Schwerbehinderung: Wichtiges GdB Urteil – Gericht legt Herabsetzung fest

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Im Schwerbehindertenrecht geht es nicht um das AusmaรŸ des subjektiven Leidens, sondern um die objektive Einschrรคnkung der Gestaltungsspielrรคume. Zusรคtzlich kommt es bei einem Grad der Behinderung nicht darauf an, ob in Zukunft mรถgliche Folgen eintreten kรถnnen. So entschied das Sozialgericht Hamburg. (S 43 SB 478/21)

Hilfebedรผrftig wegen Diabetes

Die Betroffene hatte einen anerkannten Grad der Behinderung von 50 sowie das Merkzeichen H (Hilfebedรผrftigkeit) wegen Funktionsbeeintrรคchtigungen aufgrund Diabetes mellitus Typ I. Das zustรคndige Versorgungsamt fรผhrte eine Nachprรผfung durch.

In dieser schrieb die Betroffene auf die Frage, ob sie sich in ihrer Lebensfรผhrung gravierend beeintrรคchtigt fรผhlte, dies sei nicht der Fall und sie mรผsse damit leben. Das Amt beabsichtigte, den Grad der Behinderung auf 40 herabzustufen und das Merkzeichen H zu entziehen und hรถrte die Betroffene dazu an.

Grad der Behinderung herabgestuft

Im Neufeststellungsbescheid stufte das Amt den Grad der Behinderung auf 40 herab und sah keine Voraussetzungen mehr fรผr das Merkzeichen H. Einen Widerspruch der Erkrankten, dem diese einen Befundbericht eines Krankenhauses zugefรผgt hatte, wies das Amt als unbegrรผndet zurรผck.

Klage vor dem Sozialgericht

Die Betroffene klagte vor dem Sozialgericht, weil sie die Herabsetzung als ungerechtfertigt ansah. Sie argumentierte, dass ohne die fachkundige Versorgung durch ihre Mutter ein erhรถhter Blutzuckerspiegel deutlich hรคufiger vorkรคme und trotz der mรผtterlichen Vorsorge erhebliche Schwankungen auftreten wรผrden.

Neuer Gutachter stellt ebenfalls einen Grad der Behinderung von 40 fest

Das Amt verwies auf die Begrรผndungen in den verschickten Bescheiden. Das Gericht holte die medizinischen Befundberichte ein und beauftragte zusรคtzlich einen Facharzt fรผr Allgemeinmedizin fรผr ein Gutachten. Dieser erkannte ebenfalls einen Grad der Behinderung von 40.

Keine auรŸergewรถhnliche Behandlung

So spritze die Betroffene zwar vier- bis fรผnfmal tรคglich Insulin, es gebe aber keine Hinweise auf eine zusรคtzliche gravierende Beeintrรคchtigung der Lebensfรผhrung. Die Stoffwechsellagen seien nicht auรŸergewรถhnlich schwer regulierbar, und es gebe auch keinen auรŸergewรถhnlich hohen Behandlungsaufwand. Die Berichte und Dokumentationen deuteten auf eine ausreichend gute Einstellung des Diabetes mellitus.

Das Gericht weist die Klage ab

Das Gericht erklรคrte, die Klage sei nicht begrรผndet. Nach den MaรŸstรคben der Versorgungsmedizin sei ein Grad der Behinderung von 40 gerechtfertigt und keine Schwerbehinderteneigenschaft mehr festzustellen.

Die Lebensfรผhrung muss gravierend beeintrรคchtigt sein

Fรผr einen Grad der Behinderung von 50 mรผssten nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag vorliegen, sowie ein selbststรคndiges Anpassen der Insulindosis, sondern auch eine gravierende Beeintrรคchtigung der Lebensfรผhrung.

Bei der Klรคgerin wรผrden keine gravierenden Auswirkungen auf die Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilitรคt vorliegen.

Ihre Nachteile seien zwar einschrรคnkend und belastend, jedoch nicht gravierend.

Mรถgliche Verรคnderungen der Zukunft zรคhlen nicht

Dabei komme es, entgegen der Auffassung der Betroffenen, nicht darauf an, ob eventuell in Zukunft schwerwiegende Stoffwechsellagen eintreten kรถnnen, noch darauf, dass durch Vernachlรคssigung ihres Therapieverhaltens eine schlechtere Stoffwechsellage entstehen kรถnnte.

Die gegenwรคrtige Versorgung durch die Mutter sei deshalb kein Argument, das einen hรถheren Grad der Behinderung rechtfertige.

Nicht die Diagnose zรคhlt, sondern die Einschrรคnkung

Von der Betroffenen erwรคhnte Probleme am Arbeitsplatz wรผrden am niedrigeren Grad der Behinderung nichts รคndern. Denn im Schwerbehindertenrecht ginge es nicht um das AusmaรŸ des subjektiven Leidens, sondern um die dadurch objektiv eingeschrรคnkten Gestaltungsspielrรคume.

Nicht Diagnosen oder kรถrperliche Defizite kennzeichneten den Grad der Behinderung, sondern das tatsรคchliche AusmaรŸ der aus der Erkrankung folgenden Beeintrรคchtigungen von Funktionen. Es fehle eine Dokumentation der am Arbeitsplatz beschriebenen Ereignisse, damit diese รคrztlich bewertet werden kรถnnten.