Schwerbehinderte Beschäftigte sollen im Beruf nicht zurückstecken müssen, wenn sie Kinder bekommen. Das hat das Verwaltungsgericht Mainz (Az. 1 K 140/24.MZ) klargestellt.
Die Geschichte hinter dem Gerichtsverfahren
Die Klägerin, anerkannt schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100, arbeitete vor ihrer Schwangerschaft auf Teilzeitbasis (20 Stunden/Woche). Weil sie mit Kind zunächst nur zehn Stunden tätig sein konnte, beantragte sie beim Integrationsamt Geld für die Assistenz.
Zuvor hatte sie diese Unterstützung bereits erhalten. Mit Beginn der Elternzeit sah das Amt jedoch die Voraussetzungen nicht mehr als erfüllt an.
In zwei Verwaltungsverfahren beschied der Kostenträger zunächst, dass ein reduzierter Arbeitsumfang unter 15 Stunden keine „berufliche Erwerbstätigkeit“ im Sinne des Gesetzes darstelle. Argument: Die Erwerbsfähigkeit sei bei zehn Stunden zu gering. Der Widerspruchsausschuss bestätigte diese Lesart.
Die Klägerin klagte vor dem Verwaltungsgericht – und bekam Recht. Sie musste demnach die Kosten von mehr als 10.000 Euro für die benötigte Assistenz nicht selbst tragen.
Was bedeutet das Urteil für Eltern und Arbeitgeber?
Das Urteil zeigt, dass der Arbeitsvertrag im Vordergrund steht. Wer regulär mindestens 15 Stunden pro Woche arbeitet, aber wegen Elternzeit zeitweise weniger Stunden leistet, behält den Anspruch auf finanzielle Unterstützung für eine benötigte Arbeitsassistenz.
Eltern können dadurch im Job bleiben. Das erweitert die Handlungsspielräume, wenn familiäre Verpflichtungen anstehen. Arbeitgeber wiederum profitieren von Fachkräften, die trotz reduzierter Stundenzahl am Arbeitsplatz bleiben.
Langfristige Folgen für die Inklusion im Arbeitsleben
Das Urteil stärkt die Position arbeitender Eltern, denen eine Behinderung das Berufsleben erschwert. Indem das Gericht unterstreicht, dass die verringerte Wochenarbeitszeit in der Elternzeit nicht zu einem automatischen Wegfall des Anspruchs führt, wird ein wichtiges Signal gesendet:
Familienfreundliche Regelungen sollen keine Einbahnstraße sein.
Das Selbstbestimmungsrecht schwerbehinderter Menschen gilt uneingeschränkt – auch wenn die Arbeit vorübergehend reduziert wird.
Arbeitgeber, die offen für flexible Modelle sind, können qualifizierte Mitarbeitende halten, statt sie nach der Elternzeit neu suchen zu müssen.
Diese Entwicklung fördert den Zusammenhalt in Betrieben und verringert die Fluktuation. Außerdem profitieren Unternehmen, die Inklusion und Familienfreundlichkeit als Standortvorteil begreifen, von erhöhter Motivation und Loyalität in der Belegschaft.
Tipps für Betroffene und Unternehmen
Viele Beschäftigte stehen vor der Frage, wie sie ihre Elternzeit gestalten, wenn sie auf Assistenz angewiesen sind. Folgende Schritte können helfen:
Rechtzeitig informieren: Wer Unterstützung am Arbeitsplatz benötigt, sollte sich frühzeitig mit der zuständigen Stelle in Verbindung setzen und den genauen Ablauf abstimmen.
Arbeitsvertrag prüfen: Die vertraglich geregelte Stundenzahl spielt eine entscheidende Rolle. Wenn diese bei mindestens 15 Stunden liegt, lohnt sich ein genauer Blick auf die Rechtsprechung.
Dokumentation sichern: Betroffene sollten die anfallenden Kosten für ihre Assistenz sorgfältig erfassen, damit die Erstattung eindeutig nachvollziehbar bleibt.
Beratung suchen: Sozialverbände, Schwerbehindertenvertretungen und Gleichstellungsbeauftragte sind hilfreiche Anlaufstellen. Sie kennen ähnliche Fälle und können Hinweise geben, wie man Anträge optimal vorbereitet.