In Deutschland polarisiert das Thema Bürgergeld die Menschen. Oft begegnen uns verfestigten Meinungen, dass Bezieher„alles bezahlt bekämen“ und dass Armut vielfach auf „Eigenverschulden“ durch unverantwortliches Konsumverhalten zurückzuführen sei. Das lesen wir in unzähligen Mails, in den Kommentarspalten auf YouTube und Social Media oder auch in persönlichen Gesprächen.
Diese Ansichten entstammen jedoch oft älteren Gesellschaftsstrukturen und sind geprägt von Erfahrungen, die auf die heutige Zeit nicht zutreffen. Der Glaube, dass der berufliche und finanzielle Aufstieg jedem, der ihn anstrebt, offengestanden hätte, ist vielfach nicht mehr haltbar.
Zudem ist die Mehrheit der Leistungsbeziehenden unverschuldet in diese Lage geraten. Entweder aus Krankheit, weil sie alleinerziehend sind oder ihr Alter und ihr berufliches Wissen nicht mehr benötigt werden. Wir haben noch niemanden getroffen, der sagt: “Toll ich bekomme Bürgergeld! Mir gehts gut!”
Wird wirklich „alles“ bezahlt?
Oft übersehen ist die sogenannte „Wohnkostenlücke“ – eine Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Mietkosten und dem, was Bürgergeldempfänger vom Jobcenter tatsächlich zur Deckung der Unterkunftskosten erhalten.
Auf eine unlängst gestellte Anfrage der Linkspartei hat die Bundesregierung Zahlen veröffentlicht, die einen alarmierenden Einblick geben.
Durchschnittlich mussten Bürgergeldempfänger 2023 etwa 103 Euro monatlich aus dem kargen Regelsatz zur Miete beitragen – eine Summe, die viele zwingt, an Lebensmitteln, Gesundheitsausgaben oder Kleidung zu sparen.
Gerade Haushalte mit Kindern sind besonders betroffen: Familien mit einem Kind unter sechs Jahren zahlten durchschnittlich 128 Euro monatlich selbst.
Alleinerziehende Mütter und Väter, die oft zu den besonders vulnerablen Gruppen zählen, mussten im Schnitt etwa 115 Euro selbst beisteuern. Diese Summen zeigen, dass das Bürgergeld eben nicht eine rundum abgesicherte Grundversorgung ist.
Vielmehr müssen viele Bezieher trotz Bürgergeld für eine Grundversorgung an anderer Stelle Einsparungen vornehmen. Und das bedeutet bittere Armut.
Sind die Wohnkostenlücken regional unterschiedlich?
Die Zahlen zeigen deutliche Unterschiede je nach Bundesland. So mussten Bürgergeld-Haushalte in Rheinland-Pfalz etwa 17 Prozent der Wohnkosten selbst finanzieren, in Baden-Württemberg 15 Prozent, im Saarland 14,5 Prozent und in Niedersachsen 14 Prozent.
In Großstädten wie Berlin stiegen die Zuzahlungen im Durchschnitt auf rund 160 Euro.
Lediglich in Bundesländern mit mehr bezahlbarem Wohnraum wie Bremen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mussten nur wenige Betroffene ihre Wohnkosten mit dem Bürgergeld Regelsatz aufstocken.
Die regionalen Unterschiede zeigen zudem, dass sich die Lebensrealität von Bürgergeldbeziehenden drastisch je nach Wohnort unterscheiden kann. In Großstädten wird die Situation aufgrund des knappen Wohnraums und hoher Mietpreise zunehmend schwieriger.
Können Bezieher überhaupt frei entscheiden, wie sie ihr Geld verwenden?
Häufig wird angenommen, dass Menschen im Leistungsbezug ihre Gelder nicht verantwortungsvoll verwenden. Besonders Vorurteile über „verprasstes Geld“ für Alkohol oder Tabakwaren prägen das Bild in der Öffentlichkeit.
Diese Vorstellungen halten sich hartnäckig, obwohl Studien belegen, dass viele Bürgergeldempfänger mit ihren finanziellen Mitteln sehr umsichtig haushalten müssen.
Tatsächlich verfügen sie oft über ein strukturiertes Budget, das auf das Nötigste reduziert ist. Die Studien und die Erfahrung vieler Sozialarbeiter zeigen, dass es primär um Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen und Kleidung geht.
Ist das Bürgergeld eine ausreichende Hilfe zur Armutsbekämpfung?
Ein weiteres Missverständnis liegt in der Annahme, dass das Bürgergeld ausreiche, um die Bezieher finanziell abzusichern. Doch seit der Umstellung vom Arbeitslosengeld II auf das Bürgergeld sind die Ansprüche und Anforderungen gestiegen, und gleichzeitig ist der Anteil des bezahlbaren Wohnraums stark gesunken.
Im Jahr 2022 betrug die durchschnittliche Zuzahlung noch rund 94 Euro monatlich, 2023 stieg sie bereits auf 103 Euro. Zwar gab es Anpassungen beim Bürgergeld, doch die steigenden Mietkosten und die Inflation lassen diese Fortschritte schnell verpuffen.
Die Realität ist: Viele Haushalte, die Bürgergeld beziehen, leben in einer prekären Lage, die psychischen Stress verursacht und wenig Raum für einen Weg aus der Armut lässt.
Die strukturellen Hürden bei der Jobsuche, Vorurteile gegenüber Bürgergeldempfängern bei der Wohnungsvergabe und die oftmals sehr eingeschränkten finanziellen Mittel lassen kaum Spielraum, um nachhaltige Fortschritte aus eigener Kraft zu erreichen.
Was ist das Fazit?
Das Bürgergeld wurde eingeführt, um ein Mindestmaß an Sicherheit zu bieten und Menschen auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu unterstützen und das Existenzminimum zu sichern. Doch die Realität ist komplexer. Viele Betroffene erleben das Bürgergeldsystem als „Spießrutenlauf“, in dem sie immer wieder Vorurteilen und Anforderungen begegnen, die ihnen wenig Raum zum Atmen lassen.
Die Aussage, dass es sich dabei um eine „Rundumversorgung“ handelt, ist weit entfernt von der Lebensrealität vieler Beziehender. Vielmehr fehlen oft wichtige Mittel für einen stabilen Alltag.
Eine öffentliche Debatte und ein Austausch auf Augenhöhe könnten helfen, Missverständnisse zu beseitigen und eine differenzierte Sicht auf die Lebenslage von Bürgergeldbeziehenden zu fördern. Doch das ist oftmals schlichtweg nicht gewollt. Es ist zu einfach auf diejenigen loszugehen, die sowieso kaum eine Lobby haben.
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