Pflege: Bezuschussung von wohnumfeldverbessernden Maßnahmen auch in Mietwohnungen einer Seniorenwohnanlage

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Mit wegweisendem Urteil gibt das Sozialgericht Karlsruhe Az. S 14 P 2053/18 bekannt, dass § 40 Abs 4 S 1 SGB XI eine Bezuschussung von wohnumfeldverbessernden Maßnahmen in Mietwohnungen auch dann nicht ausschließt, wenn es sich um betreute Wohneinrichtungen, beziehungsweise Wohnungen in Alten- oder Behindertenwohnheimen, in denen der Betroffene ein Mindestmaß an Selbständigkeit genießt und die keine Pflegeheime im Sinne des SGB XI sind, soweit die Bereitstellung der Wohnung in diesen Wohneinrichtungen nicht zur sozialrechtlichen Leistungserbringung gehört.

Der Pflegeträger kann vom Gericht nicht mit seiner Auffassung gehört werden, dass Bewohner in betreuten Wohneinrichtungen grundsätzlich von den Leistungen ausgeschlossen sind

Denn als Maßnahmen des individuellen Wohnumfeldes bezuschusst werden können sowohl Maßnahmen an gemietetem Wohnraum oder am Eigentum des Pflegebedürftigen. Das individuelle Wohnumfeld ist betroffen, wenn es sich um eine Maßnahme in der Wohnung des Pflegebedürftigen oder zumindest in dem Haushalt, in den er aufgenommen ist und in dem er gepflegt werden soll, handelt.

Zum Begriff des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts

Der Begriff des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen ist daher nicht auf die vorhandene Wohnung (Mietwohnung, Eigentumswohnung oder Eigenheim) begrenzt, sondern umfasst – in Abgrenzung zum dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung – jedes Wohnen in einem privaten häuslichen Bereich (BSG, Urteil vom 26. April 2001 – B 3 P 24/00 R – ).

Der Umstand, dass die Klägerin eine Wohnung in der – Seniorenwohnanlage – bewohnt, ändert nach Auffassung der Kammer eine Zuschussgewährung nicht bereits auf tatbestandlicher Ebene; vielmehr betrifft die in Rede stehende Maßnahme das individuelle Wohnumfeld der Klägerin. Denn die Klägerin bewohnt – wie auch der Mietvertrag belegt – eine private Mietwohnung.

Dass es sich um eine Wohnung in einer Seniorenwohnanlage handelt, in der die AWO gewisse Betreuungsleistungen anbietet, ändert hieran zur Überzeugung der Kammer nichts. Die angebotenen Betreuungsleistungen der AWO machen die Wohnanlage nicht zu einem Pflegeheim. Nach den Maßstäben der zitierten Rechtsprechung des BSG muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme das individuelle Wohnumfeld der Klägerin betrifft.

Das Bewohnen der privaten Mietwohnung in der Seniorenwohnanlage gleicht nicht einem dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung

Insbesondere pflegerische Hilfen sind nach dem vorliegenden Betreuungsvertrag nicht zu erbringen. Bei der von der Klägerin in Anspruch genommenen Wohnform handelt es sich daher nicht um den dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung; vielmehr steht die selbstbestimmte und aktive Lebensgestaltung in der selbst genutzten Mietwohnung im Vordergrund.

Fazit

Dem Wortlaut des § 40 Abs. 4 SGB XI ist kein Ausschluss für entsprechenden Wohnraum zu entnehmen. Das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vermag die gesetzliche Regelung nicht wirksam einzuschränken. Auch sind die Gerichte bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen nicht an ein solches Rundschreiben gebunden.

Die bewohnte Wohnung der Klägerin stellt als Mietwohnung ein individuelles Wohnumfeld im Sinne des § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI dar.

Anmerkung vom Verfasser

Der pauschale Ausschluss entsprechender Wohnformen widerspricht dem gesetzgeberischen Willen, neue ambulante Wohnformen zu fördern (z.B. § 45e SGB XI, der in Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich die Anwendbarkeit von § 40 Absatz 4 auf ambulant betreute Wohngruppen voraussetzt; § 38a SGB XI; zum gesetzgeberischen Ziel der Förderung alternativer Wohnformen insgesamt: BT-Drucksache 18/10707).