Zahlungen von Forderungen des Jobcenters sind als Anerkennung zu bewerten. Zudem beginnt mit jeder geleisteten Zahlung und Ratenvereinbarung eine Verjährungsfrist von Neuem. Das entschied das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (L 32 AS 405/22)
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Verjährte Erstattungsforderungen?
Es ging darum, ob Forderungen eines Jobcenters gegen einen Bezieher von Leistungen verjährt sind oder nicht. Das Jobcenter hatte 2011 mit einem Bescheid laufende Leistungen für Mai 2011 teilweise aufgehoben und eine Erstattung von Regelleistungen von 285,49 Euro gefordert.
Im Mai 2012 hob das Jobcenter weitere Leistungen für die Zeit von Oktober bis Ende November 2011 teilweise auf und forderte jetzt eine Erstattung von insgesamt 1034, 23 Euro für Regelleistungen sowie Kosten für Unterkunft und Heizung.
Im September 2013 hob die Behörde noch einmal bewilligte Leistungen auf, dieses Mal in vollem Umfang von März bis Juni 2013 und forderte jetzt eine Erstattung von insgesamt 2.814,00 Euro.
Alle drei Bescheide waren bestandskräftig.
Teilzahlungen auf Raten
Es folgten Vereinbarungen über Ratenzahlungen sowie Mahnungen wegen nicht gezahlter Monatsraten, die durch die Bundesagentur für Arbeit und ein beauftragtes Inkassounternehmen ausgesprochen wurden.
Bis 2018 hatte der Betroffene insgesamt 585,00 Euro erstattet.
Am 12. April 2018 und am 7. November 2019 wurde der Betroffene durch die Afa RE an die Zahlung der Forderung aus allen drei Bescheiden erinnert. Die Gesamtsumme betrug jetzt 3.838,42 Euro.
Alle Schreiben, die als “Ratenzahlungsvereinbarung” gekennzeichnet waren, enthielten den Satz „Diese Entscheidung ist keine Stundung im Sinne des …” Außerdem stand jeweils darin: “Die Forderung bleibt fällig und durchsetzbar“, mit Bezug zum Satz § 76 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, und ab 2013 § 59 Abs. 1 Nr. 1 BHO als juristischer Basis.
Der Schuldner klagt wegen Verjährung und Verwirkung
Im November 2019 klagte der Schuldner vor dem Sozialgericht Berlin, weil die Forderungen aus den drei Bescheiden des Jobcenters verjährt seien, so sein Argument. Zumindest sei Verwirkung eingetreten.
Er stützte sich dabei auf eine vierjährige Verjährungsfrist nach Paragraf 50 Absatz 4 des Sozialgesetzbuches X. Diese sei bei der letzten Frist Ende 2017 abgelaufen. Dabei bezog er sich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (B 11 AL 5/20 R -).
Das Jobcenter akzeptierte die Argumente nicht. Es legte eine Liste mit Zahlungen des Schuldners vor und bestand darauf, dass Restforderungen in Höhe von 2.669,00 Euro zu begleichen seien.
Forderungen sind nicht verjährt
Das Jobcenter vertrat zudem den Standpunkt, dass bereits die Klage selbst unzulässig sei – oder zumindest unbegründet. Denn eine Forderung bliebe auch nach Verjährung vollziehbar. Zudem seien die Forderungen aus den drei Bescheiden nicht verjährt.
Denn durch jede Zahlung, die der Kläger vor der jeweiligen vierjährigen Verjährungsfrist geleistet hätte, sei wieder die volle Verjährungsfrist in Kraft getreten. Das Jobcenter verweist diesbezüglich auf Urteile des Bundesgerichtshofes (IX ZR 168/11; V ZR 131/11; VIII ZR 347/06).
Anerkennung kann nicht nachgewiesen werden
Der Kläger entgegnete, aus der Aufstellung der Zahlungseingänge könnte nicht entnommen werden, welche Tilgungsbestimmungen es gegeben habe und ob es sich um Zahlungen wegen Aufrechnungen gehandelt hätte. Solche gehörten nämlich nicht zur Anerkennung einer Forderung.
Er hätte keine nachweisbaren Tilgungsbestimmungen getroffen. Wie das Jobcenter die Zahlungseingänge verbuche, spiele deshalb keine Rolle. Die Zahlungen müssten in der Reihenfolge der Forderungen hinsichtlich ihres Alters angerechnet werden.
Es seien also keine Zahlungen erfolgt, um die Forderung vom September 2013 zu erfüllen und diese sei somit verjährt (seit 2017).
Ratenzahlungen mit Jobcenter vereinbart
Das Jobcenter hielt dem entgegen, dass eine Verteilung auf alle Forderungen vorzunehmen gewesen sei. Dies sei durch die Ratenzahlungsvereinbarung einbezogen worden. Eine Tilgungsvereinbarung hätte nicht ausdrücklich erfolgen müssen.
Eine Aufrechnung als Verwaltungsakt sei nicht erfolgt, weil der Betroffene in die Zuständigkeit eines anderen Jobcenters umgezogen sei. Eine Stundung sei 2017 nach Telefonaten des Klägers mit dem Inkasso-Service durchgeführt worden.
Sozialgericht weist Klage zurück
Das Sozialgericht Berlin wies die Klage als unbegründet ab. Es folgte der Argumentation des Jobcenters. Die vierjährige Verjährungsfrist sei nicht abgelaufen. Denn die Zahlungen des Betroffenen hätten jeweils zu einem Neubeginn der Verjährung geführt.
Ein eindeutiges, schlüssiges Verhalten reiche als Anerkenntnis der Schuld vor. Fortlaufende Zahlungen und eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Inkassoservice seien ein solches Verhalten.
Zahlungswilligkeit bekundet und Zahlungen geleistet
Der Kläger hätte bereits 2013 in einem Schreiben seine Zahlungswilligkeit bekundet. Er habe außerdem Abschlagszahlungen ohne Tilgungsbedingungen geleistet. Damit seien Zahlungen anteilig auf sämtliche Forderungen anzurechnen und ebenso dazu, dass die Verjährung mit jeder Zahlung neu beginne.
Berufung vor dem Landessozialgericht
Der Kläger ging vor das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Berufung. Jetzt argumentierte er, dass nicht klar sei, auf welche Ratenzahlungsvereinbarungen sich das Sozialgericht Berlin bezogen hätte. Er forderte, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Forderungen für verjährt zu erklären.
Das Landessozialgericht wies die Berufung zurück. Keine der drei Forderungen sei verjährt. Ausdrücklich stimmte das Landessozialgericht dem Sozialgericht und Jobcenter zu.
Bescheide heben erbrachte Geldleistungen auf
Bei einem aufgehobenen Verwaltungsakt müssten bereits erbrachte Leistungen erstattet werden. Dies sei mit den Bescheiden erfolgt, denn diese hätten bereits erbrachte Geldleistungen rückwirkend aufgehoben.
Wörtlich heißt es: “Der Erstattungsanspruch (verjährt) in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach § 50 Abs. 3 SGB X unanfechtbar geworden ist (Satz 1). Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des BGB sinngemäß (Satz 2). § 52 SGB X bleibt unberührt (Satz 3).”
Die erste Verjährungsfrist von 2011 hätte 2015 geendet, die des Bescheids von 2012 im Jahr 2016 und die von 2013 im Jahr 2017. Die Verjährung würde jeweils erneut beginnen, wenn der Schuldner durch Abschlagszahlungen, Zinszahlungen, Sicherheitsleistungen oder anderweitig die Forderungen anerkenne.
Schuldner nicht schutzbedürftig
Der Schuldner sei nicht schutzbedürftig, wenn er selbst den Anspruch anerkenne. Schutzbedürftig sei vielmehr der Gläubiger, der darauf vertraue, dass die Schulden bezahlt würden.
Der Schuldner hätte von 2011 bis 2018 regelmäßig Zahlungen auf die durch die Bescheide festgesetzten Zahlungen geleistet. Sein Verhalten ließe nur den Schluss zu, dass er die Erstattungsforderungen tilgen wollte, im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten.
Die Klage hemmt die Verjährung
Letztlich hätte der Schuldner selbst durch seine Klage vor dem Sozialgericht dazu geführt, dass die Verjährungsfristen gehemmt wurden, denn während des Gerichtsverfahrens ruhte die Verjährung.
Nichtstun ist keine Verwirkung
Auch eine Verwirkung des Rechtsanspruchs läge nicht vor. Diese käme erstens bei einer kurzen Verjährungsfrist von vier Jahren nicht in Betracht, und ein bloßes Nichtstun reiche dafür nicht aus.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.