Wir hatten bei “Gegen Hartz” auf den Skandal aufmerksam gemacht, dass die Bundesregierung den Sozialverbänden gerade einmal 72 Stunden Zeit gab, um eine Stellungnahme zu den Verschärfungen beim Bürgergeld abzugeben – und das am Wochenende.
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Sozialverbände sollen mundtot gemacht werden
Auf diese Art werden die kritischen Stimmen von Experten mundtot gemacht. Denn niemand kann zu einem komplexen Thema wie dem Bürgergeld-Gesetz in so kurzer Zeit eine fundierte Analyse durchführen.
Böse Absicht statt Fahrlässigkeit?
Da die Verschärfungen beim Bürgergeld unter massiver Kritik durch Vereine wie Tacheles e.V., aber auch durch den Paritätischen, den VdK oder ver:di stehen, wäre es blauäugig, lediglich “Ignoranz oder Fahrlässigkeit” zu unterstellen.
Die Zeit für Analyse und Kritik wird gestohlen
Den Kritikern wird keine Zeit gegeben, ihre Kritik ausführlich am Gegenstand zu belegen. Dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt, wird an einem neuen Bruch mit demokratischen Selbstverständlichkeiten deutlich.
Diesmal geht es um die geplante monatliche Meldepflicht für erwerbslose Bürgergeld-Bezieher. Auch diese kritisieren Experten der Sozialverbände sehr scharf.
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“Kontrollieren und überwachen”
Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD, Rosemann musste wegen dieser fachlichen Kritik herumsäuseln, es ginge bei der monatlichen Meldepflicht nicht darum, Bürgergeld-Bezieher zu kontrollieren.
Die Verbände prangern hingegen an, dass es genau darum geht: Kontrollieren, verfolgen und überwachen. Der Regierung zufolge soll die verschärfte Meldepflicht dazu dienen, Bürgergeld-Bezieher in Arbeit zu bringen.
So heißt es im Gesetzesentwurf: “Für arbeitslose Leistungsberechtigte wird eine monatliche Meldepflicht eingeführt, wenn dies für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist.”
Kritik auch aus den Ländern
Diesmal kommt die Kritik aber nicht nur von den Sozialverbänden, die die Grundrechte der Leistungsbezieher verteidigen, sondern auch aus den Ländern.
Länder, Deutscher Landkreistag und der Deutsche Städtetag meinen, dass die monatliche Meldepflicht gegen die Ermessensausübung und Organisation der Jobcenter verstoße.
Nur 72 Stunden Zeit
Betroffene müssen sich persönlich jeden Monat melden
Für bestimmte Leistungsberechtigte reicht es, wenn die Verschärfung durch ist, nicht mehr, per Telefon oder digital mit dem Jobcenter in Verbindung zu bleiben. Sie müssen in Zukunft einmal pro Monat persönlich in der Behörde erscheinen.
Keinen Tag für die Stellungnahme
Jetzt wurde der Änderungsantrag von SPD, Grünen und FDP zur Meldepflicht von erwerbslosen SGB-II Beziehern vorgelegt. Für die Verbändeanhörung gab es eine Stellungnahmefrist von nicht einmal einem Tag.
“Verhöhnung von demokratischen Verfahren”
Der Verein Tacheles gab bekannt, sich an dieser Farce nicht zu beteiligen: “Der Verein Tacheles gibt dazu keine Stellungnahme ab, denn eine Frist von unter einem Tag bei einer Verbändeanhörung ist eine Zumutung und eine Verhöhnung von demokratischen Verfahren!”
“Verfolgungsbetreuung im Schnellverfahren”
Tacheles zufolge müsste ein “derart gravierendes Gesetz” intensiv diskutiert werden und dürfte nicht “in einem Schnellverfahren durchgepeitscht werden”.
Tacheles bezeichnet die monatliche persönliche Meldepflicht als “Verfolgungsbetreuung”.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.