Reich durch Hartz IV?

Leserartikel: Angebliches "Enthüllungsbuch": Reich durch Hartz IV

02.09.2013

"Ich beglückwünsche Sie (wie auch alle Hartz-4-Empfänger und Aufstocker einschl. mich selbst) zu Ihrem neuen Reichtum", den Sie durch Hartz IV erworben haben sollen.

In dem Hause des von Kritikern als rechtslastig und verschwörungstheoretisch angesehenen Verlag „Kopp“ wird ein neues sog. „Enthüllungsbuch“ mit dem Titel „Reich durch Hartz IV“ beworben (Verleger ist allerdings eine Münchener Verlagsgruppe). Von einer "Hartz-IV-Industrie" ist dort die Rede, die inzwischen zusammen mit der Migrationsindustrie der größte Arbeitgeber im deutschsprachigen Raum sei. "Wir haben heute mehr Sozialarbeiter und Betreuer als Stahlarbeiter und Autobauer", behauptet der Autor der Buchbeschreibung weiter. Und die Medien und Politik seien schon fleißig dabei, die angebliche (!) "Gerechtigkeitslücke" weiter zu schließen: "Es ist bald schon unanständig, dass jene, die arbeiten, mehr haben, als jene, die untätig sind. Ganze Heerscharen von Anwälten, Richtern, Gutachtern und Betreuern wären ohne Hartz-IV-Empfänger arbeitslos." Wobei "wir schon mehr als die Hälfte jedes verdienten Euros für soziale Zwecke ausgeben". Und "der deutsche Steuerzahler" (musste zu Werbezwecken wieder mal angesprochen werden) würde nach Erwerb dieses Buches "dann wissen, warum dieses System ganz sicher bald in sich zusammenbrechen wird".

Der Autor der Buchrezension, Herr Udo Ulfkotte, schreibt wörtlich – Zitat: "Deutschland ist ein Schlaraffenland für Untätige. Wir müssen Arbeitskräfte importieren, um Spargel oder Erdbeeren ernten zu können, weil die Hartz-IV-Industrie sich rührend um jene kümmert, die sich nicht bücken mögen."

Also nicht "Wir müssen Arbeitskräfte importieren, um Spargel … zu ernten. Die Hartz-IV-Empfänger mögen sich nicht bücken", sondern WEIL die Hartz IV-Empfänger … sich nicht bücken mögen – das ist keine bloße Feststellung mehr, sondern eine gezielte falsche Anschuldigung aller Hartz IV-Empfänger, meiner Meinung anzusiedeln im Bereich des Strafrechts unter Volksverhetzung.

Ganz nebenbei erwähnt enthüllt das Buch nichts neues. Denn schon lange kritisieren Erwerbslosenorganisationen oder auch Sozialverbände die Sinnlosmaßnahmen in die Hartz IV Bezieher unter Sanktionsandrohung gedrängt werden, um die Statistik zu schönen. Solche Maßnahmen bringen den Betroffenen oftmals nichts und füllen die Taschen der privaten "Bildungsträger". Hier nun aber aus den Opfern Täter zu machen ist mehr als unanständig und gehört unserer Auffassung nach in den Bereich der Hetze.

Herr Ulfkotte belehrt uns: An dem ganzen Elend des Staates sind nicht die unfähigen, dafür aber überaus egozentrischen und habgierigen Politiker, ist nicht die EU mit deren schwachsinnigen Glühbirnen-, Gurkenlänge- und anderen Gesetzen vom Typ "Radio Eriwan" schuld, sondern offenbar die „Arbeitslosen“ selbst! Das sind die Männer über 45 und die Frauen über 40, die kein "Unternehmer" mehr einstellen will, das sind auch die Schwerbehinderten, die nach Ablauf der finanziellen Anreize für den Arbeitgeber wieder in Richtung Arbeitslosigkeit entsorgt werden, das sind auch die vielen chronisch Kranken und andere Erwerbsunfähigen und nicht zuletzt die Rentner-"Aufstocker", deren Altersrente – aus welchem Grund auch immer (anzutreffen v. a. unter Frauen) – nicht einmal für die Wohnungsmiete ausreicht. Das alles geht aus Ulfkottes Werbung für dieses Buch meiner Meinung hervor. Dasselbe hat ja auch schon Gerhard Schröder 2002 herumgeschrien – Ich frage: ist Herr Ulfkotte so ideenarm, dass er von ihm abschreiben muss?

Doch wer ist dieser Udo Ulfkotte? Herr Dr. Udo Ulfkotte ist Journalist und Publizist, überwiegend von Kritikern der Kategorie Verschwörungstheorien zuzuordnen und bekannt durch seine Schriften gegen den Islam oder die EU. Nun hat er sich offenbar auch noch der Ärmsten der Armen bedient. Der KOPP-Verlag ist sein Stammverlag (die Suchabfrage auf KOPP-Online bringt über 1200 seiner Artikel). Der KOPP-Verlag hat sich laut Kritikern zunehmend auch auf Verschwörungstheorien spezialisiert ("Bücher, die Ihnen die Augen öffnen").

Gerade in rechten Kreisen findet Herr Ulfkotte mit seinen populistischen Schriften und Büchern viel Anerkennung. Es könnte meiner Meinung die große Gefahr bestehen, dass auch dieses Buch an die Adresse der Erwerbslosen und anderen Bedürftigen von einer breiteren Öffentlichkeit ernst genommen wird. Denn von der Schuld der Politik an diesem trostlosen Zustand und von dem mit-schmarotzenden Gewerbe ("Scharen von Anwälten, Betreuern, Arbeitsvermittlern"..) erfährt man in der Buchrezension fast gar nichts, dafür werden aber meiner Meinung nur die Arbeitslosen verunglimpft.

Zum Autor dieser Rezension: Ich war mit meinen 56 Jahren nach der Arbeitgeber-"Insolvenz" bis zu meiner Altersrente an das ALG und ab 2005 an Hartz IV, trotz insgesamt über 700 Bewerbungen, fast 8 Jahre lang angewiesen. Davon, dass die "Hartz-IV-Industrie" sich – weder rührend noch weniger rührend – um mich kümmern würde, habe ich die ganze Zeit nicht feststellen können. Seit 1997 bin ich mit 80 GdB schwerbehindert, seit 2003 – als noch Krebs, Spinalkanalstenose, chronische Ischialgie und Nieren- und Herzinsuffizienz dazu kamen – mit 90 GdB. Bewegen kann ich mich seitdem nur auf Krücken, Schnürsenkel zuzubinden geht nur im Sitzen auf einem sehr niedrigen Hocker, denn bücken kann ich mich schon seit 10 Jahren nicht mehr, wobei das eigentliche Problem erst dann entsteht: Wie wieder aufstehen? – Ich versuche mir vorzustellen, wie ich mich, entsprechend der Vision Herrn Ulfkottes, im Spargelfeld bücke, nur um den Raubstaat zu entlasten, der nach Jahrzehnten Arbeitslosenversicherung sich um die Versicherungsleistung drückt und das ALG schon nach 1 Jahr einstellt. (G.H.)

Anmerkung Redaktion: In dem Ursprungsartikel wurde behauptet, das Buch sei beim Kopp-Verlag erschienen. Das ist unwahr. Allerdings wird das Buch auf den Seiten des Kopp-Verlags beworben und vertrieben.

Bild: Andreas Hermsdorf / pixelio.de

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