Schwerbehinderung: Anspruch auf Kindergeld trotz Erwerbstätigkeit – Urteil

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Ein Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges Kind mit Schwerbehinderung kann auch dann berechtigt sein, wenn der Mensch mit Schwerbehinderung einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Wenn der Erwerbslohn nicht zum gesamten Lebensbedarf reicht, dann sind vielmehr die konkreten Umstände im Einzelfall zu berücksichtigen. So urteilte der Bundesfinanzhof (III R 29/09)

Kinder mit Schwerbehinderung können Kindergeld beziehen, auch wenn sie das 18. Lebensjahr überschreiten. Um die genauen Kriterien für diesen Anspruch ging es in diesem Verfahren.

Gehörlosigkeit und Ausbildung als Köchin

Die Betroffene ist seit ihrer Geburt gehörlos, sie besuchte eine Gehörlosenschule und lernte den Beruf der Beiköchin. Nach der Ausbildung war sie eine Zeit arbeitslos, dann als Köchin tätig, danach wieder arbeitslos und arbeitete schließlich als Küchenhilfe.

Sie hat einen anerkannten Grad der Behinderung von 100 mit dem Merkzeichen GL für Gehörlosigkeit. Vor dem Abschluss der Gehörlosenschule und der Ausbildung hatte sie auch noch das Merkzeichen H für Hilflosigkeit.

Die Familienkasse lehnt den Antrag auf Kindergeld ab

Die Mutter der Betroffenen beantragte für die volljährige Tochter Kindergeld. Die zuständige Familienkasse holte dazu eine Stellungnahme der Rehabilitationsstelle der zuständigen Behörde ein.

Diese kam zu dem Schluss, dass die Tochter in der Lage sei, eine versicherungspflichtige Tätigkeit von mindestens 15 Stunden pro Woche auszuüben., und dies unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Deshalb lehnte die Familienkasse den Antrag auf Kindergeld ab. Ein Einspruch der Mutter blieb ohne Erfolg.

Die Klage vor dem Finanzgericht bleibt erfolglos

Diese klagte daraufhin vor dem Finanzgericht. Das Gericht wies die Klage ab, mit der Begründung, die Betroffene sei in der Lage, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, da sie einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Zwar deckten die Einkünfte und Bezüge nicht den gesamten Lebensbedarf, doch rechtfertige dies keine Leistungen der Kindergeldes.

Denn nicht die Behinderung sei der Grund dafür, dass die Einkünfte nicht den Lebensbedarf deckten, sondern das geringe Lohnniveau als Beiköchin.

Möglicher Anspruch auf Kindergeld bei Behinderung

Die juristische Auseinandersetzung ging zur Revision beim Bundesfinanzhof. Dieser hob das angefochtene Urteil auf und wies es zur anderweitigen Entscheidung an das Finanzgericht zurück.

Der Bundesfinanzhof begründete die Revision mit dem Fehlen ausreichender Feststellungen, ob das Kindergeld zu Unrecht verneint sei. Er verwies darauf, dass ein Anspruch auf Kindergeld besteht für „ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist.“

Die Behinderung muss Mitursache des fehlenden Selbstunterhaltes sein

Dieser Anspruch bestünde dann, wenn die Behinderung Ursache für die fehlende Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt sei. Dem Kind müsse es objektiv unmöglich sein, den gesamten Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Eine erhebliche Mitursache der Behinderung für die mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt müsse das Finanzgericht entscheiden, indem es alle Umstände des Einzelfalles berücksichtige.

Ein Anspruch auf Kindergeld für ein behindertes Kind entstünde auch dann, wenn dessen Einkünfte nicht ausreichten, den gesamten Lebensbedarf zu decken. „Entsprechend muss auch bei einem behinderten Kind, das einer Erwerbstätigkeit nachgeht, gewürdigt werden, warum es sich gleichwohl nicht selbst unterhalten kann. Allein aus dem Umstand, dass ein behindertes Kind einer Erwerbstätigkeit nachgeht, kann nicht gefolgert werden, nun könne es sich auch selbst unterhalten.“

Wann ist eine Behinderung die Ursache für das fehlende Einkommen?

Wenn wegen der Behinderung eine Vollzeitbeschäftigung nicht möglich sei, dann sei die Behinderung ursächlich für den nicht gedeckten Lebensbedarf, und dies gelte ebenso, wenn zwar durch eine Vollzeitstelle der Grundbedarf, nicht aber der behinderungsbedingte Mehrbedarf finanziert werden könnte.

Auch, wenn die Behinderung dazu führe, dass die Berufswahl dermaßen eingeschränkt sei, dass nur Tätigkeiten in gering entlohnten Beschäftigungen möglich seien, sie die Behinderung Ursache dafür, den Lebensbedarf nicht decken zu können.

Wann ist die Behinderung nicht die Ursache für das niedrige Einkommen?

Wäre das niedrige Lohnniveau einer Vollzeitstelle jedoch die Ursache dafür, den gesamten Lebensbedarf nicht decken zu können, dann wäre dies auch ohne Behinderung der Fall, und die Behinderung also nicht die Ursache.

Ein neues Verfahren muss genau prüfen, ob die Behinderung die Ursache ist

Das Urteil des Finanzgerichts sei aufzuheben, weil dieses die genannten Grundsätze missachtet hätte. Das Gericht musste also in einem neuen Verfahren prüfen, ob nicht die Behinderung wesentlicher Grund für die Teilzeitbeschäftigung war, und ob die Einkünfte bei einer Vollzeitstelle ausgereicht hätten.

Auch für die Zeiten der Arbeitslosigkeit musste das Gericht prüfen, ob nicht die Behinderung für diese den Ausschlag gab und ob die Behinderung zudem dazu führte, lediglich eine Beschäftigung auszuüben mit reduzierten Wochenstunden und einer Position als Küchenhilfe statt als Köchin.