Bürgergeld: Jobcenter fordert eine Wegeunfähigkeitsbescheinigung?

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Wegeunfähigkeitsbescheinigung (WU)? Viele unserer Leser haben dieses Wort noch nie gehört, und auch manche Ärzte, die uns krankschreiben, schütteln erst einmal den Kopf bei diesem Begriff. Doch die Jobcenter verlangen immer häufiger eine solche WU, weil ihnen die reguläre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) von Bürgergeld Beziehern nicht reicht.

Was kannst du also tun, wenn du erkrankt bist, und das Jobcenter diese zusätzliche Bescheinigung verlangt, wenn du nicht zu einem Termin erscheinst? Dürfen die Jobcenter das überhaupt? Wie ist die Rechtslage?

Wegeunfähigkeitsbescheinigung?

Eine „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ (WU) oder „Reiseunfähigkeitsbescheinigung“ sagt aus, dass der Betroffene keine Wege auf sich nehmen kann, und damit auch keine Termine wahrnehmen, die mit einer Anfahrt verbunden sind.

Ärzte geben Ihnen eine solche Bescheinigung nicht regulär, wenn Sie wegen einer Erkrankung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) erhalten, also krank geschrieben werden. Es handelt sich vielmehr um ein zusätzliches Dokument, für das Arztpraxen in der Regel eine Extragebühr verlangen, die bis zu 25 Euro betragen kann.

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Ärzte stellen diese WU deshalb nicht regulär bei Krankschreibung aus, weil Arbeitgeber nur äußerst selten eine zusätzliche Bescheinigung außer der elektronisch übermittelten AU erwarten – oder auch nur daran denken.

Ganz anders sieht es bei den Jobcentern aus. Diese fordern eine WU weit häufiger und verlangen sie, wenn krank geschriebene Leistungsberechtigte nicht zu Terminen bei der Behörde erscheinen können.

Wie ist die Rechtslage?

Das Bundessozialgericht erklärte bereits 2010, dass bei Meldeterminen eine AU zwar regelmäßig ausreicht, um nicht zu erscheinen, jedoch nicht ausnahmslos: „Macht der Arbeitslose gesundheitliche Gründe für sein Nichterscheinen geltend, kommt als Nachweis für die Unfähigkeit, aus gesundheitlichen Gründen beim Leistungsträger zu erscheinen, zwar regelmäßig die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Betracht. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen.“ (B4 AS 27/10 R)

Die Bundesagentur für Arbeit bezieht sich auf dieses Urteil und leitet daraus ab: „Jedenfalls nach vorheriger Aufforderung kann vom Leistungsberechtigten auch ein ärztliches Attest für die Unmöglichkeit des Erscheinens zu einem Meldetermin verlangt werden.“

Allerdings nennt die Bundesagentur als zusätzliche Bescheinigung ein ärztliches Attest, und nicht speziell eine WU.

Das Bayerische Landessozialgericht hatte bereits 2009 das Recht von Jobcentern bestätigt, von Leistungsbeziehern beim Nichteinhalten von Meldeterminen eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen.

Wörtlich heißt es im Urteil: „Da es bei der Wahrnehmung eines Termins (…) nicht um die Frage der Arbeitsfähigkeit geht, ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung letztlich nicht aussagekräftig, dafür (…) diesen Termin wahrzunehmen.

Hier ist es angemessen eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Damit soll der Kläger das Unvermögen seiner Anreise entschuldigen und klarstellen, dass er seiner Pflicht (…) nicht nachkommen kann.

Dies bedeutet, dass das Verlangen der Vorlage der Reiseunfähigkeitsbescheinigung Ausfluss der dem Kläger vom Gesetzgeber (…) auferlegten Meldepflicht ist, der er nicht nachgekommen ist.“ (L 16 AS 268/08 NZB).

Laut diesen Urteilen sind die Jobcenter also grundsätzlich berechtigt, bei der Entschuldigung für nicht eingehaltene Meldetermine eine Bescheinigung der Wegeunfähigkeit / Reiseunfähigkeit zu verlangen.

Wann ist eine WU nicht nötig?

Auf die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit zu verweisen reicht also bei rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem Jobcenter wegen der Meldepflicht nicht aus. Allerdings zeigen bestimmte Krankheitsbilder, dass Sie objektiv nicht fähig sind, oder es unzumutbar ist, zu einem Termin zu erscheinen.

Dazu gehören zum Beispiel gebrochene Beine, ein Bandscheibenvorfall, infektiöse Erkrankungen und generell Leiden, die mit Bettlägerigkeit verbunden sind.

Sie dürfen aber nicht davon ausgehen, dass auch das Jobcenter diese objektiven Tatsachen anerkennt. Oft genug rücken erst die Sozialgerichte Fehlentscheidungen gegenüber Leistungsberechtigten gerade, die auf den ersten Blick ersichtlich sind.

Zeugenbeweis oder eidesstattliche Versicherung

Für eine Unfähigkeit, den Weg auf sich zu nehmen, gilt auch eine eidesstattliche Versicherung oder ein Zeugenbeweis. Das Jobcenter hat eine Amtsermittlungspflicht laut dem Paragrafen 20 des SGB X.

Es darf also nicht ausschließlich eine WU akzeptieren und andere Beweismittel ignorieren (wie die Zeugenaussage oder die eidesstattliche Versicherung ignorieren), sondern ist verpflichtet, diese zu prüfen.

Liegen solche Alternativen vor und verhängt das Jobcenter trotzdem Sanktionen wegen Nichteinhalten der Meldepflicht / Terminversäumnis, dann sollten Sie unbedingt Widerspruch einlegen oder, wenn nötig, im nächsten Schritt Klage vor dem Sozialgericht erheben.

Was ist mit der Sondergebühr?

Ärzte stellen die WU nicht regelmäßig aus, und für zusätzliche Dokumente verlangen Praxen meist eine Sondergebühr. Das Jobcenter ist verpflichtet, Ihnen diese zu erstatten, und Sie sollten das vor dem Ausstellen der Bescheinigung mit Arzt und Jobcenter klären, sowie sich die Übernahme von Attestkosten vom Jobcenter schriftlich bestätigen lassen.