Hartz IV Urteil: Erbschaften werden angerechnet

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In diesem Urteil ging es darum, ob eine Erbschaft als Vermรถgen oder Einkommen beim Arbeitslosengeld II zu berรผcksichtigen ist.
Auszug aus dem Urteil
Die Antragstellerin stand im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch โ€“ Zweites Buch โ€“ (SGB II). Der Antragstellerin wurden von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13.07.2006 fรผr den Zeitraum 01.08.2006 bis 31.01.2007 Leistungen in Hรถhe von monatlich 334,88 EUR bewilligt. Dies waren die Leistungen aus der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung. Es wurde dabei ein Einkommen der Antragstellerin berรผcksichtigt.

Im September 2006 erhielt die Antragstellerin eine Erbschaft in Hรถhe von 5.469,33 EUR.

Mit Bescheid vom 20.09.2006 hob daraufhin die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung ab dem 01.09.2006 auf. Gleichzeitig wurde fรผr den Monat September der zuvor bewilligte Betrag in Hรถhe von 334,88 EUR zurรผckgefordert. Zur Begrรผndung fรผhrte die Antragsgegnerin aus, dass die Antragstellerin mit der erzielten Erbschaft ihren Bedarf fรผr 16 Monate selber decken kรถnne. Die Erbschaft sei ab September zu berรผcksichtigen. Die fรผr den Monat September erbrachte Leistung sei deswegen gemรครŸ ยง 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch โ€“ Zehntes Buch โ€“ (SGB X) zurรผckzufordern.

Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch am 26.09.2006. Das Erbe sei als Vermรถgen anzusehen, damit stehe ihr gemรครŸ ยง 12 SGB II pro Lebensjahr ein Freibetrag von 200,00 EUR und ein weiterer Freibetrag fรผr die einmalige Anschaffung diversen Bedarfs in Hรถhe von 750,00 EUR zu. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin widersprรคche dem Gesetz. Mit einem weiteren Schreiben vom 22.01.2007 forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zu einer Entscheidung auf.

Die Antragsgegnerin entschied daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2007, dass der Widerspruch zurรผck gewiesen wurde. Die Erbschaft sei als Einkommen gemรครŸ ยง 11 SGB II zu werten, da als Einkommen all das zu werten sei, was jemand wรคhrend der Bedarfszeit wertmรครŸig dazu erhalte.

Hiergegen erhob die Antragstellerin am 14.02.2007 Klage. Gleichzeitig ersuchte sie das Gericht um die Gewรคhrung einstweiligen Rechtsschutzes. Sie ist der Ansicht, die Erbschaft sei als Vermรถgen zu werten, mit der Folge, dass ihr Freibetrรคge zustรผnden.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemรครŸ, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 14.02.2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2007 anzuordnen.

II. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulรคssig, aber unbegrรผndet.

GemรครŸ ยง 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fรคllen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. GemรครŸ Satz 2 kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen worden ist.

Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Ist die in der Hauptsache zulรคssige Klage hingegen aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht abschlieรŸend zu beurteilen, erfolgt eine allgemeine Interessenabwรคgung (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, ยง 86b Rz. 12c ff.).

Unter diesen Voraussetzungen ist die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14.02.2007 nicht anzuordnen, denn die in der Hauptsache zulรคssige Anfechtungsklage hat keine Aussicht auf Erfolg.

Zunรคchst entfaltet die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung. GemรครŸ ยง 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. GemรครŸ ยง 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfรคllt diese aufschiebende Wirkung, in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fรคllen. GemรครŸ ยง 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der รผber Leistungen der Grundsicherung fรผr Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Eine Klage gegen die Entscheidung รผber den Wegfall bereits bewilligten Arbeitslosengeldes II entfaltet also keine aufschiebende Wirkung (siehe hierzu Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, ยง 39 Rz. 12).

Die aufschiebende Wirkung ist nicht anzuordnen, da eine Anfechtungsklage keine Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist nicht begrรผndet.

Die Erbschaft der Antragstellerin ist als Einkommen gemรครŸ ยง 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu werten (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.11.2006 โ€“ L 6 AS 660/06 ER โ€“; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.11.2006 โ€“ L 8 AS 325/06 ER โ€“; Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.09.2006 โ€“ L 7 B 468/06 AS PKH โ€“; LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 23.03.2006 โ€“ L 20 B 72/06 AS โ€“; andere Ansicht: Brรผhl in LPK, SGB II, 2. Auflage, ยง 11 Rz. 9 ohne Begrรผndung).

GemรครŸ ยง 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort sowie in ยง 11 Abs. 2 und 3 und in ยง 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung genannten Leistungen und Zuwendungen zu berรผcksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 โ€“ 5 C 16/98 โ€“) zur Abgrenzung von Einkommen und Vermรถgen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe, ist Einkommen das, was dem Leistungsberechtigten im Zahlungszeitraum des Leistungsempfangs zuflieรŸt ("Zuflusstheorie"). Diese Definition ist fรผr die Unterscheidung von Einkommen und Vermรถgen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II grundsรคtzlich รผbertragbar, mit der Folge, dass Einkommen alles ist, was der Hilfebedรผrftige wรคhrend eines Zahlungszeitraums wertmรครŸig dazu erhรคlt, Vermรถgen das ist, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraums bereits hat (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, ยง 11 Rz. 19, LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 23.03.2006 โ€“ L 20 B 72/06 AS โ€“). Auch Erbschaften sind deshalb als einmalige Einnahmen als Einkommen im Sinne des ยง 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II einzustufen (andere Ansicht beim Bezug von Arbeitslosenhilfe BSG, Urteil vom 17.03.2005 โ€“ B 7a/7 AL 10/04 R).

Dieses Ergebnis der sozialhilferechtlichen Definition von Einkommen wird auch durch weitere รœberlegungen gestรผtzt.

Gestรผtzt wird dieses Ergebnis durch den Wortsinn. Vermรถgen ist nach einer Definition im Mรผnchener Rechtslexikon Band III, 1. Auflage 1987, die Gesamtheit, der einer Person zustehenden Gรผter und Rechte von wirtschaftlichem Wert. Nicht zum Vermรถgen gehรถren dahingehend Erwerbsaussichten. Fรผr den Erben handelt es sich bei einer Erbschaft bis zum Tag des Erbfalls um eine Erwerbsaussicht, da รผber die Vermรถgensgegenstรคnde durch den Erblasser jederzeit verfรผgt werden kann. Es ist deshalb nahe liegend, eine Erbschaft aus Sicht des Erben nicht als Vermรถgen, sondern als Einkommen zu betrachten, auch wenn die Kammer nicht verkennt, dass gerade bei Eintritt des Erbfalls diese Erwerbsaussicht sich in ein der Person zustehendes Recht und Gut verwandelt.

Auch gestรผtzt wird dieser Ergebnis durch den Grundsatz, das staatliche Leistungen grundsรคtzlich nachrangig gegenรผber anderen Mรถglichkeiten der Unterhaltssicherung sind, ยง 2 Abs. 2 SGB II. Dem Erben wird durch eine Erbschaft die Mรถglichkeit gegeben, seinen Lebensunterhalt aus der Erbschaft zu bestreiten. Die ererbten Betrรคge sind deshalb vorrangig vor staatlichen Leistungen einzusetzen. verรถffentlicht am 12.04.07- Urteil: SG Lueneburg S 24 AS 212/07 ER)