Bürgergeld: Geldzuwendungen für notwendige Reparaturen gelten nicht als Einkommen – Urteil

Lesedauer 3 Minuten

Der Fall behandelt, ob eine Zuwendung der Mutter an die Klägerin als Einkommen im Sinne des SGB II zu betrachten ist. Die Klägerin, Besitzerin eines Einfamilienhauses, bezog ALG II vom Jobcenter. Nach einer Dachbeschädigung im Jahr 2017 erhielt sie von ihrer Mutter 7130 Euro zur Finanzierung der Reparaturen.

Das Jobcenter sah diesen Betrag als Einkommen an, was zur Aufhebung von Bewilligungsbescheiden führte. Der Streit wurde bis zur dritten Instanz vor das Bundessozialgericht getragen, welches eine Entscheidung fällte.

Hintergrund: Dachschäden und Zuwendung zur Reparatur

Das Dach des Hauses der Klägerin wurde 2017 stark beschädigt, was eine Neueindeckung unumgänglich machte. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 7125,98 Euro. Am 24. Mai 2017 erhielt die Klägerin von ihrer Mutter 7130 Euro zur Begleichung dieser Rechnung, die am 25. Mai 2017 bezahlt wurde.

Entscheidung des Jobcenters: Aufhebung der Leistungsbewilligung

Das Jobcenter, das ALG II bewilligt hatte, erfuhr von der Dachreparatur und stellte fest, dass die Klägerin keine eigenen Mittel zur Finanzierung hatte. Da sie keine Auskunft zur Finanzierung gab, hob das Jobcenter die Bewilligungsbescheide für August bis November 2017 mit der Begründung des “Wegfalls der Hilfebedürftigkeit” auf.

Gerichtliche Entscheidungen in den Instanzen

Die Klägerin klagte gegen den Aufhebungsbescheid. Das Sozialgericht wies die Klage ab, doch das Thüringer Landessozialgericht entschied zugunsten der Klägerin und hob den Bescheid des Jobcenters auf.

Das Gericht entschied, dass die Zuwendung der Mutter nicht als Einkommen angerechnet werden dürfe, da die Anrechnung grob unbillig sei und die finanzielle Lage der Klägerin nicht wesentlich verbessert habe.

Revision des Jobcenters: Argumente vor dem Bundessozialgericht

Das Jobcenter legte Revision beim Bundessozialgericht ein. Es argumentierte, die Zuwendung der Mutter sei Einkommen und über sechs Monate anzurechnen. Zudem sei keine grobe Unbilligkeit gegeben, die eine Anrechnung ausschließe.

Urteil des Bundessozialgerichts: Keine Berücksichtigung der Zuwendung als Einkommen

Das Bundessozialgericht wies die Revision zurück. Es entschied, dass die Zuwendung der Mutter ab August 2017 nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei. Maßgebliche Gründe:

  1. Unabweisbarer Bedarf: Die Dachreparaturkosten waren notwendig, um das bewohnte Eigentum zu erhalten. Diese Kosten hätten grundsätzlich als Bedarf vom Jobcenter anerkannt werden müssen.
  2. Grobe Unbilligkeit: Die Zuwendung diente ausschließlich der notwendigen Reparatur, die das Jobcenter hätte abdecken müssen. Die finanzielle Lage der Klägerin wurde dadurch nicht erheblich verbessert.
  3. Keine dauerhafte Vermögensvermehrung: Die Zuwendung wurde direkt für die Reparatur verwendet. Nur der Differenzbetrag von 146,54 Euro wurde als Einkommen im Juni 2017 angerechnet.

Rechtliche Grundlagen: SGB II und Einkommen

Das Bundessozialgericht stützte seine Entscheidung auf folgende Bestimmungen:

  • § 11 SGB II: Definiert das zu berücksichtigende Einkommen.
  • § 11a SGB II: Regelt, welche Einnahmen nicht als Einkommen angerechnet werden. Zuwendungen ohne rechtliche Pflicht sind nicht zu berücksichtigen, wenn ihre Anrechnung grob unbillig wäre.
  • § 22 SGB II: Bezieht sich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, einschließlich notwendiger Instandhaltungen.

Bedeutung des Urteils für die Praxis

Das Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Sozialbehörden. Es betont die Bedeutung der Einzelfallprüfung bei Zuwendungen Dritter. Sozialbehörden müssen prüfen, ob eine Anrechnung gerechtfertigt ist, besonders wenn Zuwendungen zur Deckung eines unabweisbaren Bedarfs dienen, den die Behörde selbst hätte abdecken müssen.

Das Urteil zeigt, dass Zuwendungen, die lediglich den Status quo sichern, nicht als Einkommen zu werten sind, wenn keine nachhaltige Verbesserung der finanziellen Lage eintritt.

Formelle und materielle Rechtmäßigkeit

Das Bundessozialgericht prüfte auch die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids vom 18. Juli 2017. Die Anhörung der Klägerin wurde nachgeholt, was den Bescheid formell rechtmäßig machte. Materiell war der Bescheid jedoch nicht haltbar, da die Zuwendung ab August 2017 nicht als Einkommen zu berücksichtigen war.

Der Hinweis des Jobcenters auf eine mögliche sittliche Verpflichtung der Mutter wurde nicht anerkannt. Eine solche Verpflichtung besteht nur, wenn besondere Umstände die Unterstützung zwingend machen. Dies war hier nicht der Fall, da die Klägerin auf Sozialleistungen angewiesen war.