Erhรคlt eine im Hartz-IV-Bezug stehende getrennt lebende Mutter fรผr ihre Kinder vom Jobcenter Sozialgeld, kann sie fรผr Besuchstage der Kinder beim Vater nicht mehr damit rechnen. Da die Kinder wรคhrend ihres Umgangs beim Vater dort eine sogenannte temporรคre Bedarfsgemeinschaft bilden, besteht bei der Mutter keine Bedarfsgemeinschaft mehr, so dass dort der Anspruch auf Sozialgeld entfรคllt, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem am Montag, 12. Oktober 2020, verรถffentlichten Urteil (Az.: L 7 AS 535/19). Eine doppelte Zahlung fรผr eine Bedarfsgemeinschaft bei der Mutter und einer temporรคren Bedarfsgemeinschaft beim Vater sehe das Gesetz nicht vor.
LSG Essen: Getrennt lebende Mutter muss mit weniger auskommen
Im konkreten Rechtsstreit ging es um zwei Kinder im Hartz-IV-Bezug, die mit ihrer Mutter eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Die Eltern sind seit 2012 geschieden und รผben das gemeinsame Sorgerecht รผber die Kinder aus. Die getrennt lebenden Eltern einigten sie darauf, dass die Kinder sich jedes zweite Wochenende und in den Ferien beim Vater aufhalten, der ebenfalls auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist.
Als das zustรคndige Jobcenter von den Umgangsregeln erfahren hatte, hatte dies Auswirkungen auf die Sozialgeldzahlungen fรผr die Kinder. So wertete die Behรถrde den Besuch der Kinder beim Vater als temporรคre Bedarfsgemeinschaft. Fรผr diese Zeit floร das Sozialgeld der Kinder auf das Konto des Vaters. Gleichzeitig musste die Mutter fรผr die Umgangszeit der Kinder bei ihrem Ex mit weniger Sozialgeld auskommen, da die Kinder ja dort ihre Sozialleistung erhielten.
Ein Doppelbezug in beiden Bedarfsgemeinschaften sei nach den gesetzlichen Besteimmungen ausgeschlossen, meinte die Behรถrde. Denn diese wรผrden vorsehen, dass die Berechnung des Sozialgeldes mit 30 Tagen pro Monat berechnet werde, mehr aber nicht.
Dem folgte nun auch das LSG mit Urteil vom 13. August 2020. Spiegelbildlich mit dem tageweisen Sozialgeld-Anspruch in der temporรคren Bedarfsgemeinschaft – hier beim Vater – entfalle der Leistungsanspruch in der Hauptbedarfsgemeinschaft – hier der Anspruch der Klรคger bei der Mutter. Der Regelbedarf decke grundsรคtzlich alle Bedarf ab, die zur Sicherung des menschenwรผrdigen Existenzminimums erforderlich seien. Hielten sich die Kinder mehr als zwรถlf Stunden beim Vater auf, falle der Regelbedarf aber nur dort an und nicht mehr bei der Mutter, urteilte das LSG.
Grรผnde fรผr eine doppelte Sozialgeldzahlung
Allerdings gebe auch durchaus Grรผnde, die fรผr eine doppelte Sozialgeldzahlung sprechen. So sollen die Leistungen der Kinder in temporรคren Bedarfsgemeinschaften der Erleichterung des Umgangsrechts dienen. Werde der Anspruch in der Hauptbedarfsgemeinschaft gekรผrzt, kรถnne der hauptbetreuende Elternteil aus Angst vor einer Sozialgeld-Kรผrzung Druck auf die Kinder ausรผbern, damit diese ihren Umgang mit dem getrennt lebenden Elternteil reduzieren. Dies kรถnne dem Kindeswohl entgegenstehen.
Auรerdem werde mit der Regelleistung eine Vielzahl an Bedarfen finanziert, wie fรผr Mรถbel, Haushaltsgerรคten oder auch Grundgebรผhren fรผr Telefon, die weiterhin in der Hauptbedarfsgemeinschaft anfielen, auch wenn die Kinder zeitweise beim anderen Elternteil sich aufhalten. Letztlich seien aber die gesetzlichen Bestimmungen so ausgestaltet, dass Sozialgeld nur in der Bedarfsgemeinschaft beansprucht werden kรถnne, in der sich die Kinder รผberwiegend aufhalten, entschied das LSG. Das Urteil ist noch nicht rechtskrรคftig, da dagegen Revision beim Bundessozialgericht (BSG) in Kassel eingelegt wurde (Az.: B 14 AS 73/20 R).
Temporรคre Bedarfsgemeinschaft
Dass รผberhaupt getrennt lebende Eltern bei der Wahrnehmung ihres Umgangsrechts eine temporรคre Bedarfsgemeinschaft bilden und damit Hartz-IV-Leistungen beanspruchen kรถnnen, hatte bereits das BSG am 12. Juni 2013 entschieden (Az.: B 14 AS 50/12; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Danach habe das Kind in jedem Haushalt einen eigenen Anspruch auf Sozialgeld. Fรผr jeden mindestens zwรถlfstรผndigen Aufenthalt beim umgangsberechtigten Vater stehe dem Kind 1/30 der monatlichen Regelleistung zu. Nicht entschieden wurde allerdings, ob in dieser Zeit auch die Mutter das Sozialgeld ihrer Kinder erhalten kann.
Am 11. Juli 2019 hatten die obersten Sozialrichter zudem geurteilt, dass bei einem sogenannten Wechselmodell – also der zwischen getrennt lebenden Eltern hรคlftig aufgeteilten Betreuung der Kinder – Hartz-IV-Bezieher sich nicht nur hรคlftig auch den Mehrbedarf fรผr Alleinerziehende teilen mรผssen, sondern jeder auch einen erhรถhten Unterkunftsbedarf geltend machen kann (Az.: B 14 AS 23/18 R).
Jobcenter muss Erstattung der Unterkunftskosten die Kinder berรผcksichtigen
So mรผsse das Jobcenter bei der Erstattung der Unterkunftskosten die Kinder mitberรผcksichtigen. Normalerweise mรผsse die Behรถrde zwar nur fรผr jene Unterkunft aufkommen, in der die Kinder sich โรผberwiegend” aufhalten und ihren Lebensmittelpunkt haben, urteilte das BSG. Beim Wechselmodell kรถnne dies aber nicht bestimmt werden. Die Kinder hรคtten daher zwei Lebensmittelpunkte, beim Vater und bei der Mutter. Die Unterkunftskosten mรผssten โnach Kรถpfen” und damit unter Einrechnung der Kinder bezahlt werden. Daraus kann sich ein Anspruch auf eine grรถรere angemessene Wohnung ergeben.ย fle