Schwerbehinderung: Unbefristeter Ausweis kann entzogen werden

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Ein Urteil des Bundessozialgerichts (Az: B 9 SB 2/15 R) klรคrt, dass die Aufhebung einer einmal festgestellten Schwerbehinderung auch viele Jahre spรคter zulรคssig ist โ€“ sofern sich die gesundheitlichen Voraussetzungen geรคndert haben.

Selbst ein unbefristet ausgestellter Schwerbehindertenausweis schรผtzt Betroffene nicht davor, den Status wieder zu verlieren. Fรผr Betroffene kann dies gravierende Folgen haben: Steuererleichterungen, besonderer Kรผndigungsschutz und Zugang zu frรผherer Rente entfallen.

Krankheit รผberstanden: Wann darf die Behรถrde den GdB aufheben?

Im konkreten Fall hatte ein Mann nach einer Hodenkrebserkrankung seit 1992 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt bekommen. Dieser Wert wurde unter der Annahme vergeben, dass eine sogenannte Heilungsbewรคhrung โ€“ also eine Zeit ohne Rรผckfall โ€“ abgewartet werden mรผsse. Gesetzlich betrรคgt dieser Zeitraum meist fรผnf Jahre.

Trotz รคrztlicher Hinweise auf eine erneute รœberprรผfung ab 1997 unterblieb diese. Die zustรคndige Behรถrde verlรคngerte den Ausweis stattdessen mehrfach โ€“ zuletzt unbefristet. Erst 2011, also fast zwei Jahrzehnte spรคter, wurde ein neuer medizinischer Gutachter eingeschaltet.

Dieser kam zu dem Ergebnis, dass mittlerweile keine gesundheitlichen Einschrรคnkungen mehr vorlรคgen, die einen GdB von 50 rechtfertigen.

Vertrauen schรผtzt nicht vor Statusverlust

Der Klรคger berief sich darauf, dass er auf den Fortbestand seines Schwerbehindertenstatus vertraut habe โ€“ nicht zuletzt wegen der mehrfachen Verlรคngerungen durch die Behรถrde. Er argumentierte, der Staat habe durch die Ausstellung eines unbefristeten Ausweises bei ihm ein schรผtzenswertes Vertrauen erzeugt.

Dem widersprach das Gericht entschieden. Entscheidend sei, dass ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung โ€“ wie die Feststellung einer Schwerbehinderung โ€“ nur dann bestehen bleiben kรถnne, wenn die tatsรคchlichen Voraussetzungen weiterhin erfรผllt seien.

Sobald sich diese รคndern, sei die Behรถrde gesetzlich sogar verpflichtet, den Bescheid fรผr die Zukunft aufzuheben (ยง 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Ein einmal erteilter Ausweis sei lediglich eine Urkunde, nicht aber ein rechtlich bindender Anspruch auf unbefristete Anerkennung.

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Heilungsbewรคhrung: Rechtliche Grundlage fรผr die Neubewertung

Laut Versorgungsmedizin-Verordnung endet der pauschale GdB nach Ablauf der Heilungsbewรคhrung. Ab diesem Zeitpunkt muss die Bewertung der Behinderung individuell nach den verbleibenden kรถrperlichen oder psychischen Einschrรคnkungen erfolgen. Im Fall des Klรคgers sahen die Gerichte keine relevanten Gesundheitsstรถrungen mehr, die einen GdB von mindestens 20 rechtfertigten โ€“ die gesetzliche Mindestgrenze fรผr eine Schwerbehinderung.

Zehnjahresfrist schรผtzt nicht bei Zukunftsentscheidungen

Der Klรคger verwies auch auf die im Sozialrecht bestehende Zehnjahresfrist (ยง 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X). Diese soll verhindern, dass rechtswidrige, begรผnstigende Verwaltungsakte zu einem spรคteren Zeitpunkt aufgehoben werden. Das BSG stellte jedoch klar: Die Zehnjahresfrist gilt nur fรผr rรผckwirkende ร„nderungen. Fรผr Entscheidungen mit Wirkung in die Zukunft bleibt die Aufhebung rechtmรครŸig โ€“ selbst wenn die relevante Verรคnderung viele Jahre zurรผckliegt.

Langsame Behรถrdenarbeit: Kein Grund fรผr Vertrauensschutz

Ein weiteres Argument des Klรคgers: Die Verwaltung habe 14 Jahre lang untรคtig zugesehen und erst dann reagiert. Auch dieses Argument รผberzeugte das Gericht nicht. Zwar erkannte es die Untรคtigkeit der Behรถrde an, doch ein sogenanntes โ€žVerwirkungsverhaltenโ€œ โ€“ also ein klarer Verzicht auf die Nachprรผfung โ€“ sei nicht ersichtlich gewesen.

Eine einfache Verlรคngerung oder sogar unbefristete Ausstellung des Ausweises reiche fรผr ein solches Vertrauen nicht aus. MaรŸgeblich sei allein, ob die gesundheitliche Lage eine Schwerbehinderung objektiv noch rechtfertigt.

Was bedeutet das Urteil fรผr Betroffene?

Das Urteil hat Signalwirkung fรผr alle Menschen mit befristetem oder auch unbefristetem Schwerbehindertenausweis. Die Anerkennung einer Schwerbehinderung steht immer unter dem Vorbehalt der Verรคnderung des Gesundheitszustands. Die Verwaltung ist gesetzlich dazu verpflichtet, eine Neubewertung vorzunehmen, wenn sich der Zustand gebessert hat. Das gilt auch dann, wenn sie jahrelang nicht reagiert hat.

Fรผr Betroffene bedeutet das konkret:
Wenn sich der Gesundheitszustand deutlich verbessert hat, kรถnnen die damit verbundenen Vorteile wie Steuerfreibetrรคge, Sonderurlaub oder Kรผndigungsschutz wieder entfallen โ€“ auch nach Jahren.