Experimentierkasten Hartz IV Ein-Euro-Jobs gleich Zwangsarbeit!?
von Michael Schumacher
Dieser Beitrag baut auf dem Beitrag โExperiments in Terrorโ auf, welcher zur Vorab Lektรผre empfohlen wird.
Grundfrage
Bedeutet die Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs unter der Androhung von Sanktionen Zwangsarbeit?! Diese Frage wird oft und heiร diskutiert. Nach der absolut herrschenden Meinung handelt es sich nicht um Zwangsarbeit. Aber was ist die herrschende Meinung?
Muss man der herrschenden Meinung zustimmen oder gar folgen? Da die Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs in der Regel nicht freiwillig geschieht, wenn gleich es auch diese Fรคlle gibt, soll hier eine andere Sichtweise dargestellt werden.
Gegen bestehendes Unrecht kann und sollte man seine Stimme erheben! Eine Sanktion, als Folge der Ablehnung eines Ein-Euro-Jobs, hรคtte die dargestellte Kรผrzung des gesamten Arbeitslosengeldes II um 30 % fรผr die Dauer von 3 Monaten zur Folge. Hierbei handelt es sich um eine un-mittelbare Bedrohung der Existenz des Arbeitslosen.
Die Ba hat 2005 in ihren โDurchfรผhrungshinweisen zu ยง 16 Abs. 3 SGB II im sozialen Dienstleistungssektorโ dargelegt, dass sowohl eine positive Grundeinstellung, als auch eine entsprechende Motivation des Hilfebedรผrftigen erforderlich sind. Hinsichtlich seiner Wรผnsche und Kompetenzen soll, gemeinsam mit dem Arbeitsvermittler, ein passender Ein-Euro-Job gefunden werden. Dieser sollte die un-mittelbare Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt in Aussicht stellen. Der Beschรคftigungstrรคger seinerseits, sollte darauf hinwirken und darauf einen Einfluss haben, einen fรผr die Stelle geeigneten Hilfebedรผrftigen zu finden. [Quelle: Recht und Praxis der Ein-Euro-Jobs 2006 Hofmann S.171-172].
Diese Durchfรผhrungshinweise sollten eigentlich fรผr alle Ein-Euro-Jobber gelten, denn nur mit einem Konsens geschlossen kรถnnten Ein-Euro-Jobs die Hilfebedรผrftigkeit verringern bzw. ganz aufheben. Bei einer Eingliederungsquote der Ein-Euro-Jobs von lediglich 2 bis 7 % ist dies nicht zu erwarten und man kann dieses System als gescheitert ansehen.
[Quelle: IAB Forschungsbericht 2/2007] Dies ist besonders bedenklich, denn:Ein-Euro-Jobs sind die am hรคufigsten angewandte Arbeitsmarktpolitische Maรnahme. Von 2005 bis Juli 2007 mussten 1,87 Millionen Arbeitslose ihren Dienst als Ein-Euro-Jobber antreten. Ein-Euro-Jobs verursachen auch die meisten Kosten der Arbeitsmarktpolitischen Maรnahmen. In 2006 allein wurden 1,12 Milliarden Euro fรผr Ein-Euro-Jobs ausgegeben. (jeweils ohne die Zahlen der 69 optierenden Kommunen). [Quellen: BA Fรถrderstatistik: Arbeitsgelegenheiten, April 2007 und: BA Monatsbericht: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland, Juli 2007]
Aktuelle Gesetzeslage
Die Praxis, den Arbeitslosen unter der Androhung einer Sanktion zur der Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs zu zwingen, verstรถรt gegen nationale und internationale Gesetze.
Deutsches Recht:
Nach Art. 12.1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstรคtte frei zu wรคhlen. Freiheit bedeutet, รผber Art und Weise der beruflichen Tรคtigkeit selbst zu entscheiden. Dieses Recht wird hier beschnitten. Eine freie Wahl und eine freie Entscheidung sehen anders aus!
Art. 12.2 GG besagt, dass Zwangsarbeit nur zulรคssig im Rahmen einer herkรถmmlichen, allgemeinen, fรผr alle gleichen und รถffentlichen Dienstpflicht ist. Hierzu zรคhlen die Wehrpflicht und der Zivildienst. Nach Art. 12.3 GG ist Zwangsarbeit auch bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafe mรถglich. Ein-Euro-Jobs fallen aber unter keine dieser Kategorien.
Weiterhin richtet sich Art. 12 GG gegen unzulรคssige Staatseingriffe in die Wirtschaftsordnung. Er verbietet die Errichtung einer sozialistischen Planwirtschaft, ohne freie Arbeitsplatzwahl. [Quelle: Grundgesetz mit Kommentierung, Peter Schade, Walhalla, 2006, S. 55] Wenn bei dem System der Ein-Euro-Jobs natรผrlich nicht von einer sozialistischen Planwirtschaft die Rede sein kann, so hat die Bundesregierung mit den Maรnahmen nach ยง 16 Abs. 3 SGB II dennoch einen Sonderarbeitsmarkt geschaffen, der losgelรถst von der deutschen Wirtschaft funktioniert. Dieser Sonderarbeitsmarkt hat weit reichende Auswirkungen auf den 1. Arbeitsmarkt und so auch auf die freie (soziale) Marktwirtschaft, die indirekt von Art. 12 GG gefordert wird. Die freie (soziale) Marktwirtschaft wird hier in Teilen auรer Kraft gesetzt.
Ein-Euro-Jobber werden nicht als Arbeitnehmer angesehen und so in ihren Arbeitnehmerrechten beschnitten, da sie keinen Arbeitsvertrag, stattdessen nur eine Vereinbarung mit einem Maรnahmetrรคger haben. Da die Ein-Euro-Jobber in vielen Fรคllen regulรคre Stellen besetzen, werden so sozialversicherungspflichtige Stellen abgebaut bzw. nicht mit entsprechenden Arbeitskrรคften besetzt.
Die Bezahlung erfolgt nicht nach Leistung.
Die Bezahlung erfolgt nicht nach Arbeitsergebnis.
Die Bezahlung ist fรผr alle gleich.
ยง 16 Abs. 3 SGB II untergrรคbt die prinzipielle verfassungsrechtliche Forderung, eine dem Arbeitsergebnis entsprechende Entlohnung zu zahlen. Hier gibt es aber keinen Lohn, sondern eine von der Arbeits-Leistung unabhรคngige, fรผr alle Ein-Euro-Jobber gleich hohe, Maรnahmekostenaufwandsentschรคdigung. Dies stellt nicht nur den Wert und Sinn der Arbeit in Frage, sondern vor allem die Existenz des Arbeitslosen als solchem. [Quelle: Recht und Praxis der Ein-Euro-Jobs 2006 Hofmann S.380].
Diese Praxis verstรถรt auch gegen Art. 1 GG wonach die Wรผrde des Menschen unantastbar ist. Der Staat muss den Bรผrger vor Angriffen auf seine Wรผrde beschรผtzen. Hier sind es aber gerade, von der Bundesregierung beschlossen Gesetze (ยง 16 Abs. 3 und ยง 31 SGB II), die die Wรผrde der Arbeitslosen verletzen.
Jeder Bรผrger hat nach Art. 2 GG das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persรถnlichkeit. Dem Arbeitslosen wird aber gar keine Persรถnlichkeit zuerkannt, er wird seiner Individualitรคt beraubt und zum bloรen Objekt gemacht! Von individueller Betreuung kann hier keine Rede sein, stattdessen werden bestimmte, meist so genannte schwer vermittelbare, Arbeitslose, zu einer โGruppeโ zusammengefasst und gleich geschaltet. Vornehmlich Mitglieder dieser โGruppeโ werden zu Ein-Euro-Jobs herangezogen. Das Verfassungsgebot, โGrundsatz der Verhรคltnismรครigkeitโ, des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG), soll die Bรผrger vor unnรถtigen, staatlichen Eingriffen schรผtzen.
Geeignetheit: Von dieser Maรnahme ist fast kein Erfolg zu erwarten, da die un- mittelbare Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt gerade mal bei 2 bis 7 % liegt, also praktisch nicht vorhanden ist.
Angemessenheit: Bei den dargestellten Verletzungen der Menschenwรผrde und den Eingriffen in die Persรถnlichkeit der Arbeitslosen durch Ein-Euro-Jobs handelt es sich keinesfalls um zumutbare Maรnahmen. Ein-Euro-Jobs sind weder zur Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt geeignet, noch stellen sie ein angemessenes Mittel dar. Ein-Euro-Jobber werden wรคhrend ihrer 6 Monate dauernden Zwangsarbeit:
– in ihrem freien Willen eingeschrรคnkt
– in ihren Grundrechten nach Art. 1, 2, 12 GG beschnitten.
Internationales Recht:
Die gรคngige Praxis, Arbeitslose unter der Androhung von Sanktionen zur Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs zu zwingen, verstรถรt auch gegen internationales Recht.
Das รbereinkommen รผber Zwangs- und Pflichtarbeit (C029) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 1930 verbietet Zwangsarbeit. Es wurde am 19/06/1956 von der BRD ratifiziert. Ein-Euro-Jobs verstoรen gegen Art. 2 Abs. 1.
Artikel 2 Abs. 1
Als โZwangs- oder Pflichtarbeit” im Sinne dieses รbereinkommens gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und fรผr die sie sich nicht freiwillig zur Verfรผgung gestellt hat. Bei der Androhung einer Sanktion, bei der Verweigerung der Aufnahme eines Euro-Euro-Jobs, kann man nicht von Freiwilligkeit sprechen. Eine freie Wahl sieht anders aus. Hier handelt es sich um eine Strafe i.S. des ILO-รbereinkommens die bei Ungehorsam vollstreckt wird. Der Arbeitslose soll sich fรผgen und gehorsam zeigen, ansonsten wird seine minimale Grundsicherung fรผr die Dauer von 3 Monaten um 30 % gekรผrzt. Dies bedeutet eine un-mittelbare Bedrohung seiner Existenz.
Arbeitsvermittler verstoรen bei der gรคngigen Praxis, Arbeitslose unter Androhung von Sanktionen zur Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs zu zwingen, gegen Art. 6 des รbereinkommens รผber Zwangs- und Pflichtarbeit (C029) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Artikel 6 Beamte der Verwaltung dรผrfen, auch wenn es ihre Aufgabe ist, die ihrer Verantwortung unterstellte Bevรถlkerung zur Annahme von Arbeit irgendeiner Form zu ermuntern, weder auf die Gesamtbevรถlkerung noch auf einzelne Personen einen Druck ausรผben, um sie zur Arbeitsleistung fรผr Einzelpersonen oder private Gesellschaften und Vereinigungen zu veranlassen.
Dies wรคre auch Teil der angestrebten partnerschaftlichen Beziehung von Arbeitsvermittlern und Arbeitslosen. Die Androhung einer Sanktion ist weitaus mehr als Druck aus zu รผben, diese ist Existenz bedrohend. Die Ein-Euro-Jobs werden den Arbeitslosen von den Arbeitsvermittlern zwar โangebotenโ, wie es so schรถn heiรt, bei einem Angebot hat man aber die Wahl es an zu nehmen oder es ab zu lehnen. Diese konkrete Wahl ist hier aber nicht gegeben.
Empfinden des Arbeitslosen
Unabhรคngig von nationalen und internationalen Recht, ist der Arbeitslose emotional unmittelbar betroffen. Fรผr den Arbeitslosen zรคhlen weniger die Gesetze, wenn er diese รผberhaupt kennt. Fรผr den Arbeitslosen zรคhlt sein persรถnliches Rechts- und Unrechtsempfinden.
Er ist ein Mensch!
So mรถchte er auch wahrgenommen werden.
Als Mensch!
So mรถchte er auch behandelt werden.
Als Mensch!
Er sieht sich nun ausschlieรlich als Akte, die hin und her geschoben werden kann. Fรผr 6 Monate verdammt zur Zwangsarbeit.
Wie soll man ihm verstรคndlich machen, dass er eine Arbeit aufnehmen soll, ohne sein Einverstรคndnis?
Wie soll man ihm verstรคndlich machen, dass er arbeiten muss, ohne dafรผr Lohn zu bekommen? Das widerspricht jeglichem gesundem Menschenverstand. Dies wird durch die Perspektivlosigkeit der Ein-Euro-Jobs noch verschlimmert. Dessen sind sich viele Arbeitslose durchaus bewusst.
Fรผr sie ist das selbstverstรคndlich-
Unrecht.
Fรผr sie ist das selbstverstรคndlich-
Zwang.
Fรผr sie ist das selbstverstรคndlich-
Zwangsarbeit.
6 Monate,
โAus den Augen, aus dem Sinn.โ
Der folgende, etwas abgewandelte Liedtext, spiegelt die prekรคre Lage der Ein-Euro-Jobber treffend wieder:
Kleiner Kรถnig Ein-Euro-Jobber
Die ARGE legt ne Falle
Das wird das Beste sein
Denn der dumme Arbeitslose
Fรคllt ganz bestimmt hinein
Und ist er erstmal drin
Dann lassen sie ihn erst nach 6 Monaten raus
Der kleine Ein-Euro-Jobber
Hockt in der Falle, wie eine arme Maus
Frei nach:Augsburger Puppenkiste, โKleiner Kรถnig Kalle Wirschโ, 1970, Text: M. Jenning
Zur Klage von Thomas Meese
Der Soziologe Thomas Meese war 10 Monate bei der Universitรคt Hamburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter tรคtig. In der Zeit vom 24/08/2005 bis zum 23/06/2006 fรผhrte er, hoch qualifizierte, wissenschaftliche Arbeiten aus. Dies geschah aber nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhรคltnis, sondern in einer Maรnahme nach ยง 16 Abs. 3 SGB II.
Er begab sich in diesen Ein-Euro-Job nur unter strukturellem Zwang, da er bei der Verweigerung mit einer, seine materielle Existenz bedrohende, Sanktion hรคtte rechnen mรผssen. Die Beschรคftigung Arbeitsloser als Ein-Euro-Wissenschaftler war an der Universitรคt Hamburg kein Einzelfall.
Wie Thomas Meese ausfรผhrlich auf der Website: www.forced-labour.de darlegt, verstoรen auch seiner Meinung nach, Ein-Euro-Jobs gegen nationales und internationales Recht zum Verbot der Zwangsarbeit. Um das ihm und vielen anderen Arbeitslosen widerfahrene Unrecht und Leid entsprechend zu verdeutlichen erinnert er daran, dass รผber 7 Millionen Zwangsarbeitern die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in und fรผr Deutschland Zwangsarbeit verrichten mussten. Gerade Deutschland mit seiner dunklen Vergangenheit hat hier eine besondere Verantwortung. Eine Verantwortung der Rechnung getragen werden muss, auch und gerade heute noch und die von der jetzigen Generation nicht vergessen werden darf.
Hier setzt er weder das Schicksal der damaligen Zwangsarbeiter mit dem der Ein-Euro-Jobber gleich noch will er die damaligen Zwangsarbeiter auch nicht verunglimpfen, wie es ihm die Universitรคt Hamburg vorwirft. [http://www.forced-labour.de/wp-content/uploads/2007/02/2007-01-16_uni_hamburg_rueck_rueckweisung.pdf]
Es geht hier nicht um die Art und die Hรคrte der Zwangsarbeit.
Es geht hier nicht um die Mittel des Zwangs.
Ohne Zweifel war die Lage der รผber 7 Millionen Zwangsarbeiter entsetzlicher und sie waren unmittelbar vom Tode bedroht.
Die Ein-Euro-Jobber sind โlediglichโ un-mittelbar in ihrer Existenz bedroht, aber auch ihres freien Willens beraubt.
Entscheidend ist aber die Tatsache, dass damals wie heute die Arbeit nicht freiwillig aufgenommen wurde, sondern ausschlieรlich unter Zwang. Bei dem von Meese angestrebten Musterprozess verklagt er die Universitรคt Hamburg auf Schadenersatz.
Schadenersatz fรผr den ihm, seiner Ansicht nach, vorenthaltenden Lohn.
Vorenthaltenen Lohn fรผr seine geleistete Arbeit.
Der Lohn soll entsprechend der Leistung gezahlt werden.
Der Lohn soll entsprechend des Arbeitsergebnisses gezahlt werden.
Messe sieht sich als eine, in seinen Arbeits- Rechten beschnittene, arbeitnehmerรคhnliche Person. Deshalb strebt er auch eine Klage vor dem Arbeitsgericht an. Die Zulassung wurde ihm allerdings bisher verwehrt und er wurde an die Sozialgerichte verwiesen. Nach geltender Rechtssprechung sind fรผr Ein-Euro-Jobs die Sozialgerichte und nicht die Arbeitsgerichte zustรคndig, da es sich nicht um Arbeitsverhรคltnisse, sondern um Beschรคftigungsverhรคltnisse handelt. Dies geschieht ausschlieรlich durch geschickte Definition der Maรnahmen nach ยง 16 Abs. 3 SGB II, welche Arbeit zu Beschรคftigung deklariert.
Wenn die Klage von Herrn Meese vor dem Arbeitsgericht zugelassen werden wรผrde, bekรคme die, als Beschรคftigung ohne Lohn, abgewertete Arbeit, wieder ihren entsprechenden Namen und Wert.
Das Rechtsverhรคltnis des Ein-Euro-Jobbers wรผrde in ein vรถllig anderes Licht gestellt. Dies hรคtte bundesweite Auswirkungen. Dies wรผrde ยง 16 Abs. 3 SGB II und den gesamten Sonderarbeitsmarkt der Ein-Euro-Jobs in Frage stellen.
Fรผr die Zulassung der Klage vor dem Arbeitsgericht, bedarf es aber eines โcouragiertenโ Richters. Ein โcouragier