Der Bezug von Elterngeld stellt bei Bürgergeld-Beziehern kein sozialwidriges Verhalten dar. Jobcenter dürfen den Eltern nicht vorschreiben, wer die Elternzeit/Elterngeld beantragt. Doch genau das tat das Jobcenter und verlangte ca. 21.000 Euro Bürgergeld-Leistungen zurück. Doch das LSG Hessen stoppte dies und kassierte die rechtswidrige Entscheidung der Behörde.
Das Landessozialgericht Hessen setzt die Hürde sehr hoch
Ein missbilliges Verhalten im Sinne des § 34 SGB 2 würde nach Ansicht des Gerichts erfordern, dass sich die Person, welche Elternzeit bezieht, nicht um das Kind kümmert. Das Jobcenter fordert von einer Bürgergeld – Bedarfsgemeinschaft Ersatzanspruch nach § 34 SGB II wegen sozialwidrigem Verhalten in Höhe von ca. 21.000 Euro.
Rechtswidrig sagt das LSG Hessen mit aktuellem Urteil von heute, denn der Antrag auf Elternzeit/Elterngeld des Vaters sei für den Eintritt der Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft durch Entfall des Einkommens seiner Vollzeiterwerbstätigkeit ursächlich gewesen.
Vater der Bedarfsgemeinschaft kann wichtigen Grund für sein Verhalten benennen
Für dieses etwaig sozialwidrige Verhalten des Klägers habe aber jedenfalls ein wichtiger Grund vorgelegen und treffe den Kläger insbesondere auch kein Verschulden. Das konkret vorgeworfene Verhalten müsse nach den Wertungen des SGB II sozialwidrig sein, was nach den Umstanden des Einzelfalls zu beurteilen sei.
Der Bezug von Elternzeit/ Elterngeld sei aber nicht sozialwidrig im Sinne des § 34 SGB II.
Kurzbegründung des Gerichts
Bei Bürgergeld Leistungsempfänger ist der Bezug von Elternzeit nicht sozialwidrig i. S. d. § 34 SGB II.
Das Jobcenter darf von einer Bürgergeld – Familie keine Leistungen in Höhe von 21.000 Euro zurück fordern wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit/Elterngeld.
Die Inanspruchnahme von Elternzeit als solche ist nicht sozialwidrig, auch wenn sie Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II nach dem Bürgergeld auslöst.
Was Anderes gilt aber, wenn ein großer Teil der Kinderbetreuungszeit zu fremden Zwecken genutzt werden würde.
Was anderes kann aber gelten, wenn die gezielte, nach außen erkennbare Verwendung der Elternzeit, zu dieser Elternzeit fremden Zwecken (z.B. LKW-Fahrerausbildung in einem zeitlichen Umfang, der einen zeitlich überwiegenden Anteil an Kinderbetreuungszeit zwingend ausschließt) , wenn sie zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt, sozialwidrig sein.
Fazit
Die Inanspruchnahme von Elternzeit als solche – ist gerade nicht sozialwidrig.
Die gezielte, nach außen erkennbare Verwendung der Elternzeit zu dieser Elternzeit fremden Zwecken (z.B. LKW-Fahrerausbildung in einem zeitlichen Umfang, der einen zeitlich überwiegenden Anteil an Kinderbetreuungszeit zwingend ausschließt) dürfte zwar, wenn sie zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt, sozialwidrig sein.
Eine Erstattungspflicht kommt dann in Frage, wenn der Bezieher des Elterngeldes seine Erwerbstätigkeit missbräuchlich habe ruhen lassen – er sich also nicht vorrangig um seinen Säugling gekümmert habe.
Zu einem solchen Verhalten ist es aber nicht gekommen. Damit fehlt es an einem Bezugspunkt für eine Verschuldensprüfung.
Das bloße Motiv zur Inanspruchnahme von Elternzeit ohne korrespondierendes, nach außen tretendes sozialwidriges Verhalten erlaubt keinen Verschuldensvorwurf ( BSG Rechtsprechung zu § 34 SGB II ).
Wie sich die Eltern die Betreuungszeit mit dem Kind tatsächlich aufteilen, liegt beim Bezug von Elterngeld außerhalb des Bereichs, der von Staats wegen zu kontrollieren ist.
Auch wenn das BEEG keine Kontrolle der Betreuungsleistung gegenüber dem Kind und damit der zweckentsprechenden Verwendung der durch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses gewonnenen Zeit vorsieht, könnte es allerdings im Rahmen des § 34 SGB II eine Rolle spielen, ob die gewonnene Zeit nachweislich und gezielt und nach außen erkennbar zu Elterngeld fremden Zwecken, also nicht zur Betreuung des Kindes, verwendet wird.
In letzterem Fall dürfte ein wichtiger Grund im Sinne des § 34 SGB II zu verneinen sein, weil die Elternzeit von außen (also ohne Einblick in die familieninterne Rollenverteilung) erkennbar zweckwidrig verwendet wird.
Anmerkung von Detlef Brock – Sozialrechtsexperte von Tacheles e. V.
Diese Entscheidung sollte man sehr genau beachten, denn sie hat Sprengkraft.
Wann würde ein Ersatzanspruch des Jobcenters aber greifen?
Schließlich geht es vorliegend beim Urteil des LSG Hessen um Elternzeit für das erste Lebensjahr des jüngsten Kindes des Klägers (Vater), für dessen Betreuung Elternzeit beantragt wurde.
Der Fall liegt damit grundlegend anders als in dem vom SG Augsburg (Urteil vom 12. August 2015 – S 14 AS 992/14 – entschiedene Fall, in dem ein ruhendes Beschäftigungsverhältnis auch nach dem Ende des dritten Lebensjahres eines Kindes nicht wieder aufgenommen wurde, obwohl kein Kind bezogener Grund bestanden habe, der eine ganztägige Betreuung des Kindes durch die Eltern erforderlich gemacht hätte.
Damit war der Ersatzanspruch des Jobcenters nach § 34 SGB II gegeben!
Denn die Nichtaufnahme eines ruhenden Beschäftigungsverhältnisses trotz Möglichkeit ist geeignet, einen Ersatzanspruch gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II auszulösen.
Von der Regelung sind auch Fallgestaltungen erfasst, in denen eine bereits zuvor bestehende Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten wurde.
Eine intensive Mutter Kind Beziehung ist weder außergewöhnlich noch pathologisch. Sie steht auch einer temporären Fremdbetreuung des Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, nicht entgegen und stellt damit für sich genommen keinen wichtigen Grund im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II dar und berechtigt somit das Jobcenter zur Rückzahlung bzw. Aufhebung von Bürgergeld – Leistungen.
Praxistipp
1. Nach der Wissensdatenbank der Bundesagentur für Arbeit zu § 10 SGB II (WDB-Beitrags-Nr. 100006) – wonach die Tatbestände nach § 31 SGB II, so auch § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 10 SGB II (Weigerung, zumutbare Arbeit aufzunehmen), Anhaltspunkte für ein sozialwidriges Verhalten bieten könnten – seien die Eltern frei darin zu bestimmen, wer die Elternzeit nehme.
2. Weiterhin liege nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 34 SGB II ein wichtiger Grund regelmäßig vor, wenn das Verhalten durch andere gesetzliche Vorschriften gebilligt oder gefordert werde. Ausdrücklich benannt werde die Inanspruchnahme der Elternzeit nach § 15 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).