Viele Bürgergeld-Haushalte müssen einen Teil der Miete aus dem Regelsatz bestreiten. Das untergräbt das Existenzminimum – besonders für Familien und Alleinerziehende. Ein aktueller Regierungsbericht beziffert erstmals detailliert, wie groß die Wohnkostenlücke wirklich ist und wo die Schwachstellen liegen.
Inhaltsverzeichnis
Wohnkostenlücke: Was genau dahinter steckt
Die Wohnkostenlücke ist die Differenz zwischen Ihrer tatsächlichen Miete inklusive Heizkosten und dem Betrag, den das Jobcenter als „angemessen“ anerkennt. Diese Lücke müssen Leistungsberechtigte selbst tragen – aus dem Regelsatz oder aus Ersparnissen.
Der Rechtsrahmen in § 22 SGB II sieht zwar die Übernahme angemessener Kosten vor, doch die Angemessenheit wird kommunal mit eigenen Richtwerten festgelegt. In umkämpften Wohnungsmärkten liegen diese Grenzen oft unter den realen Mieten. Folge: Das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum wird faktisch unterschritten.
Neue Zahlen 2024: Umfang und Verteilung der Lücke
Die Bundesregierung hat für 2024 eine Gesamtlücke von rund 494 Millionen Euro ermittelt. Etwa 334.000 Bedarfsgemeinschaften waren betroffen. Das entspricht 12,6 Prozent aller Bürgergeld-Haushalte mit anerkannten Unterkunftskosten.
Im Schnitt beträgt die Differenz 15 Euro pro Monat über alle Haushalte – bei Betroffenen liegt sie bei 116 Euro monatlich. Diese Beträge werden nicht erstattet und fehlen beim täglichen Bedarf.
Schnellüberblick als Tabelle
Kennzahl | Wert (2024) |
Nicht übernommene KdU gesamt | 494 Mio. € |
Betroffene Bedarfsgemeinschaften | 334.000 (12,6 %) |
Monatsdifferenz (alle Haushalte) | 15€ |
Monatsdifferenz (Betroffene) | 116€ |
Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, Drs. 21/1005.
Familien, Kleinkinder und Alleinerziehende tragen die Hauptlast
Familienhaushalte sind besonders getroffen. Bei Bedarfsgemeinschaften mit Kindern summierte sich die Lücke 2024 auf 216 Millionen Euro; die durchschnittliche Differenz lag bei 18 Euro, bei betroffenen Familien sogar bei 142 Euro monatlich.
In Haushalten mit mindestens einem Kind unter sechs Jahren betrug die mittlere Lücke 18 Euro, bei Betroffenen 146 Euro. Alleinerziehende verzeichneten insgesamt 115 Millionen Euro Lücke; bei Betroffenen lag sie bei 131 Euro im Monat. Diese Zahlen zeigen: Wo Kinder im Haushalt leben, fehlt am Ende des Monats besonders viel.
Ein weiteres Alarmzeichen: 17,1 Prozent der Partner-Bedarfsgemeinschaften mit zwei Kindern wohnten 2024 auf unter 60 m² – deutlich unter den sozialpolitischen Richtwerten für Vier-Personen-Haushalte. Das drückt auf die Wohnqualität und erschwert kindgerechtes Leben.
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Bescheid prüfenHeizkosten: die oft übersehene Lücke
Nicht nur die Miete reißt Löcher. Auch bei Heizkosten zeigt der Bericht Defizite: Über alle Haushalte beträgt die durchschnittliche Differenz zwar nur 1,60 Euro im Monat.
Bei Betroffenen sind es jedoch 58 Euro – und das entspricht 35 Prozent der tatsächlichen Heizkosten dieser Haushalte. Steigende Energiepreise verschärfen die Lage, wenn Kommunen ihre Angemessenheitsgrenzen verzögert anpassen.
Warum die Lücke regional so groß ist
Die Richtwerte für „angemessene“ Mieten setzen die Kommunen. In der Praxis stoßen diese Konzepte regelmäßig an Grenzen – Gerichte kippen immer wieder zu niedrige Werte. Eine Auswertung der Wissenschaftlichen Dienste belegt zahlreiche Urteile allein im Jahr 2020, in denen Sozialgerichte kommunale Mietobergrenzen als rechtswidrig einstuften.
Das Problem besteht fort: In vielen Städten findet sich realistischerweise kein Wohnraum zu den angesetzten Werten. Wer nicht umziehen kann, zahlt drauf.
Karenzzeit: Entlastung auf Zeit – und bald eingeschränkt?
Seit der Bürgergeld-Reform gilt für Neuanträge eine Karenzzeit von einem Jahr: Die tatsächliche Miete wird in dieser Zeit unabhängig von der Angemessenheit übernommen. Das verhindert kurzfristig Wohnungsverlust, löst das Problem aber nicht dauerhaft. Juristisch ist die Karenzzeit in § 22 SGB II verankert.
Die aktuelle Koalition hat im Koalitionsvertrag 2025 eine Einschränkung angekündigt: Bei „unverhältnismäßig hohen“ Unterkunftskosten soll die Karenzzeit entfallen; zudem soll die Vermögens-Karenz fallen. Fachverbände kritisieren das, weil Betroffene dadurch schneller in Unterdeckungen rutschen könnten.
Ein Überblick von DIFIS und eine Handreichung des Paritätischen dokumentieren die Pläne. Politisch verantwortet die Linie die Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz.
Politische Bewertung: Ohne Reform bleibt die Lücke
Die Zahlen der Bundesregierung zeigen ein strukturelles Problem. Die Wohnkostenlücke trifft Hunderttausende – und bei Familien besonders hart. Kurzfristige Entlastungen wie die Karenzzeit wirken nur zeitweise. Die geplante Einschränkung riskiert neue Härten.
Notwendig sind realistische Mietobergrenzen, regelmäßige Aktualisierungen der Konzepte und schnellere Anpassungen bei Energiepreisen. Sonst zahlen weiter die, die am wenigsten haben.