Bürgergeld: Gericht bestätigt Recht auf Schwärzen der Kontoauszüge

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Jobcenter dürfen die Vorlage von Kontoauszügen verlangen, um die Hilfebedürftigkeit von Bürgergeld-Antragstellern zu prüfen. Dieses Recht der Verwaltung korrespondiert mit der Mitwirkungspflicht der Betroffenen und ist seit Jahren von der Rechtsprechung anerkannt.

Strittig blieb jedoch immer, wie tief der Einblick reichen darf: Müssen Kontobelege lückenlos und ungeschwärzt offengelegt werden – oder dürfen sensible Angaben verdeckt werden?

Mit einem Urteil hat das Sächsische Landessozialgericht (Az. L 7 AS 535/21) hier eine klare Linie gezogen und zugleich die Jobcenter in die Pflicht genommen.

Der konkrete Fall

Ausgangspunkt war die Klage eines Ehepaares, das pandemiebedingt sein Geschäft schließen musste und im März 2020 Bürgergeld beantragte. Das Jobcenter verlangte daraufhin mehrfach „lückenlose und vollständige“ Kontoauszüge der letzten drei Monate sämtlicher Girokonten, um Hilfebedürftigkeit sowie Kosten der Unterkunft zu prüfen. Weil die Antragsteller ungeschwärzte Belege nicht für erforderlich hielten, versagte das Jobcenter die Leistungen zunächst.

Das Sozialgericht Dresden stellte sich in erster Instanz auf die Seite der Behörde. Erst in der Berufung kippte das Landessozialgericht die Versagungsbescheide.

Entscheidung: Schwärzen ist zulässig – und müssen kommuniziert werden

Das LSG Sachsen hält fest: Kontoauszüge dürfen grundsätzlich verlangt werden. Zugleich dürfen Betroffene Angaben zu Empfängern nicht leistungsrelevanter Zahlungsausgänge schwärzen. Maßgeblich ist, ob eine Information für die Anspruchsprüfung benötigt wird.

Unzulässig ist die pauschale Forderung nach „vollständigen“ und damit ungeschwärzten Kontoauszügen. Entscheidend war im vorliegenden Fall, dass das Jobcenter nicht ausdrücklich auf das Recht zur Schwärzung hingewiesen hatte; die Versagung wegen vermeintlich fehlender Mitwirkung war deshalb rechtswidrig.

Anschluss an die höchstrichterliche Linie

Mit seiner Wertung knüpft das LSG an die Grundsätze des Bundessozialgerichts an. Das BSG hat bereits 2020 betont, dass eine unkontrollierte Einsichtnahme in private Ausgabeverhältnisse nicht statthaft ist und zugleich die Archivierung bestimmter Kontounterlagen – etwa zur Nachvollziehbarkeit von Einnahmen – über Jahre zulässig sein kann.

Der Gedanke dahinter: Der Staat darf nur so weit sehen, wie es für die rechtmäßige Leistungsgewährung erforderlich ist. Die LSG-Entscheidung ordnet sich in diese Schutzbalance ein.

Was „leistungserheblich“ bedeutet – und wo die Grenze verläuft

Leistungserheblich sind alle Informationen, die für die Feststellung von Einkommen, Vermögen und Bedarfen notwendig sind. Deshalb müssen etwa Gutschriften erkennbar bleiben, weil sie unmittelbar in die Einkommensprüfung einfließen.

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Auf der Ausgabenseite dürfen hingegen Empfängernamen und Verwendungszwecke verborgen werden, sofern sie keinen Einfluss auf den Leistungsanspruch haben. Der Betrag selbst muss lesbar bleiben, denn nur so lassen sich Zahlungsflüsse plausibilisieren. Diese Grenzziehung entspricht der sozialgerichtlichen Praxis verschiedener Senate.

Hinweispflicht der Jobcenter: Formalie mit großer Wirkung

Von erheblicher Tragweite ist die vom LSG betonte Pflicht der Jobcenter, aktiv auf das Schwärzungsrecht hinzuweisen. Ein bloßer, allgemein gehaltener Hinweis – etwa, dass bei Bedarf Kontostände verdeckt werden können – genügt nicht.

Die Behörden müssen klarstellen, dass nicht leistungsrelevante Empfängerdaten und Zwecke von Ausgaben unkenntlich gemacht werden dürfen. Fehlt ein solcher Hinweis, trägt der Versagungsbescheid die rechtlichen Voraussetzungen nicht und ist aufzuheben. Diese Präzisierung schafft Rechtssicherheit und verhindert pauschale Total-Einblicke in Privatsphären.

Folgen für die Praxis: Mehr Augenmaß, weniger Pauschalforderungen

Für Antragsteller bedeutet das Urteil zweierlei: Sie bleiben verpflichtet, Kontoauszüge vorzulegen, können aber sensible Ausgabedetails schwärzen, wenn diese für die Leistungsentscheidung ohne Belang sind.

Exkurs: Kein Zinsanspruch trotz Fehler der Behörde

Das LSG verwehrte dem klagenden Ehepaar einen Zinsanspruch von vier Prozent auf nachgezahlte Leistungen. Zur Begründung stellte das Gericht darauf ab, dass die erforderlichen Belege erst im Juni 2021 vollständig – wenn auch geschwärzt – vorlagen.

Die ursprünglichen Versagungsbescheide waren zwar wegen fehlender Hinweise rechtswidrig, doch begründet dies nicht automatisch eine Verzinsung. Die Entscheidung trennt damit sorgfältig zwischen formeller Rechtswidrigkeit und materieller Anspruchsreife.

Bewertung

Die Linie des Gerichts fügt sich stimmig in die Rechtsprechung ein, wonach Einnahmen offen zu legen sind, während bei Ausgaben ein datenschutzkonformer Filter zulässig bleibt. Für die Verwaltungspraxis bedeutet dies mehr Präzision und Transparenz; für Leistungsberechtigte bringt es greifbare Souveränität über höchstpersönliche Kontodaten.

Rechtlicher Hintergrund in Kürze

Die Entscheidung steht auf dem Fundament der Mitwirkungsregelungen und des Sozialdatenschutzes. Sie bestätigt, dass Datenverarbeitungen am Zweck der Leistungsgewährung auszurichten sind und einen angemessenen, verhältnismäßigen Umfang wahren müssen.

Damit stärkt sie die informationelle Selbstbestimmung, ohne die Funktionsfähigkeit der Grundsicherung zu gefährden. Die Klarstellung der Hinweispflicht verhindert, dass formale Versäumnisse in den Behördenpraxis zur materiellen Anspruchsvereitelung führen.

Hinweis: Das Urteil des LSG Sachsen (L 7 AS 535/21) sowie Auswertungen und Leitsätze hierfür sind u. a. dokumentiert und zusammengefasst; die Entscheidung bezieht sich auf die bereits bestehende Rechtsprechung des BSG, insbesondere zur Reichweite zulässiger Einsichtnahmen und zur Aufbewahrung von Kontoauszügen.