Hartz IV: Mehrbedarf bei chronischen Krankheiten

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Nur noch bei neun von ehemals 17 chronischen Krankheiten gewähren die Behörden einen Hartz IV Mehrbedarf. Wer bislang Mehrbedarf wegen Diabetes, Hyperlipidämie, Hypertonie oder Hyperurikämie erhielt, bekommt dafür nun nichts mehr – nur einen Bescheid über "Wegfall des bisherigen ernährungsbedingten Mehrbedarf". Auch ALG II Bezieher mit Colitis ulcerosa, HIV, Krebs, Leberinsuffizienz, Morbus Crohn oder Multiple Sklerose erhalten keinen Mehrbedarf mehr, wenn kein schwerer Krankheitsverlauf vorliegt.

Geregelt ist dieser Mehrbedarf in § 21 Abs. 5 SGB II: "Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten einen Mehrbedarf in angemessener Höhe."

Im Anhang der Weisung der BA zu § 21 SGB II findet sich eine Liste mit Krankheiten und der Höhe des dafür zu gewährenden Mehrbedarfes. Dabei stützt sich die BA auf die "Empfehlungen des Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV)".
Schon mit in Kraft treten der Änderung der Weisung der BA zu § 21 SGB II am 20 Dezember 2008 wurde dies Liste anerkannter Krankheiten eben auf Empfehlung des o.g. Vereines gravierend von vorher 17 auf nunmehr noch 9 Krankheiten zusammen gestrichen. Zudem wurde bei 6 dieser 9 Krankheiten der Mehrbedarf auf schwere Krankheitsverläufe beschränkt. Wer bislang Mehrbedarf wegen Diabetes, Hyperlipidämie, Hypertonie oder Hyperurikämie erhielt, bekommt dafür nun nichts mehr – nur einen Bescheid über "Wegfall des bisherigen ernährungsbedingten Mehrbedarf". Auch ALG II Bezieher mit Colitis ulcerosa, HIV, Krebs, Leberinsuffizienz, Morbus Crohn oder Multiple Sklerose erhalten keinen Mehrbedarf mehr, wenn kein schwerer Krankheitsverlauf vorliegt.

Nun haben aber die "Empfehlungen des Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV)" keinerlei Rechtswirkung, auch wenn die BA in ihrer "HEGA 05/08 – 23 – Prüfung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II) (GA Nr. 17/2008)" die ARGEn und Optionskommunen anweist, sich daran zu halten.

Zudem verhält es sich grundsätzlich so, dass die BA gar keine Ermächtigungsgrundlage hat (siehe § 27 SGB II), zu entscheiden, bei welchen Krankheiten man Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II erhält und/oder wie hoch der jeweilige Mehrbedarf ist.
Diese Anmaßung der BA dürfte damit klar rechtswidrig sein, denn eine solche Festlegung darf nur die Bundesregierung treffen. Das wird sie aber nicht tun, da § 21 Abs. 5 SGB II so gedacht ist, dass er eine Einzelfallprüfung voraus setzt, um einen individuellen krankheitsbedingten Mehrbedarf abzudecken. Nun eröffnet die o.g. HEGA genau eine solche Prüfung und würde sich nun jede ARGE und Optionskommune an diese halten, würde das bedeuten, Zitat: "In solchen Ausnahmefällen haben die ARGEn und AAen in gT daher den zuständigen Ärztlichen Dienst beziehungsweise das zuständige Gesundheitsamt einzuschalten, um eine fachliche Einschätzung in dem betreffenden Einzelfall zu erhalten." (AAen in gT = Arbeitsagenturen in getrennter Trägerschaft; Anm.d.Verf.)

Wenn also ein ALG II Bezieher einen Antrag auf krankheitsbedingten Mehrbedarf stellt, müsste ein Sachbearbeiter den Ärztlichen Dienst oder das Gesundheitsamt damit beauftragen zu prüfen, ob ein krankheitsbedingter Mehrbedarf dem Grunde nach vorliegt und dessen Höhe festzustellen. Das wird aber in der Praxis nicht getan, da man hofft, durch einfache generelle Ablehnung solcher Anträge Kosten sparen zu können – was offensichtlich auch funktioniert.

Auch wenn man bei dieser Praxis in den ARGEn und AAen in gT davon ausgehen muss, dass ein Antrag auf krankheitsbedingten Mehrbedarf für vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge ignorierte Krankheiten – sowie ein Widerspruch gegen die Ablehnung eines solchen – keinen Erfolg haben wird, kann man mit einem verständigen Richter und einer ordentlichen Argumentation durchaus beim Sozialgericht Glück haben.

Hier gibt es 2 Möglichkeiten der Vorgehensweise:
a) Antrag => Widerspruch => Widerspruchsbescheid => Klage, oder
b) Klage beim Sozialgericht mit Antrag festzustellen, dass
– ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II vorliegt und
– wie hoch der ist.

Das hier Geschriebene gilt gemäß § 6b Abs. 1 SGB II auch für sog. Optionskommunen.

Wichtig dabei ist auch, dass der Deutsche Verein diese Empfehlungen gar nicht für Leistungen nach dem SGB II ausgesprochen hat, sondern ausschließlich für solche nach dem SGB XII, wie die Antwort des Vereins auf eine entsprechende Anfrage des Forummitgliedes Funnelwebspider beweist:

— Zitat —

Sehr geehrter Herr XXXX,

der Deutsche Verein hat 2008 neue "Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der der Sozialhilfe" gegeben. Sie nennen auch die medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Grundlagen, auf denen unsere sozialhilferechtlichen Empfehlungen beruhen. Die Bundesregierung sieht diese Empfehlungen als eine geeignete Grundlage auch für die Beurteilung eines möglichen krankheitsbedingten Mehrbedarfs bei Hartz 4 an. Aus diesem Grund hat die Bundesagentur für Arbeit den Inhalt unserer sozialhilferechtlichen Empfehlungen in ihre Weisungen an die ARGEn übernommen.

Unsere allgemeinen sozialhilferechtlichen Empfehlungen von 2008 sind als Datei beigefügt. Sie ersetzen die früheren Empfehlungen aus dem Jahr 1997.

Der Deutsche Verein hat sich nicht zum event. Mehrbedarf bei RLS geäußert. Eine Ablehnung Ihres Antrag unter Verweis auf unsere Empfehlungen ist mir daher nicht nachvollziehbar.
Mit besten Grüßen

Reiner Höft-Dzemski
(wiss. Referent im Arbeitsfeld III – Grundlagen sozialer Sicherung, Sozialhilfe und soziale Leistungssysteme)
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
Tel.: 030 62980-301
Fax: 030 62980-350
E-Mail hoeft-dzemski@deutscher-verein.de

— Zitat Ende —

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