Bürgergeld-Bezieher: Die absolute Mehrheit ist nicht arbeitslos

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Ein Jahr nach der Einführung des Bürgergelds in Deutschland hat sich die Debatte vor allem von Seiten der CDU/CSU verschärft. Viele Diskussionen rund um das Bürgergeld zeichnen jedoch ein stark verengtes und oft unzutreffendes Bild der Realität von Leistungsberechtigten.

Die vermeintliche Kritik der Union ignoriert häufig die Realität von Menschen im Bürgergeldbezug und beruht auf der Annahme, dass diese weniger Anreiz zur Arbeit hätten. Dabei wird viel zu oft übersehen, dass Leistungsberechtigte stets weniger Geld zur Verfügung haben als Erwerbstätige und die Vermittlung in Beschäftigung aus verschiedenen Gründen nicht immer gelingt.

Nicht mehr aber auch nicht weniger Beschäftigung durch das Bürgergeld

Trotz der Reform ist die Anzahl der Personen, die aus einer Beschäftigung in den Leistungsbezug wechseln, laut einer aktuellen Auswertung des wissenschaftlichen Instituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB) nicht gestiegen.

Dies widerlegt die Behauptung, das Bürgergeld mache den Bezug von Sozialleistungen attraktiver als die Erwerbstätigkeit. Zudem erhalten Betroffene, die ihre Arbeit aufgeben, nicht automatisch das volle Bürgergeld, und die Übernahme der Wohnkosten ist nur bis zu einer angemessenen Höhe gewährleistet.

Die Vorstellung, das Bürgergeld verringere den Anreiz zur Arbeitsaufnahme, wird durch die aktuellen Zahlen nicht gestützt. Die leichte Abnahme der Vermittlung in Beschäftigung und der Anstieg der Arbeitslosigkeit könnten eher auf die wirtschaftliche Rezession als auf das Bürgergeld selbst zurückzuführen sein.

Die meisten Bürgergeld-Bezieher sind nicht arbeitslos

Dennoch fordert nun die CDU eine “neue Grundsicherung” und will zurück zu alten Hartz IV Zeiten. Von der Union wird ein Bild von angeblich “faulen” und “arbeitsscheuen” Leistungsbeziehenden gezeichnet.

Der Großteil der Bürgergeldbeziehenden ist jedoch nicht arbeitslos. Viele gehen einer nicht bedarfsdeckenden Erwerbstätigkeit nach oder sind aus anderen Gründen, wie etwa Kindererziehung oder Bildungsmaßnahmen, nicht voll erwerbstätig.

Gerade einmal 32 Prozent sind laut IAB erwerbslos. Die Mehrheit befindet sich in Beschäftigungsmaßnahmen oder beziehen aufstockende Bürgergeld-Leistungen.

Nicht Faulheit sondern Arbeitsmarkthemmnisse

Ein wesentliches Hindernis für die Integration in den Arbeitsmarkt sind die vielfältigen Arbeitsmarkthemmnisse, die bei vielen Bürgergeldbeziehenden vorliegen.

Dazu zählen gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Berufsabschlüsse oder Sprachkenntnisse. Die Reformen des Bürgergeldes zielten darauf ab, durch gezielte Förderung und Qualifizierung die Erwerbschancen dieser Menschen zu verbessern.

Regelsatzerhöhungen war kein Geschenk sondern entsprechend der Inflation angepasst

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Anpassung der Regelsätze des Bürgergelds, die vor dem Hintergrund steigender Lebenshaltungskosten erfolgte.

Die Erhöhungen der Regelsätze lagen zunächst unter dem Anstieg der Verbraucherpreise, überstiegen diesen aber nach der jüngsten Anpassung. Besonders betroffen von den Preissteigerungen sind Bürgergeldbeziehende, die einen höheren Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Die Anpassungen berücksichtigen jedoch die besonderen Belastungen dieser Gruppe.

Sanktionen nicht aufgrund von Arbeitsverweigerung

Dem Druck der Union hat sich die Bundesregierung gebeugt, und Totalsanktionen eingeführt. Wohl wissend, dass der Anteil derjenigen, die “totale” Jobverweigerer marginal gering ist.

Der überwiegende Teil der Sanktionen wird nicht, wie oft angenommen, wegen der Ablehnung von Arbeitsangeboten oder Maßnahmen ausgesprochen. Stattdessen erfolgen die meisten Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen. Das bedeutet, dass schlichtweg Termine vergessen wurden und deshalb eine Leistungsminderung ausgesprochen wurde.

Im Jahr 2019 waren es laut IAB 78 Prozent aller Sanktionen, die auf das Nichterscheinen zu Terminen zurückzuführen waren. Demgegenüber standen lediglich 10,3 Prozent der Sanktionen in Zusammenhang mit der Weigerung, eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme anzutreten oder fortzuführen.

Bis zum Jahr 2021 änderte sich die Verteilung etwas: Der Anteil der Meldeversäumnisse sank auf 52,4 Prozent, während die Sanktionen für die Weigerung, eine Beschäftigung oder Maßnahme anzunehmen oder fortzusetzen, auf 26,9 Prozent anstiegen.

Diese Daten des BA legen daher nahe, dass die Hauptursache für Sanktionen nicht die Arbeitsverweigerung als solches ist, sondern die Unfähigkeit oder das Versäumnis, Termine wahrzunehmen. Dies deutet auf organisatorische und vielleicht auch psychosoziale Schwierigkeiten hin, die einige Bürgergeldempfänger betrifft.

Verpasste Termin nicht wegen Verweigerungen

Die Meinung der Union, dass Leistungsempfänger absichtlich Termine auslassen, um Arbeitsangebote zu vermeiden, erscheint vor diesem Hintergrund als nicht stichhaltig.

Es wäre geradezu irrational, bewusst Sanktionen zu riskieren, um Jobangebote abzulehnen, wenn das Ziel der Maximierung des Bürgergeldanspruchs im Vordergrund stünde. Zwar mag es Einzelfälle geben, in denen dies zutrifft, jedoch deutet die überwiegende Mehrheit der Sanktionen auf andere Problemlagen hin.

Mehr Wahltaktik als Lösungsansätze

Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass die immer weiter fortgeführte Debatte der Union um das Bürgergeld aus wahltaktischen und populistischen Gründen geschieht. Die Einführung des Bürgergeldes war und ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, auch wenn dieser bei weitem nicht ausreichend war.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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