Bürgergeld: 14 Bewerbungen und dennoch Sanktionen – Gericht weist Jobcenter zurecht

Lesedauer 3 Minuten

Das Sozialgericht (SG) Speyer hat entschieden, dass eine Leistungskürzung des Jobcenters gegenüber einem Bürgergeldempfänger unrechtmäßig war. Der Fall drehte sich um die Nichtwahrnehmung eines Vermittlungsvorschlags, obwohl der Kläger sich auf die Mehrzahl der angebotenen Stellen beworben hatte.

Das Gericht stellte fest, dass die gesetzliche Grundlage für eine Sanktionierung in diesem Fall nicht gegeben war. (Az: S 3 AS 113/20)

Rechtslage bei Pflichtverletzungen im Bürgergeld

Grundlage für Sanktionen im Rahmen des Bürgergeldes sind § 31 und § 31a SGB II. Diese Vorschriften regeln, wann eine Pflichtverletzung vorliegt und welche Folgen daraus resultieren.

Pflichtverletzungen können etwa auftreten, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte:

  1. sich weigern, einer Aufforderung nachzukommen,
  2. eine zumutbare Arbeit oder Maßnahme nicht antreten, abbrechen oder verhindern,
  3. ihre Verpflichtungen zur beruflichen Eingliederung missachten.

Dabei setzt eine Sanktion voraus, dass die Betroffenen schriftlich über die möglichen Rechtsfolgen belehrt wurden oder diese kannten. Bei wiederholten Pflichtverletzungen darf die Leistung um 30 % gekürzt werden.

Der konkrete Fall: Vermittlungsvorschläge und Sanktionen

Der Kläger bezog Leistungen nach SGB II und erhielt im Zeitraum Oktober 2017 bis März 2018 einen vorläufigen Bewilligungsbescheid, da sein Einkommen bislang nicht vollständig festgestellt werden konnte. Während dieser Zeit minderte das Jobcenter die Leistungen des Klägers für drei Monate um 30 %.

Grund dafür war die Nichtbewerbung auf einen einzelnen Vermittlungsvorschlag, obwohl ihm insgesamt 14 Stellenangebote unterbreitet wurden. Fünf davon gab der Kläger zurück, da sie nicht geeignet waren.

Das Jobcenter argumentierte, dass der Kläger bereits mehrfach Vermittlungsvorschläge abgelehnt hat und deshalb erneut sanktioniert werden müsse. Insgesamt wurde behauptet, er habe vier Pflichtverletzungen begangen.

Gerichtliche Bewertung: Maßstäbe für die Sanktionierung

Das SG Speyer bewertete die Sanktionierung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften und des Einzelfalls. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für eine Sanktion nicht vorlagen. Eine Pflichtverletzung im Sinne von § 31 SGB II sei restriktiv auszulegen.

Voraussetzungen einer Pflichtverletzung

Das Gericht stellte klar, dass eine Pflichtverletzung nur dann vorliegt, wenn der Bürgergeldempfänger sich ausdrücklich weigert, an seiner beruflichen Eingliederung mitzuwirken. Eine solche Weigerung setzt eine ablehnende Haltung voraus, die über eine bloße Unterlassung hinausgeht.

Im Fall des Klägers hatte dieser sich auf die Mehrzahl der Vermittlungsvorschläge beworben, was gegen eine solche ablehnende Haltung spricht.

Bewertung der Anbahnung einer Arbeitsaufnahme

Das Gericht betonte, dass die Verhinderung der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses denselben Maßstäben unterliegt wie die Weigerung zur Arbeitsaufnahme. Dabei sei stets eine Gesamtbetrachtung erforderlich.

Wenn ein Leistungsberechtigter beispielsweise 100 Vermittlungsvorschläge erhält und sich auf einen einzigen nicht bewirbt, kann dies nicht als Pflichtverletzung gewertet werden. Umgekehrt sei es jedoch problematisch, wenn sich jemand nur auf eine von 100 Stellen bewirbt.

Im Fall des Klägers stellte das Gericht fest, dass keine Anbahnungsverhinderung vorlag, da er sich auf die Mehrheit der Stellenangebote beworben hatte. Das Verhalten des Klägers wies keine hartnäckige Verweigerungshaltung auf, sondern zeigte lediglich, dass sein Bewerbungsverhalten nicht optimal war.

Restriktive Auslegung der Sanktionsvorschriften

Das Gericht betonte, dass § 31 SGB II restriktiv auszulegen ist, da das Gesetz keine Abstufungen für weniger schwerwiegende Fälle vorsieht. Die Richter argumentierten, dass eine starre Anwendung der Vorschrift in Fällen wie diesem unverhältnismäßig sei. Die Sanktionierung sollte nur in Fällen erfolgen, in denen eine klare und konsequente Verweigerung vorliegt.

Einzelfallprüfung und Gesamtbewertung

Die Entscheidung des SG Speyer basierte auf einer Einzelfallprüfung. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Kläger sich auf die Mehrzahl der Stellen beworben hatte und keine klare ablehnende Haltung zeigte. Auch die Frage, ob das Stellenangebot zumutbar war oder der Kläger die formalen Anforderungen erfüllte, spielte keine Rolle mehr.

Das Gericht entschied, dass es bei der Gesamtbetrachtung des Sachverhalts nicht auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes ankam.

Strengere Sanktionen ab 2025

Ab dem 1. Januar 2025 können die Ablehnung von zumutbarer Arbeit, unentschuldigtes Fernbleiben von Terminen und Schwarzarbeit zu einer Kürzung der Grundsicherung um 30 Prozent für drei Monate führen.

Das Urteil des Sozialgerichts (SG) Speyer verdeutlicht die Notwendigkeit einer restriktiven Anwendung der Vorschriften und einer Einzelfallprüfung, um ungerechtfertigte Sanktionen zu vermeiden.

Es dient als Orientierungshilfe, um sicherzustellen, dass verschärfte Sanktionen nicht unangemessen angewendet werden. Sanktionen sind nur bei klarer Weigerung gerechtfertigt.