Hartz IV Verfassungsklage: Was lief schief?

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Das Sozialgericht Gotha sah es in seinem Urteil (Az: S 15 AS 5157/14) als erwiesen an, dass bei einer Hartz IV Sanktion die Menschenwรผrde des Betroffenen verletzt wird, wenn es im Nachfolgenden zu Leistungskรผrzungen kommt. SchlieรŸlich sei das Existenzminimum in der Verfassung verankert, dass durch eine Leistungskรผrzung unterschritten werde. Demnach seien Sanktionen bei Hartz IV verfassungswidrig. Die Klage wurde dann als Vorlage an das Bundesverfassungericht weitergeleitet. Viele Betroffene hegten nun Hoffnungen, dass die Sanktionen รผber eine Verfassungsklage abgeschafft werden kรถnnten. Die Richter am Bundesverfassungsgericht lehnten nun die Richtervorlage als "unzulรคssig" zurรผck. Wir haben hierzu die Juristin Miriam Hansel bei BRG Rechtsanwรคlte in Berlin befragt.

Frau Hansel, was ist hier schief gelaufen?
Zunรคchst muss einmal festgehalten werden, dass das Sozialgericht Gotha einen lobenswerten VorstoรŸ gewagt hat. Mit dem 50 Seiten umfassenden Vorlagebschluss musste sich nun das Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinandersetzen, ob Sanktionen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Insbesondere wurde die Frage der Vereinbarkeit von Sanktionen mit dem Grundrecht auf Gewรคhrung des Existenzminimums, welches sich aus Art 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 GG(Sozialstaatlichkeit) ergibt, aufgeworfen.

Wenn nun ein Gericht ein Gesetz fรผr verfassungswidrig hรคlt, wie hier das SG Gotha, kann es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Ansicht einzuholen, sofern es auf dessen Gรผltigkeit bei der Entscheidung auch wirklich ankommt. Dabei musste das SG Gotha zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre VerfassungsmรครŸigkeit sorgfรคltig geprรผft haben.

Das SG Gotha musste in seinem Vorlagebschluss nun deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prรผfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar war und aus welchen Grรผnden es zu dieser Auffassung gelangt ist.

Das Bundesverfassungsgericht war der Ansicht, dass das SG Gotha mit seinem Vorlagebeschluss zwar eine gewichtige verfassungsrechtliche Frage aufgeworfen hatte, jedoch fehlte dem Bundesverfassungsgericht eine nachvollziehbar dargelegte und entscheidungserhebliche Begrรผndung, warum die Verfassungswidrigkeit der ยงยง 31 ff SGB II in diesem Verfahren entscheidungserheblich sein soll. Es vertrat die Auffassung, dass dem Vorlagebeschluss nicht nachvollziehbar zu entnehmen war, ob die Rechtsfolgenbelehrungen zu den hier streitigen Sanktionsbescheiden den gesetzlichen Anforderungen des ยง 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II genรผgen, obwohl Ausfรผhrungen hierzu geboten gewesen wรคren. Laut Bundesverfassungsgericht muss nรคmlich die verfassungsrechtliche รœberprรผfung nicht vorgenommen werden, sofern die Sanktionen anhand der vorgenannten Norm rechtswidrig wรคre.

Das SG Gotha hatte laut Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im Vorlagebeschluss hinsichtlich der Sanktionen keine eigenen Feststellungen zu einer der sanktionierten Pflichtverletzung vorausgegangenen Rechtsfolgenbelehrung bzgl. Richtigkeit und Vollstรคndigkeit getroffen. Diesem MindestmaรŸ der Begrรผndung wurde die Vorlage daher nun nicht gerecht.

Wie geht es nun weiter? SchlieรŸlich wurde der Inhalt der Klage nicht abgelehnt?
Mit dem vorbenannten Vorlagebeschluss wurde das Verfahren des SG Gotha zu dem Az: S 15 AS 5157/14 bis zur Entscheidung รผber die Beschlussfragen fรผr das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt. Da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unanfechtbar ist, wird das SG Gotha nun das ausgesetzte Verfahren mittels Wideraufnahmebeschluss aufnehmen und weiterfรผhren, bis die Sache entscheidungsreif ist.

Es liegen noch Einzelklagen zur รœberprรผfung vor. Wie viel Chancen haben diese?
Auch diese sind den strengen unter Antwort 1 aufgezeigten Voraussetzungen unterworfen. Das Bundesverfassungsgericht muss anhand des jeweiligen Sachverhalts jeweils gesondert die aufgeworfene Rechtsfrage der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen รผberprรผfen. Der Ausgang kann daher nur schlecht prognostiziert werden. Wir dรผrfen jedoch weiterhin gespannt sein, wie zukรผnftig entschieden wird, insbesondere im Hinblick auf die anstehenden Gesetzesรคnderungen, die das Sanktionsrecht in erheblichem MaรŸe betreffen.

Was passiert, wenn ein Bundesverfassungsgericht tatsรคchlich die Sanktionen als Verfassungswidrig einstuft. Werden diese dann sofort gestoppt?
Betroffene kรถnnten erleichtert aufatmen. Sรคmtliche ergangenen Bescheide sind sodann aufzuheben. Betroffene sollten sofort Widerspruch gegen aktuelle Bescheide einlegen oder aber nach Ablauf der Widerspruchsfrist (1 Monat ab Bekanntgabe des Bescheides) unbedingt einen รœberprรผfungsantrag stellen.

Wie kรถnnen sich Betroffene gegen Sanktionen wehren?
Eine Sanktion stellt einen Verwaltungsakt da, der mit dem Widerspruch angreifbar ist. Der Widerspruch kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes eingereicht werden. Die oder der Sanktionierte kann entweder selber gegen einen Bescheid Widerspruch beim Jobcenter einlegen, oder aber diesen durch eine Rechtsanwรคltin/ einen Rechtsanwalt einreichen lassen. Diese Kosten mรผssen die Betroffenen nicht selber รผbernehmen, sondern kรถnnen sich beim jeweils fรผr sie zustรคndigen Amtsgericht einen Beratungshilfeschein ausstellen lassen. Die รœberprรผfung der Sanktionen durch eine Rechtsanwรคltin/ einen Rechtsanwalt lohnt sich vermehrt, da Sanktionsbescheide oft an formalen Fehlern leiden.

Da Widersprรผche gegen Sanktionsbescheide deren Vollziehbarkeit nicht stoppen, kann es sich empfehlen, zusรคtzlich ein Eilverfahren vor dem fรผr die Betroffenen zustรคndigen Sozialgericht zu fรผhren. Das kann in Eigenregie oder aber eben auch durch die Rechtsanwรคltin/ den Rechtsanwalt erfolgen.

Miriam Hansel ist Juristin bei BRG Rechtsanwรคlte in Berlin. Danke fรผr das Interview! (sb)

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