Kein Schadensersatz wenn der Arbeitgeber spät von der Schwerbehinderung erfährt

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Keine Pflicht zum Vorstellungsgespräch, wenn der Arbeitgeber erst nach Auswahl von Schwerbehinderung erfährt
Arbeitgeber sind verpflichtet, Menschen mit Schwerbehinderungen bei Bewerbungen zum Vorstellungsgespräch zu laden. Ansonsten besteht der Verdacht der Diskriminierung. Dies gilt aber nicht, wenn der Bewerber den Arbeitgeber erst nach Abschluss des Auswahlverfahrens über die bestehende Schwerbehinderung informiert. So urteilte das Landesarbeitsgericht München (10 Sa 725/18).

Ehemaliger Bürgermeister bewirbt sich als Bauleiter

Der Betroffene ist Diplomverwaltungswirt, hatte als Sachgebietsleiter eines Ausländeramts gearbeitet und als Geschäftsleiter im öffentlichen Dienst. Zudem war er viele Jahre Bürgermeister einer Kleinstadt. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

Er bewarb sich bei der Verwaltung einer Kreisstadt auf die Stelle “Leiter/Leiterin des Sachgebiets Bauen und Wohnen”. Weder in der Bewerbung selbst noch in seinem Lebenslauf wies er auf seine Schwerbehinderung hin.

Das Auswahlverfahren wird abgeschlossen

Er kam nicht in die Vorauswahl der geeigneten Bewerber. Mit diesen führte ein Auswahlgremium Vorstellungsgespräche und entschied sich für einen von ihnen. Der Stadtrat stimmte der Entscheidung einstimmig zu.

Am selben Tag schickte der Betroffene dem Arbeitgeber ein E-Mail und teilte in dieser mit, dass er einen „Grad von 50“ habe. Rund eine Woche später erhielt er vom Arbeitgeber ein Ablehnungsschreiben. Mit dem ausgewählten Bewerber war bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Arbeitsvertrag unterschrieben.

Es geht vor Gericht

Die Angelegenheit ging vor das Arbeitsgericht. Der Betroffene meinte, er sei aufgrund seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden und habe deshalb Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Geldentschädigung oder hilfsweise aus Schadensersatz.

Denn entgegen der gesetzlichen Vorschrift sei er nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden. Davon entlaste den Arbeitgeber auch nicht, dass er nicht direkt in der Bewerbung von der Schwerbehinderung erfahren habe. Die Information sei rechtzeitig genug vor Abschluss des Auswahlverfahrens eingegangen. Zudem sei der zeitliche Ablauf des Bewerbsungsverfahrens undurchsichtig gewesen.

Er sei für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen. Eine offensichtliche Nichteignung könne nicht damit begründet werden, dass der Kläger nicht mehrere Jahre als Leiter einer unteren Bauaufsichtsbehörde tätig gewesen sei.

Mindestens ein halbes Jahresgehalt sei eine angemessene Entschädigung von zumindest 24.875,46 , nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB ab Klageerhebung.

Information kam erst nach dem Auswahlverfahren

Der Arbeitgeber lehnte diese Argumentation gleich in vier Punkten ab. Erstens hätte er von der Schwerbehinderteneigenschaft erst erfahren, als die Auswahlentscheidung schon getroffen war. Da seien die Vorstellungsgespräche vorbei gewesen.

Zweitens sei der Ablauf des Verfahrens nicht undurchsichtig gewesen. Drittens sei der Betroffene auch fachlich nicht für die Stelle geeignet gewesen. Viertes bestehe keine Pflicht, die Bewerber über den Verlauf des Auswahlverfahrens zu unterrichten.

Wie entschied das Arbeitsgericht?

Das Arbeitsgericht wies die Klage als unbegründet zurück und führte aus, wie es zu dieser Entscheidung kam:

„Es habe dem Kläger klar sein müssen, dass das Auswahlverfahren durch die Beklagte zeitnah durchgeführt werde und deshalb spätestens innerhalb einer Frist von zwei bis drei Wochen nach Eingang der Bewerbung auf den Umstand der Schwerbehinderung hingewiesen werden müsse.

Eine nahezu zwei Monate später erfolgte Mitteilung könne nicht mehr dazu führen, dass ein Arbeitgeber noch ein Einstellungsgespräch führen müsse. Des Weiteren sei der Kläger kein geeigneter Bewerber für die ausgeschriebene Stelle gewesen, da er das zwingende Merkmal, die möglichst mehrjährige Erfahrung in der unteren Bauaufsicht weder dargestellt noch nachgewiesen habe.“

Wie entschied das Landesarbeitsgericht?

Der Betroffene legte Berufung beim Landesarbeitsgericht München ein. Hier argumentierte er, dass er nicht eindeutig zu spät über seine Schwerbehinderteneigenschaft informiert hätte. Denn zu diesem Zeitpunkt sei die Stelle noch nicht besetzt gewesen.

Zeit für ein Vorstellungsgespräch im Sinne der gesetzlichen Förderpflichten sei also noch vorhanden gewesen. Beim Gesetz gebe es keine Fristen, und darum gelte der Einzelfall.

Die Berufung blieb erfolglos, und das Landesarbeitsgericht entschied: „Die Berufung ist (…) nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung. Er hat keine Indizien dargelegt, die für eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung sprechen. Vorweg wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidung des Erstgerichts Bezug genommen (§ 69  3 ).“

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Diskriminierung ist nur möglich, wenn die Schwerbehinderung bekannt ist

Der Arbeitgeber wäre, so das Gericht, nicht verpflichtet den Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, da dieser erst nach Abschluss des Auswahlverfahrens über die bestehende Schwerbehinderung informiert hätte.

Eine Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten ließe sich zwar auch aus Vermutungen ableiten. Dies gelte jedoch nur dann, wenn der Beklagten als öffentliche Arbeitgeberin die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bekannt gewesen sei oder sie sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können.

Schwerbehinderung muss im Bewerbungsschreiben erwähnt werden

Das Landesarbeitsgericht führte aus: „Soweit die Schwerbehinderteneigenschaft einem Arbeitgeber nicht nachweislich schon bekannt ist, muss der Bewerber den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderteneigenschaft informieren.

Dies hat regelmäßig im Bewerbungsschreiben selbst unter Angabe des , gegebenenfalls einer Gleichstellung zu geschehen, da der Arbeitgeber jedenfalls gehalten ist, bei jeder Bewerbung das eigentliche Bewerbungsschreiben zur Kenntnis zu nehmen.“ Grundlage sei ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (9 AZR 791/07)

Eingestreute oder indirekte Hinweise seien keine ordnungsgemäße Information. Weder in seiner Bewerbung noch in den beigefügten Unterlagen hätte der Kläger einen Hinweis auf seine Schwerbehinderung gegeben.

Arbeitgeber ging nicht von Schwerbehinderung aus

Entscheidend sei, dass das Auswahlverfahren in der subjektiven Annahme verlief, dass bei dem Betroffenen keine Schwerbehinderung vorliege. Dass der Arbeitgeber den Betroffenen nach Abschluss des Auswahlverfahrens nicht einlud und somit das Ausschlussverfahren nicht neu eröffnete, sei nicht als Diskriminierung wegen Schwerbehinderung zu bewerten und auch kein Indiz dafür.