Schwerbehinderung: Sozialgericht bremst höheren GdB aus – Diese Fehler kosten Nachteilsausgleiche

Lesedauer 2 Minuten

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen lehnte jetzt eine weitere Anhebung des Grades der Behinderung (GdB) und das begehrte Merkzeichen G ab. Der Kläger steigerte seinen Gesamt GdB zwar von 60 auf 70, scheiterte aber mit dem Ziel, rückwirkend 80 Prozent und eine unentgeltliche ÖPNV-Nutzung zu erhalten. Der Fall zeigt plastisch, worauf es in Widerspruchs und Klageverfahren ankommt: belastbare Befunde, aktive Mitwirkung – und ein realistischer Blick auf die eigenen Chancen.

Warum dieser Fall wichtig ist

Viele Leserinnen und Leser kämpfen gerade darum, dass Ämter Verschlechterungen anerkennen. Die Entscheidung vom 16. Januar 2025 vermittelt drei zentrale Botschaften:

  1. Ohne persönliche Gutachter­untersuchung sinken die Erfolgschancen drastisch.
  2. Widersprüchliche Befundberichte führen oft zum Vorwurf der Simulation.
  3. Ein höherer GdB allein genügt nicht für das Merkzeichen G; entscheidend ist der Nachweis einer erheblichen Gehbehinderung.

Der Streit in Kürze

Der heute 61-jährige Kläger litt unter psychischen Störungen, Rückenleiden, Seh- und Hörproblemen. Er beantragte 2017 eine GdB-Erhöhung auf mindestens 80 Prozent sowie die Merkzeichen G, RF und Gl. Die Behörde bewilligte 60 Prozent.

Vor Gericht forderte der Mann mehr – ignorierte aber mehrere Termine bei neutralen Sachverständigen. Die Richter stützten sich deshalb auf die Aktenlage. Ergebnis: Seit Februar 2021 wurde ein GdB von 70 akzeptiert, mehr jedoch nicht. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Mobilität ließen die Unterlagen nicht erkennen; somit blieb das Merkzeichen G verwehrt.

Lesen Sie auch:

Mitwirkungspflicht: Eigenes Nichterscheinen kann teuer werden

Rechtsmittel lohnen nur, wenn Betroffene aktiv mitarbeiten. Dazu gehören:

  • vollständige Unterlagen aller Fach­ärztinnen und Fachärzte,
  • Teilnahme an Begutachtungen (bei Bedarf Taxi­kosten beantragen),
  • schnelle Mitteilung neuer Befunde an die Behörde.

Im entschiedenen Fall sah das Gericht „keine belastbaren Fakten“ für eine weiter­gehende Seh- oder Geh­einschränkung, weil der Betroffene weder zur Untersuchung erschien noch plausible Gründe nachwies. Die Richter durften deshalb nach § 62 SGG ausbleibende Mitwirkung zu seinen Lasten werten.

GdB-Berechnung: kleiner Sprung, große Wirkung

Jede Zehnersprosse zählt. Ein Schritt von 60 auf 70 kann Steuer- und Ticket­vergünstigungen auslösen; die Schwelle von 80 eröffnet weitere Nachteilsausgleiche, etwa die unentgeltliche Beförderung im Fernverkehr (bei „B“Merkzeichen). Das Gericht prüft drei Stufen:

  1. Einzel-GdB für jede Funktions­beeinträchtigung,
  2. Zusammenfassung zu einem Gesamt-GdB,
  3. Abgleich mit den Versorgungs­medizinischen Grundsätzen.

Im aktuellen Urteil bewerteten die Richter die psychische Erkrankung weiterhin mit 40 Prozent, Rücken und Gehör je 20 Prozent, Auge lediglich 10 Prozent – zu wenig, um von 70 auf 80 zu springen.

Merkzeichen G: hohe Hürde trotz Rollator

Wer kostenlos oder ermäßigt Bus und Bahn fahren möchte, benötigt das Merkzeichen G (oder aG). Voraussetzung: erhebliche Gehbehinderung, in der Regel weniger als zwei Kilometer Fußweg oder schwere koordinative Probleme. Rücken­schmerzen, Angststörung oder unspezifische Atemnot reichen selten aus; objektive Nachweise wie gang­kinetische Analysen, Lungenfunktions­tests oder neurologische Befunde sind nötig. Im verhandelten Verfahren fehlten solche Belege.

Fünf Praxistipps für ein erfolgreiches Änderungsverfahren

  1. Verschlechterung sofort melden. Der höhere GdB gilt frühestens ab Antragsdatum.
  2. Gutachtertermine wahrnehmen. Bei Reiseproblemen, Fahrdienst oder Kosten­erstattung beantragen.
  3. Befunde konsistent halten. Unterschiede in Audiogrammen oder Gesichtsfeld­messungen erklären, sonst droht der Verdacht der Übertreibung.
  4. Zweitgutachten sichern. Wer Einschätzungen des Amtsarztes anzweifelt, organisiert eine fundierte Gegen­expertise – idealerweise sozialmedizinisch.
  5. Merkzeichen separat begründen. Das Formular „Schutz vor Gebühr“ reicht nicht; erläutern Sie konkret, welche Strecke Sie maximal bewältigen.

Kostenrisiko nicht unterschätzen

Das Gericht auferlegte dem Kläger trotz teilweisen Erfolgs seine kompletten außer­gerichtlichen Kosten. Begründung: Das neue Teil­anerkenntnis basierte nicht auf überzeugenden Nachweisen, sondern auf „wohlwollender Wertung“. Wer unsichere Verfahren führt, sollte daher Rechtsschutz­versicherung oder Beratungs­hilfe prüfen.