Die Pflege der Mutter ist nicht sozialwidrig. LSG Celle: Jobcenter durfte Hartz IV nicht zurรผckfordern
Angehรถrige zu pflegen ist grundsรคtzlich kein โsozialwidriges Verhalten”. Geben Arbeitnehmer wegen einer notwendigen Pflege ihre Arbeitsstelle auf, darf das Jobcenter gezahlte Hartz-IV-Leistungen von ihnen nicht zurรผckfordern, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem kรผrzlich verรถffentlichten Urteil vom 12. Dezember 2018 (Az.: L 13 AS 162/17).
Damit bekam eine aus dem Libanon stammende Frau recht. Sie hatte bis zum 19. August 2014 eine Vollzeitstelle als Hallenaufsicht. Mit dem Arbeitgeber war eine variable Arbeitszeit vereinbart. Danach musste sie mindestens vier Stunden tรคglich und auch in Nachtschichten arbeiten. Ihre Arbeitseinsรคtze wurden kurzfristig festgelegt.
Neben ihrer Berufstรคtigkeit pflegte die Frau auch ihre ausschlieรlich arabischsprachige Mutter. Diese hatte die frรผhere Pflegestufe II erhalten. Hierfรผr war eine dreimal tรคgliche Grundpflege von insgesamt 120 Minuten erforderlich. Die Mutter lehnte es aus kulturellen und sprachlichen Grรผnden ab, dass fremde Personen sie pflegen.
Als sich der Gesundheitszustand der Mutter weiter verschlechterte, konnte die Tochter die Pflege und ihren Beruf nicht mehr in Einklang bringen. Sie schloss mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, um ihre Mutter weiter pflegen zu kรถnnen. Damit war sie auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen.
Das Jobcenter zahlte ihr zwischen dem 1. Dezember 2013 bis 30. November 2015 insgesamt 17.110 Euro an Hartz-IV-Leistungen. Das Geld forderte die Behรถrde jedoch von der Tochter zurรผck. Sie habe ihr Arbeitsverhรคltnis per Aufhebungsvertrag auf eigenen Wunsch gelรถst und damit ihre Hilfebedรผrftigkeit selbst herbeigefรผhrt. Dies sei ein โsozialwidriges Verhalten”, da sie gewusst habe, dass sie mit der Jobaufgabe auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sein wird.
Die gesetzlichen Bestimmungen sehen bei einem โsozialwidrigen Verhalten” vor, dass Hartz-IV-Bezieher erhaltene Leistungen zurรผckerstatten mรผssen. Kรถnnen sie dies wegen Mittellosigkeit nicht, darf das Jobcenter kรผnftige Hilfeleistungen um 30 Prozent kรผrzen. Erst nach Ablauf von drei Kalenderjahren erlischt der Rรผckerstattungsanspruch des Jobcenters.
Hier hatte die Tochter vorgebracht, dass die notwendige Pflege eines Angehรถrigen nicht sozialwidrig sein kรถnne. Ein Festhalten an ihrem Arbeitsverhรคltnis sei wegen der erforderlichen Pflege unzumutbar gewesen.
Das Jobcenter hatte die Frau darauf verwiesen, dass auch ein Pflegedienst die Pflege der Mutter hรคtte gewรคhrleisten kรถnnen.
Das LSG gab der Hartz-IV-Bezieherin nun recht. Die Behรถrde habe keinen Erstattungsanspruch. Die Arbeitsaufgabe wegen der notwendigen Pflege der Mutter sei kein โsozialwidriges Verhalten”. Ob eine Pflege tatsรคchlich notwendig sei und deshalb ein Job aufgegeben werden dรผrfe, hรคnge aber vom Einzelfall ab.
Die Bundesagentur fรผr Arbeit (BA) ging davon aus, dass nach der frรผheren Pflegestufe II und einem damit einhergehenden Mindestpflegebedarf von 120 Minuten tรคglich eine Arbeit von bis zu sechs Stunden tรคglich zumutbar ist. Dies sei jedoch โproblematisch”, rรผgte das LSG, da bei dieser Pflegestufe mindestens dreimal tรคglich ein Pflegebedarf anfalle.
Die Pflege von Angehรถrigen gehรถre nach dem Gesetz auch zu den familiรคren Pflichten, die eine Arbeitsaufnahme unzumutbar machen kรถnnen. Dies sei Teil des โWertesystems” des Sozialgesetzbuchs II. Ob eine externe Pflegekraft die Pflege angesichts der Sprachschwierigkeiten hรคtte รผbernehmen kรถnnen, sei ebenfalls zweifelhaft. Zudem mรผsse auch das Selbstbestimmungsrecht der Mutter berรผcksichtigt werden, wenn diese eine Pflege durch fremde Personen ablehne, so das LSG. Die Arbeitsstelle sie letztlich unzumutbar gewesen, da die Tochter die Pflege der Mutter ohne Jobaufgabe nicht mehr bewรคltigen konnte. fle/mwo