Die Realität von Bürgergeld-Beziehern steht im Widerspruch zu den Verschärfungen

Lesedauer 3 Minuten

Das Bürgergeld versprach, die Entrechtungen des Hartz IV Systems zu mildern und Arbeitsuchende durch Qualifikation nachhaltig in den regulären Arbeitsmarkt zu bringen statt sie – wie bei Hartz IV- in Zeitarbeit und Niedriglohn zu drängen.

Der “Drehtür-Effekt”

2025 soll davon nur noch wenig übrig bleiben. Entgegen den bekannten Fakten sollen Leistungsberechtigte durch erhöhten Druck in Jobs gepresst werden. Bei Hartz IV hatte diese Methode den “Drehtür-Effekt”. Die Betroffenen verloren nicht nur ihre Grundrechte, sondern mussten, nachdem Abzocker sie einige Monate zu Niedrigstlöhnen ausgesaugt hatten, wieder Hartz IV beziehen.

Der Fokus beim Bürgergeld auf Weiterbildung sollte genau dies verhindern und stattdessen eine stabile Berufsperspektive ermöglichen. Verschärfte Regeln 2025 schlagen genau dieses Konzept kaputt.

Druck auf Arbeitsuchende verhindert nachhaltige Arbeit

Jetzt melden sich auch Fachleute für den Arbeitsmarkt zu Wort. So unterschiedlich ihre Ansätze auch sind, so besteht unter ihnen Einigkeit darüber, dass Druck auf Arbeitsuchende verhindert, sie nachhaltig in Jobs zu bringen.

Gezinkte Karten beim Spiel mit den Zahlen

Politiker und Medien, die gegen “faule” Leistungsberechtigte zu Felde ziehen, haben im besten Fall keine Ahnung von der Wirklichkeit, oder aber sie hantieren mit falschen Zahlen. Wer Bürgergeld bezieht, der oder die gilt als (grundsätzlich) erwerbsfähig und steht damit generell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.

Nur jeder Dritte Bürgergeld-Beziehr ist “wirklich” arbeitslos

Die Polemik macht aus 5,5 Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen, Erwerbslose, die arbeiten könnten, dies aber nicht tun. Die Realität sieht gänzlich anders aus. Lediglich ein Drittel der Betroffenen steht tatsächlich als “echte Arbeitslose” dem Arbeitsmarkt zur Verfügung – 1,7 Millionen von 5,5 Millionen.

Kinder, kleiner Lohn und Krankheit

Bürgergeld beziehen alleinstehende Mütter und Väter, die kleine Kinder betreuen müssen. Darüber hinaus sind ein erheblicher Teil der Leistungsberechtigten Erwerbstätige, deren Lohn nicht zum Leben reicht. Sehr viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, haben psychiatrische Diagnosen, leiden an Suchtkrankheiten oder körperlichen Gebrechen.

Keine dauerhaften Jobs

Zu den geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld gehört, dass ein täglicher Pendelweg von drei Stunden jetzt als zumutbar gilt.

Helena Steinhaus von der Initiative sanktionsfrei klärt über Fakten auf, die die Propaganda gegen Leistungsberechtigte verschweigt: “Wenn künftig beispielsweise wie geplant ein Pendelweg von drei Stunden als zumutbar gelte, nähmen Menschen diese Jobs zwar an. Lange dauerten diese Arbeitsverhältnisse aber oft nicht. “Es ist nachgewiesen, dass sie diese Arbeit dann nicht dauerhaft ausüben, weil sie natürlich nur unter Zwang angenommen wurde. Und das nennt man dann den Drehtüreffekt.”

Sinnvoll sei es hingegen, Menschen von Anfang an in Jobs zu vermitteln, die ihnen wirklich entsprechen. Genau das war beim Bürgergeld auch der Ansatz der “Kooperation auf Augenhöhe”.

Lesen Sie auch:
Bafög verfassungswidrig: Darf nicht niedriger sein als Bürgergeld

Alleinerziehende und Pfleger

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, weist auf die tatsächliche Situation hin. Ihm zufolge gehören zu den 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern 800.000 Erwerbstätige, die mit Bürgergeld aufstocken müssen, nahezu zwei Millionen Kinder, Alleinerziehende, chronisch Kranke und Menschen, die Angehörige in Vollzeit pflegen.

Das Problem ist die Qualifizierung

Die Zahl der “echten” Arbeitslosen sei unter den Leistungsberechtigten niedrig, so Fratzscher. Von diesen hätten zwei von drei bis drei von vier keine Qualifikation und keinen Berufsabschluss. Das Problem liegt dem Wirtschaftsforscher zufolge also in der Qualifizierung.

Bei Menschen aus dem Ausland, die Bürgergeld bezögen, sei häufig ihre Berufsqualifikation in Deutschland nicht anerkannt. Zudem müssten oft erst Sprachbarrieren abgebaut werden.

Bürokratie verhindert Arbeitsuche

Auch manche Politiker und Politikerinnen aus den Regierungsparteien machen nicht mit bei den Märchen über “faule Bürgergeld-Bezieher”, sondern sprechen aus, was diese Lügen vertuschen sollen: Viele Leistungsberechtigte, die verzweifelt in Arbeit kommen wollen, werden durch die Bürokratie und den Mangel an Kitas daran gehindert.

So erklärt Kathrin Michael von der SPD, dass es sogar nach erfolgreichen Sprachkursen zu lange dauere, bis Berufsabschlüsse aus dem Ausland anerkannt würden. Sie sagt: “Das ist eindeutig Landessache. Und da weiß ich hier aus Sachsen, dass wir teilweise zwölf Monate und länger brauchen, um Berufsabschlüsse aus dem Ausland anzuerkennen. Es ist ein unheimlicher Wust an Bürokratismus.”

Fehlende Kitaplätze

Sehr viele Menschen sind auf Bürgergeld angewiesen, weil sie zu Hause auf kleine Kinder aufpassen müssen, für die es keinen Kitaplatz gibt. Mehr als 37 Prozent der Alleinerziehendenfamilien in Deutschland sind von ergänzendem Bürgergeld abhängig.