Viele Bezieher von Bürgergeld nutzen das Portal jobcenter.digital um einfacher und schneller mit ihrem Jobcenter zu kommunizieren und um vorab über Einladungen, Bescheide usw. informiert zu sein, ohne auf deren postalische Zusendung zu verzichten, da die Postzustellung erfahrungsgemäß nicht immer zuverlässig und pünktlich ist.
Wer jobcenter.digital nutzen will, muss jedoch seit dem 18.11.2024 erklären, dass er auf die postalische Zustellung von sämtlichen Schriftstücken verzichtet. Ohne diese generelle Verzichtserklärung ist es nicht mehr möglich jobcenter.digital zu nutzen.
Die Bundesagentur für Arbeit schreibt dazu:
„Schriftstücke (Bescheide, Nachweise, Schreiben), Anträge und Postfachnachrichten im Leistungspostfach werden Ihnen ausschließlich online bereitgestellt.“
Wie ist die Rechtslage dazu?
Für Verwaltungsakte im SGB II gilt § 37 Abs. 2a SGB X, danach können Verwaltungsakte mit Einwilligung des Beteiligten auch elektronisch d.h. in digitaler Form über ein Portal bekannt gegeben werden, worüber der Beteiligte per E-Mail zu benachrichtigen ist.
Für solche Verwaltungsakte gilt dann die Zustellfiktion, dass ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt am vierten Tag nach der Absendung der Benachrichtigungs-E-Mail als bekannt gegeben gilt, wobei im Zweifel das Jobcenter den Zugang der Benachrichtigung beim Empfänger nachweisen muss.
Da dem Gesetzgeber durchaus bewusst ist, dass dieser Zugangsnachweis in der Praxis so gut wie unmöglich ist, sollen diese Benachrichtigungen zukünftig entfallen. Stattdessen trifft den Empfänger dann die bereits in § 9 OZG de facto geregelte Pflicht, Portale wie jobcenter.digital täglich auf Eingänge zu kontrollieren. Und für die Zugangsfiktion eines elektronischen Schreibens reicht dann regelmäßig der Nachweis des Jobcenters aus, wann dieses im Portal eingestellt wurde.
Bei der Bereitstellung von Mitwirkungsaufforderungen, Anhörungen und Jobangeboten auf jobcenter.digital besteht zudem ein erhebliches rechtliches Problem, da es sich hier nicht um Verwaltungsakte handelt. Es gibt derzeit keine Rechtsgrundlage für die digitale Bereitstellung solcher Schreiben. Alles was kein Verwaltungsakt ist, müsste deshalb weiterhin postalisch zugestellt werden. Die Bundesagentur für Arbeit zwingt Nutzer von jobcenter.digital jedoch, genau darauf auf verzichten, was rechtswidrig sein dürfte.
Welche Folgen hat diese Verzichtserklärung?
Wer auf die postalische Zusendung von Schriftstücken verzichtet hat, um jobcenter.digital nutzen zu können, bekommt ab sofort Meldeaufforderungen, Leistungsbescheide, Mitwirkungsaufforderungen, Jobangebote etc. nur noch in elektronischer Form auf jobcenter.digital „zugestellt“ und (derzeit noch) eine Benachrichtigung darüber per E-Mail.
Daraus ergeben sich sowohl praktische als auch rechtliche Probleme.
Benötigt man Schreiben in Papierform, z.B. für eine andere Behörde, eine Beratungsstelle, den Anwalt, das Gericht oder auch nur für die Rundfunkgebührenbefreiung, muss man diese selbst ausdrucken. Man benötigt also einen Drucker.
Um sich gegen Rückforderungen abzusichern, musst man alle Verwaltungsakte vom Jobcenter mindestens 10 Jahre aufbewahren und Zugriff darauf haben, auch wenn man längst kein Kunde des Jobcenters mehr ist. Man muss diese Schreiben also lokal speichern und sichern, auch um sich gegen Datenverlust abzusichern und bei Ausfall des Internetzuganges darauf zugreifen zu können.
Doch immer weniger Menschen haben einen PC, viele besitzen nur ein Handy. Diese stehen dabei vor erheblichen Problemen: wie und wo sollen sie diese Daten sichern und bei Bedarf ausdrucken?
Hinzu kommen häufig auftretende technische Probleme. Funktioniert der Internet-Zugang nicht, oder kommt eine Benachrichtigungs-E-Mail nicht an, dann drohen Sanktionen vom Jobcenter, weil man eine Meldeaufforderung nicht rechtzeitig abrufen oder sich nicht zeitnah auf ein Jobangebot bewerben kann. Unter dem Damoklesschwert der von CDU und SPD angekündigten Sanktionsverschärfungen kann das den kompletten Leistungsverlust für mehrere Monate bedeuten.
Wenn zukünftig die Pflicht zur Benachrichtigung bei der Hinterlegung eines elektronischen Verwaltungsaktes entfällt, erfolgt damit auch eine Umkehr der bisherigen Beweislast für den Erhalt von Behördenschreiben zum Nachteil des Bürgers, da der Nachweis der Hinterlegung auf jobcenter.digital den bisherigen Nachweis der postalischen Zustellung ersetzt.
Und dass die Bundesagentur für Arbeit Nutzer von jobcenter.digital zwingt, auch bei Mitwirkungsaufforderungen, Anhörungen und Jobangeboten auf eine postalische Zusendung zu verzichten, kann die Empfänger schon heute in erhebliche Beweisnot bringen, weil es (noch) keine rechtlichen Regelungen dafür gibt.
Digital, oder doch lieber Post?
Wer nur temporär Zugriff auf das Internet hat, wer über keinen PC verfügt und keine anderweitige Möglichkeit zur Datensicherung und dem Ausdruck von elektronischen Schriftstücken hat, dem muss man von der Nutzung des Portals jobcenter.digital abraten.
Und solange es für Schreiben, die kein Verwaltungsakt sind, keine rechtliche Regelung zum Nachweis der elektronischen Zustellung gibt, sollte man schon aus Gründen der eigenen Rechtssicherheit auf die Nutzung des Portals jobcenter.digital verzichten.
Da die Nutzung von jobcenter.digital freiwillig ist, hat man jederzeit das Recht, die dort erteilte Zustimmung zu widerrufen (unter „Profil bearbeiten“ und dort unter „Online-Kommunikation“).
Danach erfolgt die Kommunikation wieder vollständig per Briefpost und die Beweispflicht dafür, ob und wann man ein Schreiben erhalten hat, liegt beim Jobcenter.