Schwerbehinderung: Kündigungsschutz gilt auch vor der offiziellen Anerkennung

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Sie können Schutz und Ansprüche wegen Schwerbehinderung sogar einfordern, wenn Sie noch keine Feststellung der Behinderung beantragt haben, diese also noch nicht offiziell festgestellt ist. Das geht allerdings nur, wenn Außenstehende diese offenkundig erkennen können. So entschied das Bundesarbeitsgericht (8 AZR 191/21).

Halbseitige Lähmung nach Schlaganfall

Geklagt hatte ein Hausmeister aus Sachsen-Anhalt. Dieser war in einem Leiharbeitsunternehmen tätig gewesen und hatte in einer Grundschule gearbeitet. Die Stadt als Träger / Arbeitgeber kündigte seinen „Vertrag über eine Personalgestellung“.

Er klagte und begründete dies damit, dass er wegen einer Behinderung diskriminiert worden sei. Deshalb verlangte er Schadensersatz. Er gab an, er habe zum Zeitpunkt der Kündigung nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt auf einer Intensivstation gelegen.

Bruch des Kündigungsschutzes

Die Leiharbeitsfirma habe davon gewusst und sei deshalb verpflichtet gewesen, vor einer Kündigung eine Zustimmung vom zuständigen Integrationsamt einholen zu müssen. Da dies nicht erfolgt sei, liege ein Rechtsbruch gegen den besonderen Kündigungsschutz für Menschen mit Schwerbehinderung vor. Deshalb habe er wegen Diskriminierung einen Anspruch auf Schadensersatz.

Keine Kenntnis gehabt

Der Arbeitgeber gab an, zum Zeitpunkt der Kenntnis keine Kenntnis von einer Schwerbehinderung des Klägers gehabt zu haben und auch nicht von Tatsachen, die eine solche offenkundig erscheinen ließen. Deshalb müsse er keine Zustimmung des Integrationsamts einholen. Vielmehr sei die Kündigung allein aufgrund des mit der Stadt bestehenden Vertrags erfolgt.

Bei Schwerbehinderung muss das Integrationsamt zustimmen

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte in der Ablehnung einer Revision, dass ein Indiz für eine Diskriminierung vorliegt, wenn ein schwerbehinderter Mensch gekündigt wird, ohne dass das Integrationsamt zustimmt. Diese Rechtslage ist laut Paragraf 168 des Sozialgesetzbuches IX eindeutig.

Besonders in diesem Fall ist dabei, dass – laut den Richtern – dieser besondere Rechtsschutz bereits dann bestehen kann, wenn bisher die Schwerbehinderteneigenschaft weder beantragt noch festgestellt wurde.

Schwerbehinderung muss offenkundig und dauerhaft sein

Ansprüche würden dann gelten, wenn die Schwerbehinderung für den Arbeitgeber offenkundig sei. Und diese bekannte Schwerbehinderung müsse auch offenkundig dauerhaft sein.

Der Hausmeister bekam allerdings beim Bundesarbeitsgericht keinen Anspruch zugesprochen. Zwar sei die halbseitige Lähmung offenkundig als Schwerbehinderung zu erkennen gewesen. Kurz nach dem Schlaganfall sei es aber noch offen geblieben, ob diese dauerhaft sein würde.

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Der besondere Kündigungsschutz

Schwerbehinderte Arbeitnehmer und gleichgestellte Beschäftigte haben als Nachteilsausgleich einen besonderen Kündigungsschutz. Arbeitgeber müssen laut dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch schriftlich die Zustimmung des Integrationsamts einholen, bevor sie die Betroffenen kündigen.

Der Arbeitgeber muss den Grund für die Kündigung erläutern

Die Arbeitgeber müssen diesen besonderen Kündigungsschutz immer beachten – unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter. Im Antrag beim Integrationsamt müssen sie den Grund für die Kündigung darlegen und besonders die Verbindung zwischen Kündigung und Behinderung aufzeigen.

Ohne Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung ist diese unwirksam. Eine nachträgliche Zustimmung ist nicht möglich. Das Integrationsamt hört sowohl die Beschäftigten an, wie den Personal- oder Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung (falls vorhanden).

Kündigung möglichst vermeiden

Um eine Kündigung zu vermeiden, sucht das Integrationsamt nach Möglichkeiten, eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Dazu zählen zum Beispiel das Umsetzen auf einen anderen Arbeitsplatz, die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Hilfsmitteln, eine Arbeitsassistenz oder eine finanzielle Hilfe für den Arbeitgeber.

Fazit

Nachteilsausgleiche, die sich aus einer Schwerbehinderung ergeben, gelten unter Umständen auch dann, wenn das Versorgungsamt die Schwerbehinderteneigenschaft (noch) nicht festgestellt hat.

Dazu muss die Schwerbehinderung für den Arbeitgeber erstens offenkundig sein, und zweitens ebenso offenkundig dauerhaft. Nur wenn beides gegeben ist, gelten die Nachteilsausgleiche am Arbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen.