Mit seinem Urteil vom 4. Juni 2025 (Az. B 7 AS 17/24 R) hat der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) endgültig klargestellt, dass Rückforderungen aus bestandskräftigen Hartz-IV- beziehungsweise Bürgergeld-Erstattungsbescheiden nach spätestens vier Jahren verjähren, wenn kein eigenständiger Verwaltungsakt zu ihrer Durchsetzung erlassen wird.
Die Richter wiesen damit die Revision des Jobcenters Köln ab, das noch mehr als 15 Jahre nach zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden von 2009 rund 10 500 Euro eintreiben wollte.
Was wurde genau verhandelt?
Die Klägerin hatte für den Zeitraum Januar 2007 bis Juli 2008 Leistungen nach dem SGB II erhalten. Zwei Bescheide vom 21. und 22. September 2009 hoben die Bewilligungen teilweise beziehungsweise vollständig auf und stellten die Erstattungsforderung fest.
Gegen die Bescheide legte die Betroffene keinen Widerspruch ein; sie wurden noch 2009 unanfechtbar. Im Februar 2010 scheiterte ein Vollziehungsbeamter des Hauptzollamts bei dem Versuch, pfändbare Gegenstände zu finden – eine fruchtlose Pfändung, die die Behörde als „Verwaltungsakt“ wertete. Anschließend folgten jahrelang lediglich Mahnungen und Vollstreckungsankündigungen.
Erst als die Bundesagentur für Arbeit im Juni 2021 erneut Zahlung verlangte, erhob die inzwischen als Rentnerin lebende Frau die Einrede der Verjährung.
Sozial- und Landessozialgericht gaben ihr Recht; auch das BSG bestätigte nun, dass die Forderung spätestens am 10. Februar 2014 verjährt war.
Verhandelt wurde zum § 50 Abs. 4 SGB X, der Rückforderungen aus Erstattungsbescheiden eine vierjährige Verjährungsfrist zuweist, gerechnet ab dem 1. Januar des Folgejahres nach der Bestandskraft.
§ 52 SGB X lässt diese Frist auf 30 Jahre anwachsen, wenn ein weiterer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs erlassen wird.
Das Jobcenter behauptete, die fruchtlose Pfändung von 2010 sei ein solcher Verwaltungsakt gewesen. Der 7. Senat stellte jedoch klar, dass die Pfändungsniederschrift nur eine „Wissenserklärung“ und keine Regelungswirkung im Sinne von § 31 SGB X entfalte. Damit fehle die Grundlage für die lange Frist.
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Neubeginn, aber kein Dauerlauf: Wie das Gericht die Fristen rechnete
Der erfolglose Pfändungsversuch löste zwar nach § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB einen Neubeginn der Verjährung aus; er setzte die Uhr aber lediglich am 10. Februar 2010 neu in Gang.
Spätestens mit Ablauf des 10. Februar 2014 verstrich die Frist endgültig, weil weder weitere Pfändungen noch ein Durchsetzungsbescheid folgten. Mahnungen, Zahlungserinnerungen oder Vollstreckungsankündigungen genügen für sich allein nicht, um die Verjährung zu hemmen oder neu zu starten.
Bedeutung für Betroffene: Verjährung ist kein Automatismus, sondern ein Recht, das geltend gemacht werden muss
Das Urteil zeigt, dass auch öffentliche Gläubiger wie das Jobcenter an zivilrechtliche Verjährungsregeln gebunden sind. Wer alte Rückforderungen vorliegen hat, sollte prüfen lassen, ob die vierjährige Frist abgelaufen ist.
Entscheidend ist, die Einrede aktiv zu erheben; andernfalls kann das Jobcenter weiterhin vollstrecken. Fachanwälte raten deshalb, bei mehrjährigen Forderungen unverzüglich Akteneinsicht zu verlangen und die Vollstreckungshistorie auf wirksame Unterbrechungen zu analysieren.
Einordnung
Bereits 2021 hatte das BSG im Verfahren B 11 AL 5/20 R klargestellt, dass bloße Mahnungen oder Zahlungserinnerungen die kurze Verjährung nicht verlängern. Der neue Beschluss führt diese Linie fort und präzisiert, dass eine „Niederschrift über fruchtlose Pfändung“ nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes besitzt. Die Entscheidung stärkt damit den Grundsatz der Rechtssicherheit für Leistungsempfänger und schafft verlässliche Leitplanken für die Verwaltung.
Ausblick: Was bedeutet das für betroffene Bürgergeld-Bezieher?
Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt geht davon aus, dass das Urteil Rückforderungen in zahlreichen Altfällen kippen könnte. Sozialberatungen berichten bereits über vermehrte Nachfragen von Bürgergeld-Beziehenden, die jahrzehntelange Zahlungsaufforderungen erhalten haben. Ob die Bundesagentur für Arbeit ihre internen Vollstreckungsleitlinien anpasst, bleibt abzuwarten.