Diakonie stellt lebensnahe Hartz IV-Regelleistungen vor

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Zum Jahreswechsel steigen die Regelleistungen bei Hartz IV. Sozialverbände, Kirchen und Erwerbslosengruppen kritisieren die Anpassungen als “unzureichend” und lebensfern.

Die Diakonie Deutschland fordert, die Berechnungsmethode für die Regelsätze in der Grundsicherung grundlegend zu reformieren und an die Lebenswirklichkeit von Leistungsberechtigen anzupassen. Hierfür hat sie ein neues Rechenkonzept vorgelegt, dass von der Forscherin Dr. Irene Becker erstellt wurde.

Das neue Berechnungskonzept bei Hartz IV soll nach Ansicht der Forscherin “ein realistisches Existenzminimum” darstellen, aber “zugleich den Abstand der Regelsätze zu den mittleren Einkommen” wahren.

Menschenwürdiges Leben soll ermöglicht werden

„Menschen, die Grundsicherung beziehen, müssen davon menschenwürdig leben und soziale Teilhabe erfahren können. Das Modell der Diakonie schlägt eine Berechnung vor, die Fehler der Vergangenheit und willkürliche Streichungen von Ausgaben vermeidet. Mit diesem Konzept wird ein realistischer Regelsatz ermittelt, der das Lebensnotwendige und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, zugleich aber auch einen Abstand der Regelsätze zu den mittleren Einkommen wahrt”, sagte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, bei Vorstellung des Konzeptes.

Der Kern des Diakonie-Rechenmodells: Referenzausgaben für physische Grundbedarfe wie Nahrung und Kleidung dürfen um maximal 25 Prozent, die weiteren Ausgaben um nicht mehr als 40 Prozent hinter dem zurückbleiben, was die gesellschaftliche Mitte ausgibt.

Dazu wird eine statistische Vergleichsgruppe mit niedrigen Einkommen identifiziert, die diesen Vorgaben am nächsten kommt. Anhand dieser wird der Regelsatz ermittelt. Sie wird mit dem nach Einkommen mittleren Fünftel der Haushalte verglichen.

„Das neue Verfahren belässt einen politischen Entscheidungsspielraum, stellt aber auch sicher, dass der Abstand zwischen dem Existenzminimum und dem mittleren Lebensstandard nicht zu groß ist. Es ist transparent und nimmt keine willkürlichen Kürzungen vor“, sagt Gutachterin Dr. Irene Becker.

Maria Loheide betont: „Dieser Vorschlag macht deutlich: In der Sozialpolitik müssen wir offen darüber diskutieren, wie weit das Existenzminimum sich von dem entfernen darf und soll, was in der gesellschaftlichen Mitte normal ist. An die Stelle willkürlicher Entscheidungen in Rechendetails gehört eine klare und transparente Festlegung dieses Abstands.“

Auf Grundlage des Diakonie-Modells könnte das Statistische Bundesamt die Auswertung der nächsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorbereiten. Die Diakonie schlägt vor, eine Sachverständigenkommission einzusetzen, die die Methodik der Regelsatzermittlung weiterentwickelt. „Wir müssen bereits jetzt Weichen für eine korrekte Berechnung im Jahr 2024 stellen. Es ist genug Zeit, Expertise aus Wissenschaft und Verbänden zu nutzen, damit methodische Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden“, so Loheide.

Zum Hintergrund: Methodischer Hinweis und Vergleich

Nach dieser Methode sind Haushalte mit einem Sozialleistungsanspruch nicht Teil der statistischen Vergleichsgruppe. In die Regelsatzermittlung fließen zudem nur Ausgaben ein, die sinnvoll als Pauschalen gestaltet werden könnten: Lebensfremde Annahmen wie das jahrelange Sparen auf einen Kühlschrank entfallen. Kostenintensive Anschaffungen werden gesondert finanziert. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen sind die ab 2021 vorgesehenen Regelsätze bis rund 180 Euro zu niedrig. Die folgende Tabelle vergleicht die Berechnungen aus dem Gutachten mit den Berechnungen des BMAS im beschlossenen Gesetz:

Regelsätze / Personengruppen BMAS Regelsatz RBEG 2020 gesamt Regelsatzermittlung Dr. Irene Becker RBEG 2020 vergleichbare Positionen* Differenz vergleichbarer Positionen RBEG / Becker
Alleinstehende 446,00 578,98 € 396,34 182,64
Paare 802,00 971,36 € 723,40 257,96
Kinder unter 6 Jahren 283,00 282,97 € 280,92 2,05
Kinder von 6 bis 13 309,00 384,74 € 315,29 69,45
Jugendliche (14- 17) 373,00 443,66 € 371,15 72,52

* Da im Alternativmodell die nicht pauschalierbaren Ausgaben weiter abgegrenzt sind als im RBEG, sind die ermittelten Beträge nicht unmittelbar mit den Ergebnissen des gesetzlichen Ermittlungsverfahrens vergleichbar. Deshalb wurden die Beträge laut RBEG um die Ausgabenpositionen Strom, Wohnungsinstandhaltung, Möbel, Teppiche, Kühl- und Gefriergeräte, Waschmaschinen und sonstige Haushaltsgroßgeräte reduziert und auf dieser Basis die Mehrbeträge gegenüber „RBEG vergleichbar“ berechnet. Teilweise sind hier auch pauschalierte Zusatzbeträge enthalten, die zusätzlich zum Regelsatz erstattet werden wie z.B. die 15-€-Pauschale aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, in diesem Gutachten aber als Teil des Regelsatzes eingerechnet wurden.

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