Arbeitgeber sind gegenüber schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten grundsätzlich verpflichtet, an einer stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Diese Mitwirkung kann im Einzelfall so weit gehen, dass der oder die Beschäftigte nach einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan vorübergehend mit angepassten Aufgaben und reduzierter Stundenzahl beschäftigt werden muss.
Das gilt allerdings nur, wenn der Plan tragfähig ist und keine durch konkrete medizinische Erkenntnisse gestützten Zweifel bestehen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Verfahren Az.: 8 AZR 530/17 klargestellt: Lehnt der Arbeitgeber die Wiedereingliederung aus nachvollziehbaren gesundheitlichen Gründen ab, entsteht kein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe einer vermeintlich entgangenen Vergütung.
Inhaltsverzeichnis
Worum ging es konkret?
Ein schwerbehinderter technischer Angestellter einer Stadtverwaltung war mehrere Monate arbeitsunfähig erkrankt. Sein behandelnder Arzt befürwortete die stufenweise Wiedereingliederung und entwarf einen Plan, der den Einsatz am bisherigen Arbeitsplatz ohne besondere Einschränkungen vorsah.
Dem stand eine kurz zuvor erstellte betriebsärztliche Beurteilung gegenüber, die deutliche Leistungsgrenzen dokumentierte, etwa das Vermeiden von starkem Zeitdruck und komplexen Steuerungsaufgaben. Die Arbeitgeberin lehnte den ersten Plan deshalb ab.
Kurz darauf wurde ein zweiter, angepasster Plan vorgelegt – dieses Mal unter Einbeziehung eines aktuellen psychologischen Berichts. Die Betriebsärztin überprüfte die Situation erneut und bewertete die Einsatzfähigkeit nun positiv. Dieser zweite Plan wurde umgesetzt; im Anschluss war der Beschäftigte wieder voll arbeitsfähig.
Der Arbeitnehmer verlangte dennoch Ersatz für die Vergütung, die er nach seiner Auffassung bei einer Umsetzung des ersten Plans früher erhalten hätte. Das BAG wies diesen Anspruch ab.
Der rechtliche Rahmen
Die maßgebliche Pflicht, schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen angemessen zu beschäftigen und behinderungsbedingte Nachteile im Arbeitsverhältnis auszugleichen, folgt heute aus § 164 Abs. 4 SGB IX (früher § 81 Abs. 4 SGB IX a. F.).
Daraus kann sich – wenn ein ordnungsgemäßer, arbeitsplatzbezogener ärztlicher Wiedereingliederungsplan vorliegt – eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers ergeben, die eine planentsprechende Beschäftigung nahelegt.
Parallel dazu verpflichtet § 167 Abs. 2 SGB IX Arbeitgeber zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM), sobald Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind.
Das bEM ist jedoch ein Verfahren zur Klärung, welche Maßnahmen im Einzelfall sinnvoll sind. Es begründet für sich genommen keinen unmittelbaren Anspruch auf Beschäftigung nach einem bestimmten Stufenplan.
Wichtig ist außerdem die Rechtsnatur der stufenweisen Wiedereingliederung: Sie dient vorrangig der medizinischen Rehabilitation und ist rechtlich ein Vertragsverhältnis eigener Art. Ohne besondere Vereinbarung entsteht während der Wiedereingliederung kein automatischer Vergütungsanspruch wie in einem regulären Arbeitsverhältnis.
Lohnfragen sind gesondert zu regeln; häufig beziehen Betroffene währenddessen Entgeltersatzleistungen (z. B. Krankengeld) und erhöhen schrittweise ihre Arbeitsbelastung.
Was hat das BAG entschieden?
Das BAG hat die Ablehnung des ersten Wiedereingliederungsplans als gerechtfertigt angesehen, weil die Arbeitgeberin sich auf gewichtige, aktuelle betriebsärztliche Einschätzungen stützen konnte. Diese begründeten die Befürchtung, dass die geplanten Tätigkeiten den Gesundheitszustand des Beschäftigten überfordern würden.
Entscheidend war, dass sich die Zweifel bis zum vorgesehenen Starttermin nicht verlässlich ausräumen ließen. In dieser Konstellation besteht keine Pflicht, den Plan umzusetzen.
Konsequenz: Ein Schadensersatzanspruch für die Zeit bis zur späteren Umsetzung eines zweiten, medizinisch abgestimmten Plans besteht nicht. Die Richterinnen und Richter betonen damit die Grenzen der Mitwirkungspflicht: Sie endet dort, wo ernsthafte medizinische Bedenken gegen die konkrete Ausgestaltung des Plans sprechen und kurzfristig keine belastbare Klärung möglich ist.
bEM und Wiedereingliederung sauber trennen
In der Praxis werden bEM und stufenweise Wiedereingliederung oft vermischt. Das bEM schafft den Rahmen, um unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, der Personal- oder Betriebsvertretung, der betroffenen Person und ggf. externer Stellen geeignete Maßnahmen zu identifizieren. Die Wiedereingliederung ist eine dieser Maßnahmen – aber keine zwingende Folge des bEM und schon gar nicht mit jedem beliebigen Inhalt durchsetzbar.
Ein Wiedereingliederungsplan muss arbeitsplatzbezogen sein, die konkreten Tätigkeiten, Stufen, Umfänge und Belastungsgrenzen benennen sowie eine Prognose enthalten. Reine Therapie- oder Belastungserprobungen ohne Bezug zum Arbeitsplatz reichen nicht aus.
Konsequenzen für Beschäftigte
Für Beschäftigte bedeutet das Urteil: Ein gut vorbereiteter, fachärztlich abgestimmter und mit der Betriebsärztin bzw. dem Betriebsarzt abgeglichener Plan erhöht deutlich die Chance, dass die Wiedereingliederung ohne Verzögerung startet. Weichen behandelnde Ärztinnen/Ärzte und betriebsärztliche Stellen in der Einschätzung voneinander ab, sollte die Abweichung offen adressiert und medizinisch begründet werden.
Hilfreich ist häufig eine gegenseitige Schweigepflichtentbindung, damit die Fachstellen zielgerichtet kommunizieren und Widersprüche rechtzeitig auflösen können.
Beschäftigte sollten zudem klären, welche Aufgaben sie in welcher Stufe übernehmen können, und ob alternativ organisierte Tätigkeiten im Betrieb verfügbar sind. Je konkreter der Plan den tatsächlichen Arbeitsplatz abbildet, desto geringer das Risiko berechtigter Zweifel. Wichtig ist schließlich ein realistischer Zeitpfad, der nachvollziehbare Stufen vorsieht und aufzeigt, unter welchen Bedingungen die volle Belastbarkeit wieder erreicht werden soll.
Konsequenzen für Arbeitgeber
Arbeitgeber sollten bEM-Verfahren strukturiert durchführen, die betriebsärztliche Expertise frühzeitig einbinden und die Ergebnisse dokumentieren. Treffen unterschiedliche medizinische Aussagen aufeinander, ist eine zumutbare Klärung einzuleiten.
Bleiben begründete Zweifel bestehen, darf die Wiedereingliederung ausnahmsweise abgelehnt werden. Diese Entscheidung muss jedoch sachlich sein und auf aktuellen medizinischen Erkenntnissen beruhen; pauschale oder spekulative Argumente genügen nicht.
Zugleich ist zu prüfen, ob eine angepasste oder ersatzweise Beschäftigung möglich ist, die den Einschränkungen Rechnung trägt. Gerade im öffentlichen Dienst, aber auch in größeren Unternehmen, lassen sich Aufgabenprofile oft vorübergehend umschichten.
Wo betriebliche Alternativen fehlen, sollte dies nachvollziehbar begründet werden. Ein enger Austausch mit Schwerbehindertenvertretung, Personalrat/Betriebsrat und der betroffenen Person ist dabei regelmäßig hilfreich.
Häufige Missverständnisse vermeiden
Ein verbreitetes Missverständnis lautet, die Zustimmung des Arbeitgebers zur Wiedereingliederung sei stets „nur Formsache“. Das Gegenteil ist richtig: Der Plan muss passen. Genauso wenig besteht ein automatischer Lohnanspruch während der Wiedereingliederung; ob Vergütung gezahlt wird, ist eine Frage der Vereinbarung und der sozial- bzw. leistungsrechtlichen Absicherung.
Schließlich begründet auch ein durchgeführtes bEM keinen Automatismus, dass jede vorgeschlagene Maßnahme umgesetzt werden muss. Maßgeblich ist immer die aktuelle gesundheitliche Eignung für die im Plan beschriebenen Tätigkeiten.
Praktisches Vorgehen für Betroffene
Wer nach längerer Erkrankung zurückkehrt, sollte frühzeitig den Kontakt zu Arbeitgeber, Schwerbehindertenvertretung und betriebsärztlichem Dienst suchen.
Sinnvoll ist es, den ärztlichen Plan so zu formulieren, dass er die konkreten Arbeitsbedingungen abbildet: Welche Tätigkeiten sind in Stufe 1 realistisch? Welche in Stufe 2? Welche Hilfsmittel oder Anpassungen sind erforderlich? Gibt es Tätigkeiten, die vorübergehend ausgeschlossen werden müssen, und warum?
Wenn mehrere ärztliche Stellen beteiligt sind, kann eine koordinierte Darstellung helfen, Widersprüche zu vermeiden.
Kommt es dennoch zur Ablehnung, ist zu prüfen, ob diese auf nachvollziehbaren medizinischen Gründen beruht oder ob eine unzumutbare Verzögerung vorliegt. In vielen Fällen lässt sich mit einer präzisierten oder modifizierten Planung eine tragfähige Lösung finden, die sowohl die Gesundheit schützt als auch den Wiedereinstieg beschleunigt.