags dar, entschied das Sozialgericht Lüneburg in einem am Mittwoch, 13. November 2024, bekanntgegebenen Urteil (Az.: S 38 SO 73/20).
Was wurde verhandelt?
Die unter Betreuung stehende Klägerin bezieht seit vielen Jahren Leistungen der Grundsicherung (Sozialhilfe). Sie leidet unter anderem an einer psychosomatischen Erkrankung, einer Intelligenzminderung und diffusem Schwindel. Ursache ist offenbar ein erlittenes fetales Alkoholsyndrom, das auf den Alkoholmissbrauch der Mutter der Klägerin während der Schwangerschaft zurückzuführen ist.
Aufgrund ihrer Einschränkungen erhält die Klägerin seit Jahren Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch einen ambulanten Pflegedienst. Ihre Betreuerin schloss im Dezember 2019 einen Vertrag mit dem Pflegedienst, damit dieser auch die zweimalige Medikamenteneinnahme der Klägerin überwacht, die erforderlichen Rezepte bei den Ärzten anfordert und die Medikamente abholt und bei sich lagert. Für diese Leistung wurde eine monatliche Servicepauschale in Höhe von 15 Euro vereinbart.
Beschaffung von Medikamenten kann Teil der Eingliederungshilfe sein
Die für die Eingliederungshilfe zuständige Kommune wollte diese Kosten nicht erstatten. Sozialhilfeleistungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege kämen nicht in Betracht, da auch die gesetzliche Krankenversicherung nicht für die Beschaffung und Überwachung der Medikamenteneinnahme aufkomme.
Es handele sich auch nicht um Leistungen der Eingliederungshilfe. Die Pflegekasse sei ebenfalls nicht zuständig, da bei der Klägerin keine Pflegestufe vorliege. Die gesetzliche Betreuerin könne die Einnahme und Beschaffung der Medikamente sicherstellen.
Das Sozialgericht stellte in seinem Urteil vom 11. September 2019 fest, dass die Klägerin einfache Assistenz auf Kosten der Eingliederungshilfe beanspruchen könne, um die notwendigen Medikamente beschaffen und einnehmen zu können. Dies diene der „selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags“.
Die Klägerin sei aufgrund ihrer Behinderungen so eingeschränkt, dass sie die Medikamente nicht zuverlässig selbst in der Apotheke abholen oder das Rezept vom Arzt abholen und zu Hause sicher aufbewahren könne.
SG Lüneburg: Behinderte Frau kann einfache Assistenz verlangen
Der Anspruch sei auch nicht durch andere Leistungen gedeckt. Sie seien beispielsweise nicht im Regelbedarf enthalten. Die Betreuerin müsse sie auch nicht erbringen. Sie sei nur zur gesetzlichen Betreuung verpflichtet.
Die mit dem Pflegedienst vereinbarte Servicepauschale in Höhe von 15 Euro monatlich sei für die zu übernehmenden Tätigkeiten der einfachen Betreuung auch der Höhe nach gerechtfertigt.
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