Schwerbehinderung: GdB abgelehnt – Diese Fehler kosten den Schwerbehindertenausweis

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Wer einen Grad der Behinderung (GdB) ab 50 anstrebt, muss mehr tun als Formulare ausfรผllen. Ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Wรผrttemberg (Az: L 8 SB 1657/24) zeigt: Ohne umfassende Belege und รคrztliche Freigaben bleibt es meist beim niedrigen GdB โ€“ und damit ohne Bรผrgergeld-Mehrbedarf, Kรผndigungsschutz oder Steuerentlastung.

Die Botschaft ist eindeutig: Wer nicht mitwirkt, riskiert den Verlust grundlegender Sozialleistungen.

Fall aus Baden-Wรผrttemberg zeigt die Konsequenzen mangelnder Kooperation

Im Zentrum des Verfahrens stand eine Frau (Jahrgang 1988), die bei ihrer Antragstellung eine Vielzahl kรถrperlicher und seelischer Beschwerden geltend machte. Ihr Ziel: die Feststellung eines GdB von 50. Das zustรคndige Landratsamt erkannte jedoch lediglich einen GdB von 30 an. Widerspruch und Klage blieben erfolglos.

Der Grund: Die Antragstellerin verweigerte sowohl eine medizinische Begutachtung als auch die Entbindung ihrer behandelnden ร„rzte von der Schweigepflicht. Das Gericht konnte somit keine ausreichenden medizinischen Nachweise prรผfen โ€“ ein Umstand, der nach Auffassung der Richter\:innen eine fundierte Bewertung unmรถglich machte.

Beweispflicht liegt bei den Betroffenen โ€“ nicht bei der Behรถrde

Das Urteil macht deutlich: Wer einen hรถheren GdB beansprucht als zunรคchst festgestellt, muss diesen Anspruch auch belegen. Dazu zรคhlen aktuelle Befunde, aussagekrรคftige Therapieberichte und โ€“ bei Bedarf โ€“ eine gerichtsfeste Begutachtung.

Gerichte kรถnnen und wollen nicht spekulieren. Liegen keine belastbaren Nachweise vor, gilt der Bescheid der Behรถrde als rechtmรครŸig. Dies gilt insbesondere bei sogenannten unsichtbaren Krankheiten wie Depression, chronischer Schmerz oder Fatigue, wo persรถnliche Schilderungen ohne รคrztliche Verifikation kaum Gewicht haben.

Warum GdB 50 fรผr viele Leistungsbeziehende entscheidend ist

Ein GdB ab 50 hat weitreichende finanzielle und rechtliche Vorteile. Vor allem fรผr Bรผrgergeld-Bezieher bringt er einen konkreten Mehrwert:

  • Mehrbedarf (ยง 21 Abs. 4 SGB II): Aktuell erhalten Menschen mit GdB 50 oder mehr monatlich rund 90 Euro zusรคtzlich โ€“ 18 % des Regelsatzes.
  • Mobilitรคtshilfen: Die Merkzeichen โ€žGโ€œ oder โ€žaGโ€œ ermรถglichen Fahrdienst-Zuschรผsse oder Erleichterungen beim รถffentlichen Nahverkehr.
  • Wohnraumanpassung: Zuschรผsse fรผr barrierefreie Umbauten kรถnnen schneller und unkomplizierter beantragt werden.
  • Erweiterter Kรผndigungsschutz: Arbeitgeber benรถtigen fรผr eine Kรผndigung die Zustimmung des Integrationsamts.

Wichtig: Eine Gleichstellung bei GdB 30 (ยง 2 Abs. 3 SGB IX) schรผtzt zwar vor Kรผndigung, bringt aber keine finanziellen Zusatzleistungen.

Vermeintliche Hรผrden โ€“ und wie Sie sie รผberwinden

Viele Antragsteller\:innen schrecken vor der Offenlegung sensibler Informationen zurรผck. Andere halten Begutachtungen fรผr รผbergriffig oder fรผrchten, dass ihre Beschwerden ohnehin nicht geglaubt werden. Doch diese Denkweise senkt die Chancen erheblich. Wer die Spielregeln des Verfahrens kennt, kann gezielt gegensteuern.

Wer seinen Antrag auf einen hรถheren Grad der Behinderung erfolgreich gestalten mรถchte, sollte strategisch und selbstbestimmt vorgehen. Dabei spielt der Schutz persรถnlicher Daten eine wichtige Rolle: Schweigepflichtentbindungen lassen sich gezielt einschrรคnken โ€“ etwa bestimmte Zeitrรคume oder konkrete Diagnosen โ€“ und mรผssen keineswegs eine pauschale Freigabe aller medizinischen Informationen bedeuten.

Um das Vertrauen von Gutachter und Behรถrden zu stรคrken, empfiehlt sich das Fรผhren von Symptomtagebรผchern. Protokolle zu Schmerzen, Migrรคne oder psychischen Beschwerden machen subjektives Leiden nachvollziehbar und bieten eine wertvolle Grundlage fรผr die Bewertung.

Auch Begutachtungen lassen sich aktiver gestalten, als viele denken. Wer vorab schriftlich um regelmรครŸige Pausen bittet, eine Begleitperson mitnimmt und seine medizinischen Unterlagen sortiert รผbergibt, signalisiert Kooperationsbereitschaft und behรคlt gleichzeitig die Kontrolle รผber den Prozess.

SchlieรŸlich ist es wichtig, Krankheitsbilder nicht isoliert zu betrachten: Einzelne, vermeintlich leichte Diagnosen entfalten oft erst im Zusammenspiel mit anderen Leiden ihre volle Wirkung. Nur wenn die gegenseitige Verstรคrkung dieser Beschwerden รผberzeugend dargestellt wird, kann daraus ein hรถherer GdB abgeleitet werden.

Was Antragsteller\:innen konkret vorbereiten sollten

Wer einen Schwerbehindertenausweis beantragen mรถchte, sollte sich gut vorbereiten, um die Erfolgschancen zu erhรถhen. Zu Beginn empfiehlt es sich, eine Liste aller behandelnden ร„rztinnen und ร„rzte zu erstellen โ€“ sowohl Hausรคrzt:innen als auch Fachรคrzt:innen. AnschlieรŸend sollten gezielt medizinische Befunde angefordert werden. Wichtig dabei: Die Unterlagen mรผssen aktuell, nachvollziehbar und inhaltlich relevant fรผr die geltend gemachten Einschrรคnkungen sein.

Auch die Schweigepflichtentbindung sollte nicht pauschal erfolgen, sondern themenbezogen formuliert werden โ€“ etwa auf bestimmte Diagnosen oder Behandlungszeitrรคume begrenzt. Parallel dazu ist es ratsam, ein Symptomtagebuch zu fรผhren. Eine lรผckenlose Dokumentation รผber mindestens drei Monate hinweg kann subjektive Beschwerden wie Schmerzen, Erschรถpfung oder depressive Phasen nachvollziehbar machen.

Wer unsicher ist, sollte frรผhzeitig eine unabhรคngige Sozialberatung โ€“ etwa beim VdK oder SoVD โ€“ in Anspruch nehmen.

Kommt es zu einem Widerspruchs- oder Klageverfahren, gewinnt die Genauigkeit zusรคtzlich an Bedeutung. Alle Unterlagen mรผssen vollstรคndig vorliegen, Fristen sind strikt einzuhalten.

Und: Ohne die Bereitschaft zur medizinischen Begutachtung lรคsst sich der eigene Anspruch in der Regel kaum durchsetzen. Wer diesen Weg geht, sollte ihn gut vorbereitet und mit einer klaren Beweisstrategie beschreiten.

Schwierige Fรคlle: Psychische Erkrankungen brauchen besondere Nachweise

Gerade bei psychischen Diagnosen wie Depression, Angststรถrung oder posttraumatischer Belastungsstรถrung wird oft der Nachweis objektiver Beeintrรคchtigungen verlangt. Reine Atteste reichen selten aus. Gericht und Behรถrde wollen:

  • Klinikberichte mit Diagnoseschlรผsseln.
  • GAF oder WHODASWerte.
  • Verlaufsdokumentationen.
  • Funktionstagebรผcher mit tรคglichen Eintrรคgen zu Schlaf, Antrieb, Angst, Stimmung.

Entscheidend ist: Lรคsst sich belegen, dass die psychischen Einschrรคnkungen zu gravierenden Alltagshรผrden fรผhren (z.โ€ฏB. Jobverlust, Isolation, Hilfebedarf), steigen die Chancen auf GdB 50 deutlich.

FAQ: Ihre hรคufigsten Fragen zum GdB Verfahren

Kann ich meine Trans-Identitรคt verschweigen?
Ja, solange die funktionellen Einschrรคnkungen (z.โ€ฏB. Depression oder kรถrperliche Folgen von Operationen) trotzdem belegbar sind. Viele ร„mter akzeptieren geschwรคrzte Unterlagen, solange die wesentlichen Informationen erkennbar bleiben.

Ich will kein Gutachten โ€“ reicht ein Attest?
Nur in Ausnahmefรคllen. Gerade bei schwer messbaren Erkrankungen verlangen Gerichte neutrale Begutachtungen. Wer ablehnt, riskiert eine Ablehnung.

Ich habe schon GdB 40 โ€“ lohnt sich der Streit?
Ja, wenn Sie auf Mehrbedarf, steuerliche Vorteile oder frรผhzeitige Rente angewiesen sind. Ohne solide Beweise wird ein GdB 50 jedoch selten durchgesetzt.

Ich blicke bei Formularen nicht durch โ€“ was tun?
Nutzen Sie frรผhzeitig Sozialberatungsstellen. Sie helfen beim Antrag, dokumentieren Fristen und beraten im Widerspruchsverfahren.