Unerlaubte Ortsabwesenheit: Kinder haben trotzdem Anspruch auf Bürgergeld – Urteil

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Kinder unter 15 Jahren haben auch dann einen Anspruch auf Bürgergeld, wenn ihre Eltern unerlaubt ortsabwesend gewesen sind und deswegen von Leistungen nach dem Bürgergeld ausgeschlossen sind.

Nach § 7a Abs. 4 a SGB II bzw. der ab dem 01.07.2023 geltenden Nachfolgeregelung des § 7b SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte kein ALG II bzw. jetzt Bürgergeld, wenn sie sich ohne Zustimmung des Jobcenters außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deswegen nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen.

Urlaubsreise ohne Zustimmung des Jobcenters

Fahren die Eltern also mit ihren Kindern ohne Zustimmung des Jobcenters in den Urlaub oder bleiben länger im Urlaub als die Zustimmung zeitlich reicht, entfällt der Leistungsanspruch für die Tage ihrer unerlaubten Ortsabwesenheit.

Kinder behalten ihren Leistungsanspruch auf Bürgergeld

Die Kinder unter 15 Jahren behalten demgegenüber ihrer Leistungsanspruch, weil sie keine Leistungsberechtigten im erwerbsfähigen Alter sind.

Schüler ab ihrem 15. Geburtstag behalten ebenfalls ihren Anspruch auf Bürgergeld, weil sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen müssen (vgl. § 7b Abs. 3 Satz 3 SGB II, wobei ein fehlender Antrag nicht zum Leistungsausschluss führt).

Im vom Sozialgericht Kiel entschiedenen Fall war eine alleinerziehende Mutter mit ihrem einzigen Kind über den Zeitraum der erteilten Zustimmung zur Ortsabwesenheit hinaus in ihrem Herkunftsland geblieben.

Aufhebung des Bürgergeldes für Mutter und Sohn wegen unerlaubter Ortsabwesenheit – rechtswidrig

Das Jobcenter Kiel hob deswegen die Leistungsbewilligung für die Tage der unerlaubten Ortsabwesenheit sowohl für die Mutter als auch für deren damals vierjährigen Sohn auf.

Zur Begründung verwies das Jobcenter Kiel darauf, der Sohn selbst habe keinen eigenen Leistungsanspruch nach dem SGB II, weil er noch nicht 15 Jahre alt sei.

Der Sohn könne deswegen nur als Mitglied einer sog. Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter Leistungen erhalten.

Da aber die Mutter von Leistungen ausgeschlossen sei, entfalle auch für deren Sohn der Leistungsanspruch, der sich allein aus der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter ergebe.

Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Kiel:
Durch die unerlaubte Ortsabwesenheit der Mutter entfiel nicht deren Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach, sondern nur deren Anspruch auf Auszahlungen der Leistungen für die Tage ihrer unerlaubten Ortsabwesenheit.

So dass die Bedarfsgemeinschaft mit dem Sohn nicht aufgehoben wurde und dieser seinen Leistungsanspruch behielt. SG Kiel, Urteil vom 28.06.2024, S 33 AS 157/22, Rechtsfrage anhängig beim SH LSG, L 6 AS 76/24).

Anmerkung Detlef Brock

Außerdem sprach das Gericht dem Sohn die vollen Unterkunftskosten zu und nicht nur die anteiligen, nach dem ja der Mutter der Anteil an den KdUH entzogen wurde ( auch vollkommen richtige Entscheidung, vor allem i. S. Der Rechtsprechung des BSG ). Denn die Bedarfsgemeinschaft bestand ja weiterhin, auch wenn die Mutter keine Leistungen mehr bekam.

Sehr gute Entscheidung des Sozialgerichts Kiel zur neuen Rechtslage bei Ortsabwesenheit und nach meiner Meinung vollkommen richtig! So auch noch zur alten Rechtslage:

Kommt im Einzelfall gar keine Eingliederung in den Arbeitsmarkt in Betracht, so besteht auch kein Grund, die Handlungsfreiheit des Hilfebedürftigen zu begrenzen; § 7 Abs. 4a SGB II a. F. findet in einer solchen Konstellation keine Anwendung.

Dies gilt zum einen für erwerbsunfähige Bezieher von Sozialgeld nach § 28 SGB II (Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14. Juli 2010 – L 3 AS 3552/09 – ).

Eine vorherige Zustimmung wird nach der Rechtsprechung von Personen nicht benötigt, von denen keine Eingliederungsbemühungen erwartet werden wie z. B. bei nicht erwerbsfähigen Personen ( vgl. LSG Sachsen – L 4 AS 491/21 – ).

Das sind solche Personen, von denen keine Eingliederungsbemühungen erwartet werden:
Alle Sozialgeldempfänger (d.h. nicht erwerbsfähige Personen), ebenso diejenigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II, die nur aufgrund der Bedarfsanteilsmethode Leistungen erhalten (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. April 2021, L 32 AS 588/16; BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 8/06 R),

Und Personen, die sich auf die Unzumutbarkeit einer Eingliederung in Arbeit berufen können (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 SGB II).

Zu Letzteren gehören u.a. Schüler und Auszubildende, die der allgemeinen Schul- bzw. Berufsschulpflicht unterliegen und denen deshalb eine Eingliederung in Arbeit unzumutbar ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II) oder alleinerziehende Eltern von Kleinkindern unter drei Jahren (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013 -L 34 AS 1030/11 -) oder Personen, die Angehörige pflegen.

Verwendete Quelle: RA Helge Hildebrandt, Kiel