Die Pflegekasse darf eine Pflegestufe nicht pauschal nachträglich aberkennen, weil die dazu Berechtigte sich bei einem Hausbesuch einmal „flink bewegte“. So entschied das Landessozialgericht Hamburg (AL 1 P2/15)
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Besuch vom Medizinischen Dienst
Die Betroffene leidet an Multipler Sklerose. Die dadurch verursachten Beeinträchtigungen rechtfertigten das Merkmal G (Gehbehinderung); und das zuständige Versorgungsamt stellte dieses fest. Sie erhielt die Pflegestufe I.
Einige Jahre später besuchte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung sie im Rahmen einer Nachuntersuchung. Es ging darum, ob die Erkrankte einen Anspruch auf Pflegesachleistungen hatte. Nach dem Besuch hob die Pflegekasse die Bewilligung der Pflegestufe I auf.
Sozialgericht gibt Klägerin recht
Als Begründung würde angeführt, dass die Pflegebedürftige frei gehend die Tür geöffnet und sich „flink bewegt“ hätte. Die Frau legte Widerspruch ein, doch die Pflegekasse blieb bei ihrer Einschätzung. Die Betroffene klagte vor dem Sozialgericht Hamburg. Dieses stimmte ihr zu und bezog sich dabei auf ein Gutachten, das ihre Einschränkungen bestätigte.
Berufung wird zurückgewiesen
Die Pflegekasse akzeptierte das Urteil nicht und ging beim Landessozialgericht Hamburg in Berufung. Dieses wies den Antrag einstimmig zurück. Das LSG begründete die Pflegebedürftigkeit mit demselben Gutachten wie die Instanz zuvor, äußerte sich aber umfangreicher zu der Entscheidung. So spreche es nicht gegen eine Pflegebedürftigkeit, wenn es den Betroffenen an einzelnen Tagen besser geht. Um das Streichen der Pflegestufe zu rechtfertigen, hätte die Pflegekasse umfangreicher ermitteln müssen.
Die Pflegekasse achtet genau auf die Kosten
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung stattet Menschen, die Pflegeleistungen beanspruchen, Hausbesuche ab und prüft dabei die aktuelle Situation. Sie können dabei davon ausgehen, dass die Bewertung der Mediziner eher kritisch ist.
Es handelt sich hier nicht um ihren wohlwollenden Hausarzt, der sich vorsorglich lieber zu viel kümmert als zu wenig, sondern um Kosten, die Pflegekasse nur dann auf sich nimmt, wenn sie es muss, um sie im Zweifelsfall einzusparen.
Ohne dass Sie es vermuten, werden dann Handlungen und Aussagen von Ihnen, die Ihnen unverfänglich erscheinen, zum Anlass, Ihnen Pflegegelder zu streichen oder Ihre Pflegestufe abzuerkennen.
Verhalten bei Besuch des Medizinischen Dienstes
Unbedingt vermeiden müssen Sie ein Verhalten, das viele Menschen gegenüber Verwandten und Freunden an den Tag legen, die nach ihrem Wohlergehen fragen. Um Andere nicht zu belasten, aber auch, um uns subjektive Selbstständigkeit zu bewahren, beschwichtigen wir.
Erkrankte schämen sich manchmal sogar oder wollen höflich sein. Sie „reißen sich zusammen“ und bieten all ihre Kräfte auf, um zu funktionieren, wenn Besuch kommt.
Auf die Frage nach unserem Zustand antworten wir oft, dass es uns im Grunde gut geht, dass niemand sich Sorgen machen müsse oder wir schon mehr oder weniger zurechtkommen. Manchmal erwähnen wir auch, dass es schon schlimmere Zeiten gegeben hat. Gegenüber dem Medizinischen Dienst ist es jedoch riskant, die eigenen Einschränkungen in einem milderen Licht darzustellen.
Protokoll und professionelle Beratung
Sie sollten die Darstellung ihres Zustands auch nicht übertreiben, sondern vielmehr ein Pflegetagebuch führen und ihren jeweiligen Tageszustand protokollieren. Zudem sollten Sie, wenn ein Besuch des Medizinischen Dienstes ansteht, die Sozialverbände aufsuchen und sich beraten lassen darüber, welche Formulierungen sie wählen, welche Aussagen und welches Verhalten sie gegenüber den Prüfern vermeiden und welche sie bevorzugen sollten.
Vermeiden Sie Probleme im Vorfeld
Nach einer solchen Beratung wäre es zu der für den Medizinischen Dienst „verdächtigen flinken Bewegung“ gar nicht erst gekommen, und die Betroffene hätte sich vermutlich den mühseligen Weg durch die Gerichte erspart.
Bereiten Sie sich also gut auf den Hausbesuch vor und sorgen Sie dafür, dass ein Vertrauter als Zeuge dabei ist, wenn der Medizinische Dienst an Ihrer Wohnungstür steht.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.