Bürgergeld: Regelsatz-Klage zur Höhe auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht

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„Als der Gerichtsbescheid vor mir lag, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Beim Lesen habe ich mich gefragt, wo der ‚Geist‘ unseres Grundgesetzes geblieben ist“, resümiert Kläger Thomas Wasilewski gegenüber dem Portal “Armut Verbindet”.

Dieser Satz bringt die Verzweiflung und den Unmut vieler Bürgergeld-Bezieher auf den Punkt, die sich in einer scheinbar unlösbaren Spirale von Armut und staatlicher Ignoranz gefangen sehen.

Die Geschichte von Wasilewski ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom eines tiefer liegenden Problems in unserer Gesellschaft.

Steigende Inflation senkte Kaufkraft

Im Sommer 2022 sah sich Deutschland einer rasant steigenden Inflation gegenüber, die besonders die Preise für Lebensmittel und Energie in die Höhe trieb.

Während viele Bürger die gestiegenen Lebenshaltungskosten im Portemonnaie zu spüren bekamen, war die Lage für diejenigen, die auf Sozialleistungen wie Hartz IV angewiesen waren, noch sehr viel bedrückender.

Thomas Wasilewski, ein Familienvater, der in dieser Zeit noch Hartz IV bezog, erlebte diese Entwicklung hautnah. Trotz der Umbenennung von Hartz IV in das sogenannte Bürgergeld bleibt das Problem bestehen: Viele Menschen in Deutschland leben unter der Armutsgrenze und kämpfen tagtäglich ums Überleben.

Die Musterklage: Warum Wasilewski und der VdK klagten

Die Klage, die Wasilewski gemeinsam mit dem VdK und dem SoVD im Sommer 2022 einreichte, war mehr als nur ein Versuch, höhere Sozialleistungen zu erlangen. Sie stellte eine grundsätzliche Frage:

Wie definiert sich das soziokulturelle Existenzminimum in Deutschland? Für Wasilewski und viele andere Betroffene bedeutet dies nicht nur physisches Überleben, sondern auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Doch das Jahr 2022 brachte eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze von lediglich 0,76 Prozent.

Angesichts der Inflation und der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten war diese Anpassung kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Argumentation der Sozialverbände, unterstützt durch das Gutachten von Dr. Irene Becker, machte deutlich, dass diese Erhöhung nicht annähernd ausreichte, um die Teuerung auszugleichen.

Hartz IV und die Preisentwicklung: Warum die Anpassung der Regelsätze scheitert

Dreh und Angelpunkt der Debatte ist die Frage, wie schnell und in welchem Umfang der Gesetzgeber auf Preisentwicklungen reagieren muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2010 klargestellt, dass die Regelsätze für Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, nicht nur die physische Existenz sichern, sondern auch die Teilhabe an sozialen und kulturellen Aktivitäten ermöglichen müssen.

Diese Forderung wurde 2014 noch einmal bekräftigt. Doch die Realität sieht anders aus:

Während die Inflation auf über sieben Prozent anstieg und die Energiekosten um mehr als 20 Prozent explodierten, erhielten Sozialleistungsberechtigte nur eine minimale Anpassung ihrer Leistungen.

Wasilewski und die Sozialverbände argumentierten, dass dies das Existenzminimum unterschreitet – ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip.

Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf: Ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen?

Im März 2023 wies das Sozialgericht Düsseldorf die Klage ab. Obwohl das Gericht die hohe Inflationsrate und die damit verbundene Kaufkraftminderung nicht leugnen konnte, sah es keine Verfassungswidrigkeit in der geringen Erhöhung der Sozialleistungen.

Stattdessen verwies es auf die neuen Erhöhungen beim Bürgergeld und argumentierte, dass diese einen Inflationsausgleich darstellen würden.

Doch diese Argumentation greift zu kurz: Für Wasilewski und viele andere Betroffene bedeutet dies, dass sie weiterhin mit einem Existenzminimum leben müssen, das nicht ausreicht, um die grundlegenden Bedürfnisse zu decken.

Zudem äußerte das Gericht die Befürchtung, dass höhere Sozialleistungen dazu führen könnten, dass Menschen ihre Arbeit aufgeben und von Sozialleistungen leben wollen – eine Argumentation, die Wasilewski als „sachfremd“ zurecht bezeichnete.

Das Sozialstaatsprinzip: Ein unverfügbares Grundrecht

Das Sozialstaatsprinzip ist eines der fundamentalen Prinzipien des deutschen Grundgesetzes.

Es soll sicherstellen, dass jeder Bürger ein menschenwürdiges Existenzminimum erhält, unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage. Dieses Grundrecht, das aus der Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet wird, wurde vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen bekräftigt.

Doch die Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf lässt fragen auf, ob dieses Prinzip in der Praxis tatsächlich umgesetzt wird. Die Argumentation des Gerichts, dass auch Sozialleistungsbezieher mit weniger auskommen müssen, widerspricht der Idee eines Sozialstaats, der die Existenz seiner Bürger sichern soll.

Langer Weg zum Bundesverfassungsgericht?

Wasilewski und der VdK haben gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf Berufung eingelegt. Es wird ein langer und schwieriger Weg, der wahrscheinlich bis vor das Bundesverfassungsgericht führen wird.

Doch die Frage bleibt bestehen: Wird das Bundesverfassungsgericht erneut bestätigen, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss?

Die Ignorieren der bisherigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts durch das Sozialgericht lässt Zweifel aufkommen.

Doch eines ist sicher: Die Entscheidung in diesem Fall wird weitreichende Konsequenzen für das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit und dem Sozialstaatsprinzip in Deutschland haben.