Kein Grundrecht auf Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen

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Bundesverfassungsgericht: Koalitionsfreiheit garantiert nicht Erfolg

Auch wenn Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Tarifverträge teils mit dem Ziel der Allgemeinverbindlichkeit schließen – ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf entsprechende Anerkennung besteht in der Regel nicht. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit einem am Mittwoch, 5. Februar 2020, veröffentlichten Beschluss klargestellt (Az.: 1 BvR 4/17). Es wies damit eine Beschwerde der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft ab. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit garantiere nur Chancen, nicht aber auch den Erfolg.

Hintergrund sind die Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes (SOKA-BAU). Sie regeln einen Urlaubsausgleich und eine Zusatzversorgung für das Alter. Die Beiträge zahlen allein die Arbeitgeber. Die hier mit der IG-BAU klagende Urlaubskasse wurde eingeführt, weil die oft nur kurzfristig beschäftigten Bauarbeiter häufig ihren Arbeitgeber wechseln. Durch die Umlagebeiträge wird sichergestellt, dass einerseits die Arbeiter trotzdem ihren Urlaub nehmen können, andererseits aber nicht ein einzelner Arbeitgeber eher zufällig mit der Lohnfortzahlung für diese Zeit belastet wird.

Abgeschlossen wird der Sozialkassentarif von der Gewerkschaft IG BAU mit dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), der rund 2000 industrielle Großunternehmen vertritt, und dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes für rund 35.000 kleinere und handwerkliche Firmen.

Üblich hat das Bundesarbeitsministerium diese Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt, wodurch nicht nur die tarifgebundenen, sondern alle Baufirmen Beiträge in die Sozialkassen einzahlen. Dadurch sollen alle Arbeitnehmer der Bauwirtschaft von dem Sozialkassentarif profitieren. Auf Unternehmensseite werden so einheitliche Wettbewerbsbedingungen geschaffen.

Für die Jahre 2008 bis 2014 hatte allerdings das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Allgemeinverbindlich-Erklärungen überwiegend für unwirksam erklärt. Die Erfurter Richter rügten, dass nicht der Minister oder die Ministerin oder zumindest eine Staatssekretärin oder ein Staatssekretär damit befasst war. Zudem sei die bis 2014 geltende Voraussetzung nicht erfüllt gewesen, dass die tarifschließenden Parteien zumindest die Hälfte der Bauarbeitnehmer erfassen (unter anderem Urteile vom 21. September 2016, Az.: 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15; JurAgentur-Meldung vom Entscheidungstag).

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte nun zunächst, dass diese Voraussetzungen nicht zu einer unzulässigen Einschränkung der Koalitions- und Tariffreiheit führen. Das gelte für die frühere 50-Prozent-Quote ebenso wie für die Forderung, „dass im zuständigen Ministerium konkret personell Verantwortung übernommen werden muss”.

Grundsätzlich entschied das Bundesverfassungsgericht mit seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 10. Januar 2020 zudem, dass sich aus dem Grundgesetz kein Anspruch auf eine – hier auf eine wirksame – Allgemeinverbindlicherklärung ableiten lässt.

Zur Begründung erklärten die Karlsruher Richter, die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit garantiere Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften „weder Stärke noch Erfolg, sondern gewährleistet die tatsächlich realisierbare Chance, durch ihre Tätigkeit die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern”. Es sei „weder vorgetragen noch ersichtlich”, dass hier eine solche Chance nicht bestand.

Die Karlsruher Leitentscheidung betrifft die Jahre 2008 und 2010. Entsprechend wies das Bundesverfassungsgericht in Parallelverfahren auch Beschwerden bezüglich der Jahre 2012, 2013 und 2014 ab (Az.: 1 BvR 593/17, 1 BvR 1104/17 und 1 BvR 1459/17).

Mit dem „Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe” hatte der Gesetzgeber die vom BAG gerügten Formmängel rückwirkend geheilt. Zudem hat das Bundesarbeitsministerium die 2016 und 2019 in Kraft getretenen Sozialkassen-Tarife für allgemeinverbindlich erklärt. Mit Urteilen vom 20. November 2018 hat das BAG das Gesetz und auch die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifs ab 2016 für wirksam erklärt (Az.: 10 AZR 121/18 und 10 ABR 12/18; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Gegen die gesetzliche Rückwirkung ist allerdings ebenfalls bereits eine Verfassungsbeschwerde anhängig (Az. Bundesverfassungsgericht: 1 BvR 1474/19). mwo

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