Hartz IV: Statt Hilfe mit Schlägen aus dem Jobcenter geschmissen

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Im Berufungsverfahren soll der damlige Vorfall erneut aufgearbeitet werden

Wer auf Hartz IV bzw. heute Bürgergeld Leistungen angewiesen ist, steckt in einer physisch und psychisch belastenden Situation. Beinahe täglich ereignen sich tragische und konfliktreiche Zwischenfälle in den Jobcentern. Leistungsbeziehende und Jobcenter-Sachbearbeiter geraten dabei immer wieder in die Fronten.

Vor fast vier Jahren berichteten wir über einen solchen Fall, der nun in einem Berufungsverfahren neu aufgerollt werden soll.

Keine Hilfe des Jobcenters – stattdessen Rauswurf

Was aber war geschehen? Ein Familienvater war mit seiner Familie in der zuständigen Behörde erschienen. Im Empfang trug der Leistungsbeziehende sein dringliches Anliegen vor. Er machte deutlich, dass er sich in einer Notlage befindet.

Trotz Hartz-IV-Bescheid habe er über einen Monat kein Geld bekommen. Er könne die Miete nicht zahlen und habe zudem kein Geld für seine Familie, um Essen zu kaufen.

Beim Empfang am Tresen wurde dem Mann gesagt, dass sein zuständiger Sachbearbeiter bereits gegangen sei. Zudem würde es keine Vertretung geben. Stattdessen solle er in 4 Tagen wiederkommen, dann würde sein Anliegen bearbeitet werden. Er wurde aufgefordert das Jobcenter zu verlassen.

Familienvater wollte das Jobcenter nicht verlassen

Dann eskalierte die Situation. Statt in 4 Tagen wiederzukommen, ging der Betroffene nicht. Stattdessen wollte er so lange bleiben, bis er mit einem Sachbearbeiter sprechen könne. Die Mitarbeiter des Jobcenters riefen daraufhin die Polizei. Diese sollte den verzweifelten Mann mit samt seiner Familie aus der Behörde begleiten.

Zunächst kamen zwei Polizisten. Auch diese konnten den Mann nicht dazu veranlassen, die Behörde zu verlassen, obwohl angeblich bereits ein Hausverbot sowie Platzverweis ausgesprochen wurden. Er bestand weiterhin darauf, einen Sachbearbeiter zu sprechen, damit wenigstens die nächsten Tage Verpflegung gesichert sind.

Es begann eine Rangelei

Nun wurde der Familienvater zwangsweise mithilfe eines Security-Mitarbeiters von der Polizei nach draußen begleitet. Dabei versuchte der Mann sich dem Zugriff zu entziehen. Die Auseinandersetzung, die zunächst als Rangelei begann, eskalierte immer weiter. Dabei wurde der Angeklagte zu Boden geworfen.

Kurz zuvor am Unterleib operiert

Der Betroffene wurde aber kurz zuvor am Unterleib operiert und hatte starke Schmerzen. Aus diesem Grund verschränkte er seine Arme vor seinem Bauch, um sich zu schützen. Dennoch brachte einer der Polizisten den Mann in die Bauchlage und setzte sich auf ihn, um die Hände auf dem Rücken zu fixieren.

Weiterhin hielt aber der Familienvater seine Hände vor dem Bauch. Dabei rief er sinngemäß: “Ich habe Schmerzen und wurde gerade operiert, bitte hören sie auf!”.

Die Polizei rief daraufhin Verstärkung. Nach nur kurzer Zeit waren nunmehr sechs Polizisten vor Ort. Mit einem Schlagstock hebelte ein Polizist die Arme auf dem Rücken, während die anderen 5 Beamten hin festhielten, seine Nase nach oben zogen und sich auf die Beine setzten. In dem Polizeibericht war zu lesen: „Mit leichten Schlägen auf die Rippen wurde Atemnot erzeugt, damit der Wille des Angeklagten gebrochen wird“.

Zahlreiche Hämatome

Nach dem Zugriff war der Angeklagte beim Arzt. Dort wurden zahlreiche Hämatome diagnostiziert. Entsprechende Beweisfotos wurden bei einer darauffolgenden Verhandlung dem Gericht vorgelegt.

Bis zur Eskalation fand laut Polizeibericht ein 20-minütiges Gespräch zwischen Polizisten und Angeklagtem statt. In dem Bericht war zu lesen: Etwa 20 Minuten fand “zuvor in vernünftiger Atmosphäre ohne Aggressivität von Seiten des Angeklagten” eine Kommunikation zwischen Beamten und Ufuk T. statt. Zudem sagte einer der Polizisten, dass keine erkennbaren und gezielten Schläge seitens des Angeklagten gegen die Polizisten erkennbar gewesen wären.

Gericht folgte ausschließlich den Aussagen der Polizisten

In dem nachfolgenden Verfahren stützte sich die Anklage im Wesentlichen auf die Aussagen der Polizisten. Den Angaben des Angeklagten wurde in keiner Weise gefolgt.

Liedermacher Konstantin Wecker solidarisierte sich damals mit dem Betroffenen
Öffentliches Aufsehen hatte zu damaliger Zeit der Fall erregt. Viele Menschen solidarisierten sich mit dem Familienvater. Selbst der bekannte Künstler und Liedermacher Konstantin Wecker unterstützt den Betroffenen.

„Als engagierter Verteidiger von Menschenrechten protestiere ich hiermit gegen diese Mannheimer Vorgänge. Dass Menschen in Deutschland hungern sollen, weil man sie mit Polizeigewalt aus Amtsgebäuden entfernt und daran hindert, ihren grundgesetzlich garantierten Rechtsanspruch auf ein jederzeit zu gewährleistendes menschenwürdiges Existenzminimum geltend machen zu können, empört mich zutiefst”, sagte Wecker zur damaligen Zeit.

Familienvater wurde zu 170 Tagessätzen verurteilt

Der Familienvater wurden durch das Amtsgericht Mannheim zu 170 Tagessätze à 15 Euro verurteilt. Statt den Fall in Gänze aufzuklären, wurde für die eskalierende Situation allein der verzweifelte Vater verantwortlich gemacht.

Denn anstatt dem Hilfesuchendem zu helfen und zu einem freien Sachbearbeiter vorzulassen, um ihm einen Vorschuss zu geben, rief die Sachbearbeiterin am Tresen den Sicherheitsdienst und die Polizei.

Verfahren wird neu aufgerollt

Der Hilfeverein “Üsoligenial Heidelberg Rhein Neckar e.V.” berichtet nunmehr, dass der Fall erneut vor dem Landgericht aufgerollt werden soll. “Wir sagen: Stell Dir vor, Du gehst aufs Amt, weil Du dringend Hilfe brauchst. Das Amt verweigert diese rechtswidrig. Du wirst von einer anderen Institution, der Polizei, während der Öffnungszeiten ohne Grund zusammengeschlagen, und du wirst dafür von einer Justiz verurteilt, die für Aufklärung sorgen soll aber das Gegenteil macht”.

Über den Ausgang des Verfahrens werden wir berichten.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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