Bürgergeld: Jobcenter darf Obdachlosen nicht zwingen, eine Wohnung zu suchen

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Ein Jobcenter darf Bezieher der Grundsicherung (derzeit Bürgergeld, seinerzeit Hartz-IV) nicht per Bescheid verpflichten, sich eine Wohnung zu suchen. Wenn der Betroffene sich weigert, eine entsprechende Eingliederungsvereinbarung zu unterschrieben, und das Jobcenter verpflichtet ihn trotzdem zur Wohnungsssuche, dann handelt es sich um einen Bruch mit dem Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten. So entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 9 AS 4164/15).

Leistungsberechtigter schläft in Pritschenwagen

Der Betroffene war damals 60 Jahre alt und schlief seit Jahren in einem offenen Pritschenwagen. Das Jobcenter drängte darauf, dass der Betroffenen mitwirken müsse, um sich in den Arbeitsmarkt eingliedern zu können.

Wohnsituation ändern, um Jobchancen zu verbessern

Der zuständige Mitarbeiter des Jobcenters verlangte, dass er sich um eine Wohnung kümmerte, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Der Mann lehnte das ab und verweigerte seine Unterschrift unter eine vom Jobcenter diesbezüglich verfasste Eingliederungsvereinbarung. Er erklärte, weiterhin in seinem Pritschenwagen leben zu wollen.

Jobcenter erlässt einen Verwaltungsakt

Das Jobcenter erließ jetzt einen Eingliederungsverwaltungsakt. In diesem verpflichtete es den Wagenbewohner dazu, seine Wohnsituation zu klären. Er sollte Kontakt zur Stadt Radolfzell aufnehmen, eine Notunterkunft aufsuchen und sich aktiv um eine Wohnung bemühen.

Klage vor dem Sozialgericht

Der Wagenbewohner klagte vor dem Sozialgericht Konstanz, und das blieb erfolglos. Die dortigen Richter hielten den Verwaltungsakt des Jobcenters für legitim und erkannten keinen rechtlichen Probleme dabei, den Betroffenen zur Wohnungssuche zu verpflichten.

Landessozialgericht erkennt Rechtsbruch des Jobcenters

Der Leistungsberechtigte ging in Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart. Die Richter dieser zweiten Instanz klopften dem Jobcenter auf die Finger. Sie betonten, dass einen Eingliederungsvereinbarung sich laut Gesetz ausschließlich auf die Eingliederung in den Arbeitsmarkt beziehe.

Kein unmittelbarer Bezug zum Arbeitsmarkt vorhanden

Um einen Leistungsberechtigten zu verpflichten, müsse ein solcher Bezug zum Arbeitsmarkt unmittelbar sein. Zwar würden sich mit einer Wohnung die Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhöhen, ein unmittelbar arbeitsmarktbezogenes Moment sei aber nicht gegeben.

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Mahnung an das Jobcenter

Die weiteren Ausführungen der Stuttgarter Richter klingen nicht nur wie eine rechtliche, sondern auch wie eine ethisch-moralische Mahnung (und Warnung) an die zuständigen Mitarbeiter des Jobcenters, ihre Grenzen einzuhalten.

Selbstbestimmungsrecht spielt eine große Rolle

Denn, so die Richter, je weiter sich das Jobcenter von Kern der Eingliederung in Arbeit entferne, desto mehr müsse es das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten beachten. Dieses sei vom Grundgesetz geschützt.

Ein wichtiges Urteil

Für Bürgergeld-Bezieher ist dies Urteil wichtig. Mitarbeiter der Jobcenter fallen immer wieder durch Übergriffe auf, greifen also unerlaubt und störend in die persönlichen Grenze von Leistungsberechtigten ein, und dies auch gegen deren ausdrücklichen Willen.

Die Stuttgarter Richter haben dem einen klaren Riegel vorgeschoben, und das Jobcenter in seinen Bereich verwiesen, nämlich die Vermittlung in Arbeit.

Abwägung von Interessen und Rechtsgütern

Die Richter entschieden klar, dass das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten Vorrang hat. Wer Bürgergeld bezieht, verpflichtet sich, sein bestes zu tun, um in eine Erwerbsbeschäftigung zu kommen, also den Zustand der Hilfebedürftigkeit zu beenden.

Die Stuttgarter Richter klärten, dass sich diese Mitwirkung auf den unmittelbaren Bezug zum Arbeitsmarkt bezieht (das umfasst zum Beispiel das Schreiben von Bewerbungen, und die aktive Suche nach einer Beschäftigung), aber mittelbare Verbesserungen der Chancen, eine Arbeit zu finden nicht auf Kosten der Selbstbestimmung der Betroffenen gehen dürfen.