Ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg sorgt für Klarheit bei der Einstufung von Schwerbehinderungen: Obwohl der Kläger eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands nachweisen konnte und eine Erhöhung seines Gesamt-Grad der Behinderung (GdB) erreichte, blieb ihm das Merkzeichen „G“ – das erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit voraussetzt – verwehrt.
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GdB-Erhöhung erfolgreich durchgesetzt
Der Kläger, der bereits seit 2010 mit einem GdB von 40 eingestuft war, beantragte sowohl eine Erhöhung auf mindestens 50 als auch die Zuerkennung des Merkzeichens „G“.
Die Grundlage seines Antrags bildeten mehrere gesundheitliche Beschwerden: eine Einschränkung der Lungenfunktion, Probleme mit der Wirbelsäule und eine Teillähmung des Nervus peroneus am rechten Bein. Alle drei Erkrankungen waren jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet worden.
Ein medizinisches Folgegutachten bestätigte eine zunehmende Verschlechterung – insbesondere im Bereich der Wirbelsäule. Das Landessozialgericht (LSG) sah die funktionellen Einschränkungen als ausreichend an, um den Einzel-GdB für die Wirbelsäulenproblematik auf 30 zu erhöhen.
In der Gesamtbewertung wurde daraufhin der GdB von 50 anerkannt. Damit gilt der Kläger offiziell als schwerbehindert – ein Status, der unter anderem zu einem vorgezogenen Renteneintritt, erhöhtem Kündigungsschutz und steuerlichen Vorteilen führen kann.
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Merkzeichen „G“ bleibt trotz Beeinträchtigung verwehrt
Anders fiel die Entscheidung beim Merkzeichen „G“ aus, das Menschen mit erheblich eingeschränkter Bewegungsfähigkeit vorbehalten ist. Das Gericht stellte zwar eine gewisse Einschränkung beim Gehen fest, jedoch keine so gravierende Beeinträchtigung, dass sie als „erheblich gehbehindert“ im rechtlichen Sinne eingestuft werden konnte.
Nach Einschätzung des gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen war der Kläger weiterhin in der Lage, sich selbstständig und ohne fremde Hilfe im öffentlichen Raum zu bewegen – wenn auch mit etwas verminderter Gehgeschwindigkeit.
Die Kriterien für das Merkzeichen „G“, das unter anderem zur Nutzung des ÖPNV zu ermäßigten Bedingungen oder zur Parkerleichterung berechtigt, wurden somit nicht erfüllt.
Warum das Urteil bedeutsam ist
Das Urteil (Az.: L 13 SB 189/14) ist in mehrfacher Hinsicht richtungsweisend. Es zeigt, dass eine GdB-Erhöhung möglich ist, auch wenn nur eine einzelne der Vorerkrankungen eine Verschlechterung aufweist – vorausgesetzt, sie wirkt sich in Kombination mit anderen Leiden erheblich auf die Teilhabe am Leben aus.
Gleichzeitig macht die Entscheidung deutlich, dass das Merkzeichen „G“ nicht automatisch mit dem Status „schwerbehindert“ einhergeht. Vielmehr verlangt der Gesetzgeber eine konkrete und erhebliche Einschränkung der Fortbewegungsfähigkeit.
Personen, die beispielsweise durch Schmerzen langsamer gehen oder häufiger Pausen einlegen müssen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht zwangsläufig.
Was Betroffene daraus lernen können
Wer eine Schwerbehinderung oder ein Merkzeichen beantragen möchte, sollte seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen klar und umfassend dokumentieren lassen. Allein die subjektive Einschätzung von Einschränkungen reicht nicht aus – entscheidend sind nachvollziehbare, objektivierende Befunde.
Empfehlungen für Antragsteller:
- Frühzeitig medizinischen Rat einholen, idealerweise von Fachärztinnen oder Fachärzten mit Erfahrung im sozialmedizinischen Kontext.
- Dokumentieren Sie Einschränkungen im Alltag möglichst genau – etwa mithilfe eines Tagebuchs oder ärztlicher Stellungnahmen.
- Holen Sie bei Ablehnung des Antrags juristischen Beistand ein, z. B. über Sozialverbände oder Fachanwälte für Sozialrecht.
Hintergrund: Was ist der GdB?
Der Grad der Behinderung (GdB) beschreibt in Zehnerschritten zwischen 20 und 100, wie stark eine gesundheitliche Beeinträchtigung das tägliche Leben einschränkt. Ab einem GdB von 50 spricht man von einer Schwerbehinderung – ein Status, der mit verschiedenen Nachteilsausgleichen verbunden ist. Die Bewertung erfolgt durch die Versorgungsämter auf Grundlage medizinischer Unterlagen.
Typische Nachteilsausgleiche bei GdB ≥ 50:
- Zusatzurlaub
- Steuervergünstigungen
- Schutz vor Kündigung
- Frühzeitiger Renteneintritt (z. B. Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 62)
Wann wird das Merkzeichen „G“ vergeben?
Das Merkzeichen „G“ wird laut Sozialgesetzbuch IX nur dann zuerkannt, wenn eine Person dauerhaft erheblich in der Fähigkeit eingeschränkt ist, Wege im öffentlichen Raum zurückzulegen. Maßgeblich ist hierbei nicht nur die Diagnose, sondern die konkrete funktionelle Auswirkung im Alltag.
Beispiele für anerkannte Einschränkungen:
- Nutzung eines Rollators oder Rollstuhls
- Unmöglichkeit, 100 m ohne Pause zu gehen
- Starke Gleichgewichtsstörungen oder Koordinationsprobleme
Gutachten entscheidet – nicht das Gefühl
Das Verfahren vor dem LSG Berlin-Brandenburg macht deutlich, dass Antragsteller zwar berechtigte Erwartungen haben können, diese jedoch mit objektiven Nachweisen untermauern müssen. Während eine Erhöhung des GdB unter bestimmten Bedingungen erreichbar ist, bleibt das Merkzeichen „G“ nur jenen vorbehalten, die in ihrer Mobilität nachweislich massiv eingeschränkt sind.