Bundeskanzler Friedrich Merz kündigte an, Leistungen für Menschen mit Behinderung einsparen zu wollen. So behauptete er auf dem Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin, jährliche Steigerungsraten von bis zu zehn Prozent bei der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe seien nicht länger akzeptabel.
Es folgte erbitterte Kritik von Betroffenenverbänden, von Ulla Schmidt, Bundesvorsitzenden der Lebenshilfe und Bundesministerin a.D., sowie von den Grünen.
Lebenshilfe hält Merz Aussage für ungeheuerlich
Ulla Schmidt schrieb in einer Presseerklärung: „Mit dieser pauschalen Aussage unterstellt der Kanzler, dass Menschen mit Behinderung und ihre Familien sowie Kinder und Jugendliche zu Unrecht Leistungen beziehen und zu viel Geld kosten. Das ist ungeheuerlich!”
Niemand darf wegen sein Behinderung benachteiligt werden
Sie klärte auch, dass Merz Aussage allgemeine Menschenrechte angreift: “Menschen mit Behinderung erhalten ausschließlich bedarfsgerechte Unterstützung, damit sie am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilhaben können. Das wird ihnen schon im Grundgesetz garantiert, wo es heißt: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.”
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Kostenanstieg liegt an mehr Betroffenen und Tariflöhnen
Außerdem rückte sie gerade, woran der Kostenanstieg wirklich liegt: “Wer denkt, Menschen mit Behinderung machen sich ein schönes Leben auf Kosten des Staates, der irrt gewaltig.
Die Steigerungen sind vielmehr auf die allgemeine Kosten- sowie die Tariflohnentwicklung zurückzuführen. Außerdem nehmen die Fallzahlen in der Eingliederungshilfe zu. Das ist eine Folge des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts, der die Lebenserwartung auch von Menschen mit Behinderung erhöht. All das scheint Friedrich Merz nicht bedacht zu haben.”
Kein Sparen bei den Schwächsten
Ulla Schmidt sagt klar, dass es nicht weniger, sondern mehr Mittel für Menschen mit Behinderungen geben muss: “Als Lebenshilfe sagen wir klipp und klar: An den Schwächsten der Gesellschaft darf auf keinen Fall gespart werden. Vielmehr braucht es Investitionen in eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft.“
CDU-Beauftragter versucht, zu beschwichtigen
Wilfried Oellers, Beauftragter für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, versuchte als Reaktion auf die Kritik, Merz Aussagen weichzuspülen und behauptete: “Wir planen keineswegs Einschnitte bei den Leistungen der Eingliederungshilfe. Allerdings wollen wir in diesem Bereich das Dickicht der kostentreibenden Bürokratie lichten.”
Laut CDU geht es um Vereinfachung
Weiter erklärt Oellers: “Hier geht es darum, die Leistungserbringung für die Träger auch zugunsten der Menschen mit Behinderungen zu vereinfachen, zu flexibilisieren und zu beschleunigen. Denkbar wären beispielsweise Vereinfachungen beim Bedarfsermittlungsverfahren, die Vereinbarung von Trägerbudgets mit pauschalierten Leistungen und Verbesserungen bei der Leistungskoordinierung.”
Grüne stellten sich auf die Seite der Menschen mit Behinderung
Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen stellte sich Merz Aussagen ebenfalls vehement entgegen und sagte: „Friedrich Merz hat geliefert – aber nicht, was Menschen wirklich brauchen. Statt endlich die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu stärken, erklärt er den Sozialstaat zur Belastung. Das ist zynisch und gefährlich.”
Merz sägt an der Menschenwürde
Rüffer warf Merz vor, dass er die Grundrechte angreift. Sie führte aus: “Wenn der Kanzler den Sozialbereich zur ‚Kostenlawine‘ erklärt, meint er Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Er stellt Grundrechte zur Disposition, unter dem Deckmantel von Effizienz.
Die Eingliederungshilfe ist kein Luxus. Sie ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Wer hier den Rotstift ansetzt, sägt an der Menschenwürde”
Zurück zur Aussonderung von Menschen mit Behinderung
Merz ginge es nicht allein um die Kosten, erklärt die Behindertenpolitikerin, sondern er agiere gegen die Inklusion: “Was Merz jetzt fordert, ist kein Kassensturz. Es ist ein Kurssturz. Zurück in die Vergangenheit. Zurück zur Verwaltung von Behinderung. Zurück zur Aussonderung. Diesen Weg gehen wir nicht mit und ich erwarte vom Koalitionspartner SPD und insbesondere von Arbeitsministerin Bärbel Bas, sich dem ebenfalls entschieden entgegenzustellen!”
Betroffene gegen die Kürzungsabsichten
Die LIGA Selbstvertretung zeigte sich ebenfalls entsetzt über die Aäußerungen des Bundeskanzlers und forderte diesen auf, sich an die Seite der Menschen mit Behinderungen stellen und nicht die zunehmende Hetze gegen diese als Kostenfaktoren durch solche Äußerungen untermauern.
Statt Schuldzuweisungen an sozial benachteiligte Menschen ginge es um Solidarität. Das sei des Kanzlers würdiger als derartige Äußerungen, mit denen er die Selbstbestimmung behinderter Menschen gefährde.