Bildblog: Verarschen kann โ€œBildโ€ uns alleine!

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Der Bildblog ist ein Webzine, das fragwรผrdige Artikel der "Bild"-Zeitung nach recherchiert, Fehler aufdeckt und kritische Berichte รผber die "Bild- Zeitung" zusammen trรคgt. Hier eine sehr gute (kritische) Zusammenfassung der letzten Tage:

Verarschen kann "Bild" uns alleine!

Einen der grรถรŸten Erfolge unter Chefredakteur Kai Diekmann feierte die "Bild"-Zeitung im Jahr 2003 mit ihrer wochenlangen Berichterstattung รผber einen in den USA lebenden deutschen Sozialhilfeempfรคnger, den sie "Florida Rolf" nannte. Die Kampagne erreichte nicht nur, dass der Mann nach Deutschland zurรผckkehrte, sondern auch, dass der Bundestag in kรผrzester Zeit die Gesetzeslage verschรคrfte. Dabei betraf die Regelung nicht einmal 1000 vermeintliche "Sozialschnorrer" und bedeutete mรถglicherweise sogar hรถhere Ausgaben fรผr die Steuerzahler.

In diesen Tagen arbeitet sich "Bild" wieder an einem vermeintlichen "Abzocker" ab: Henrico Frank, ein Arbeitsloser, der SPD-Chef Kurt Beck dafรผr verantwortlich machte, Hartz-IV-Empfรคnger zu sein, und dafรผr von ihm gesagt bekam, er solle sich erst einmal waschen und rasieren, dann bekomme er auch Arbeit. Frank lieรŸ sich von Journalisten zu einem Friseurbesuch รผberreden, Beck vermittelte ihm darauf mehrere Stellenangebote, Frank lieรŸ ein Treffen mit Beck jedoch platzen und lehnte auch die angebotenen Jobs ab. Seitdem ist er fรผr "Bild" "Deutschlands frechster Arbeitsloser" und heute zum zweiten Mal groรŸer Seite-1-Aufmacher:

Die Frage klingt, als wollte "Bild", รคhnlich wie bei "Florida-Rolf", eine vermeintliche oder tatsรคchliche Ungerechtigkeit im Gesetz anprangern. In Wahrheit hat der Bundestag erst vor kurzem6 die Gesetzeslage fรผr Menschen wie Henrico Frank drastisch verschรคrft. Wer innerhalb eines Jahres drei Angebote seiner Arbeitsagentur ohne guten Grund ablehnt, bekommt vom kommendem Jahr an fรผr ein Vierteljahr sรคmtliche Zahlungen gestrichen, ist nicht krankenversichert, bekommt kein Geld fรผr Unterkunft und Heizung. Nach Ansicht von Kritikern dieses Gesetzes kann das fรผr viele hartnรคckige Arbeitsverweigerer bedeuten, obdachlos zu werden. Die neue Regelung ist juristisch umstritten, weil eigentlich jeder Mensch einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf das Existenzminimum hat.

"Faulenzern" und "Abzockern" wie Henrico Frank droht also nach dem verabschiedeten Gesetz, nichts zu bekommen. Da es schwer ist, Menschen weniger als nichts zu geben, ist nicht ganz klar, auf welche Art Gesetzesverschรคrfung die "Bild"-Kampagne zielen kรถnnte: Die Mรถglichkeit, "Faulenzer" und "Abzocker" aus dem Land zu jagen?

Aber vielleicht geht es der "Bild"-Zeitung hier auch nicht um das Gesetz. Vielleicht hat sie mit Henrico Frank eine persรถnliche Rechnung offen. Darauf deutet zum Beispiel der gestrige "Bild"-Artikel hin, der so begann:

Die "Bild"-Zeitung lรคsst offen, ob sie mit "uns" uns meint oder "Bild"-Mitarbeiter. Deren Gefรผhl, "verarscht" worden zu sein, kรถnnte aber daher rรผhren, dass die Geschichte so schรถn auf ein Happy-End hรคtte hinauslaufen kรถnnen: Dank tatkrรคftiger Unterstรผtzung der Medien wird aus nichtsnutzigem Hartz-IV-Suff-und-Schmuddel-Punk ein glรผckliches Mitglied der arbeitenden Gesellschaft. Henrico Frank wollte dieses Spiel, hinter dem er eine PR-Aktion von Beck vermutet, offenbar nicht mitspielen โ€“ ob er dabei klug vorging, ist eine andere Frage.

Die "Bild"-Zeitung jedoch erweckt den Eindruck, Frank habe sie in die Irre gefรผhrt. Dabei zeigte Frank von Anfang an wenig Bereitschaft, die ihm von dem Medien zugeteilte Rolle zu spielen โ€“ selbst den Frisurwechsel bereute er schnell. Dass Frank "vier Handys" hat (nach eigenen Angaben alle Prepaid, ohne laufende Kosten), war "Bild" ebenso bekannt, wie dass er weiter seinen Anstecker "Arbeit ist ScheiรŸe" trug. Erst im Nachhinein machte sie daraus Belege, um Frank zu "Deutschlands frechstem Arbeitslosen" zu stempeln.

Die "Bild"-Berichte รผber den Arbeitslosen sind inzwischen voller bรถsartiger Interpretationen und einseitiger Verdrehungen. Aus dem Angebot, fรผr "5,50 Euro / Stunde" zu arbeiten, macht "Bild" eine von acht "gut bezahlten Jobs". Dass sich die Sprecherin Franks bei den Arbeitgebern erkundigte, ob sich die Stellen (u.a. StraรŸenbauarbetiter, Maurer, Maler) รผberhaupt eignen fรผr jemanden, der "nur noch eine Niere, dazu einen Bandscheibenvorfall und eine Schulterprellung" hat, nennt "Bild" schlicht "dreist": "Motto: Ich kann nicht, aber was gibtโ€™s denn?" Nebenbei fabriziert "Bild" aus den Zitaten mehrerer Politiker der Linkspartei, die grundsรคtzlich begrรผรŸen, wenn Arbeitslose in die Politik und die Parlamente gehen, eine mรถgliche Kandidatur Franks fรผr den Bundestag.

Den CDU-Politiker Michael Fuchs hingegen zitierte "Bild" gestern mit den Worten:
Was wirft das fรผr ein Licht auf all die anderen Arbeitslosen! Henrico Frank bringt sie alle in Verruf.

Tut er das wirklich? Oder tun das nicht "Bild" und die anderen Medien, die das Verhalten Franks in einer Breite diskutieren, die gar keinen Sinn ergรคbe, wenn sie davon ausgingen, dass Franks Verhalten ein vรถlliger Einzelfall wรคre. Dadurch, dass sie den Fall seit einer Woche ausfรผhrlich begleiten, suggerieren sie erst, dass es sich um ein grundsรคtzliches Phรคnomen und Problem handelt.

Der Politologe Frank Oschmiansky hat vor einigen Jahren die Konjunktur der immer wiederkehrenden "Faulheitsdebatten" untersucht16 und befand, sie folgten "zu einem guten Teil politischen Kalkรผlen". Sie lieรŸen bei den Bรผrgern den Eindruck entstehen, der "Missbrauch sozialer Leistungen" sei eines der grรถรŸten Probleme dieses Landes โ€“ dabei sei der Schaden rechnerisch "marginal" gegenรผber Delikten wie Schwarzarbeit, Subventionsmissbrauch, Korruption oder Steuerhinterziehung. Oschmianskys Fazit:

Zudem zielen die "Faulheitsvorwรผrfe" darauf, das sozialpsychologische Klima zu schaffen, um Leistungseinschrรคnkungen oder auch Zumutbarkeits- oder Sanktionsverschรคrfungen den Boden zu bereiten. (โ€ฆ) Durch die Skandalisierung des Leistungsmissbrauchs wird ein Klima erzeugt, in dem Kรผrzungen von Sozialleistungen leichter durchsetzbar sind. (Bildblog, 21.12.06- Direktlink zum Artikel)