Hartz IV: Größere Wohnung für getrennt lebenden Vater
10.05.2011
Nimmt ein Hartz IV beziehender Vater das Umgangsrecht mit seinem Kind regelmäßig wahr, kann dies den Umzug in eine größere Wohnung rechtfertigen. Dies entschied das Sozialgericht Dortmund im Falle eines Beziehers von Arbeitslosengeld II, dessen elfjährige Tochter jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Schulferien mit ihm in seiner 40qm großen Wohnung verbringt.
Das Jobcenter Dortmund lehnte eine Zusicherung für die Übernahme der Kosten einer 64 qm großen Wohnung ab, weil der Umzug in eine neue Unterkunft nicht notwendig sei. Auf Antrag des arbeitslosen Vaters verpflichtete das Sozialgericht Dortmund das Jobcenter Dortmund im Wege einer einstweiligen Anordnung, die begehrte Zusicherung zu erteilen.
Zur Begründung führte das Gericht an, der Umzug in die größere Wohnung sei erforderlich und die Aufwendungen für die neue Unterkunft mit einer Kaltmiete von 259,89 Euro seien angemessen. Es handele sich bei dem Antragsteller und seiner Tochter um eine temporäre Bedarfsgemeinschaft, für die eine Wohnung von 40qm zu klein sei. Dies gelte umso mehr, als es sich um einen Vater und eine elfjährige Tochter handele, die ein zumindest kleines eigenes Zimmer benötige. Die Kaltmiete der neuen Wohnung liege nur geringfügig über dem in Dortmund für eine Person angemessenen Mietzins (246,28 Euro). Der Mehrbetrag von 13,61 Euro entspreche rechnerisch einer zusätzlichen Fläche von 2,6 qm und sei angemessen, um eine dem Kindeswohl Rechnung tragende Ausgestaltung des Umgangsrechts zu gewährleisten.
Aus dem Urteil:
Gemäß § 22 Abs. 2 SGB II soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Dieser ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind (§ 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Nach Überzeugung der Kammer besteht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Zusicherung zu erteilen.
Der Umzug in eine größere Wohnung ist erforderlich. Ob ein Umzug erforderlich ist, bestimmt sich danach, ob für ihn ein plausibler und nachvollziehbarer Grund vorliegt, von dem sich auch ein verständiger Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde. Dies ist anzunehmen, wenn die bisherige Unterkunft dem Unterkunftsbedarf der Bedarfsgemeinschaft nicht mehr entspricht. Der Antragsteller wohnt derzeit in einer Wohnung mit einer Fläche von 40 qm. In der Wohnung des Antragstellers hält sich zudem zur Wahrnehmung des Umgangsrechtes zeitweilig die Tochter des Antragstellers auf, und zwar an jedem zweiten Wochenende von freitags bis sonntags sowie während der Hälfte der Schulferien. Bei dem Antragsteller und seiner Tochter ist daher vom Bestehen einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II auszugehen (vgl. grundlegend Urteil des Bundessozialgerichts vom 07 Nov 2006, Az. B 7b AS 14/06 R).
Dem steht nicht entgegen, dass sich die Tochter nur zeitweise in der Wohnung des Antragstellers aufhält. Es genügt ein dauerhafter Zustand in der Form, dass Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil wohnen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen (Urteil des Bundessozialgericht vom 2 7 2009, B 14 AS 75/08 R). Dabei besteht eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft für jeden Kalendertag, an dem sich das Kind überwiegend, also in der Regel länger als zwölf Stunden, bei dem umgangsberechtigten Elternteil aufhält (BSG vom 07 Nov 2006, Az. B 7b AS 14/06 R).
Dem Wohnbedarf einer temporären Bedarfsgemeinschaft von zwei Personen entspricht eine Wohnung mit einer Fläche von 40 qm nicht. Diese Fläche liegt schon deutlich unter dem Flächenbedarf, der einer Einzelperson im Rahmen des SGB II regelmäßig zugebilligt wird. Für den Umzug in einer größere Wohnung besteht daher ein plausibler Grund, weil eine Wohnung von 40 qm für zwei Personen – auch wenn diese nur zeitweilig zusammenwohnen – offenkundig als zu klein betrachtet werden kann. Dies gilt vorliegend umso mehr, als es sich bei den beiden Personen um Vater und elfjährige Tochter handelt, die das gegenseitige Umgangsrecht wahrnehmen. Dies muss in einem auch räumlichen und wohnlichen Umfeld möglich sein, das insbesondere auch den Bedürfnissen und dem Wohl des Kindes entspricht. Dazu gehört ein – zumindest kleines – eigenes Zimmer für das Kind.
Nach Überzeugung der Kammer sind die Aufwendungen für die neue Unterkunft auch angemessen. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ergibt sich als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter (sog. Produkttheorie). Maßgebliche Kriterien für die Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft sind die Wohnraumgröße, der Wohnort und der Wohnungsstandard. Dabei ist für die Bestimmung der abstrakten Angemessenheit der Wohnraumgröße mangels einer bundeseinheitlichen Regelung auf die landesrechtlichen Bestimmungen über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus abzustellen. Der Bestimmung des angemessenen Quadratmeterpreises ist ein schlüssiges Konzept bezogen auf den örtlichen Wohnungsmarkt einerseits und den Zweck der Leistungen des SGB II, nur den notwendigen Bedarf sicherzustellen, andererseits zugrundezulegen. Ob und in welchem Umfang eine temporäre Bedarfsgemeinschaft auch im Bereich der angemessenen Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen ist, ist durch die Rechtsprechung des BSG noch nicht entschieden. Die Kammer geht aber jedenfalls davon aus, dass Kosten für Unterkunft und Heizung in einem Umfang gewährt werden müssen, der eine Wahrnehmung des Umgangsrechts nicht vereiteln darf (vgl. etwa Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17 Juli 2008, L 20 B 225/07 AS ER).
Ob und inwieweit die angemessene Wohngröße für eine temporäre Bedarfsgemeinschaft aus zwei Personen rechnerisch danach ermittelt werden kann und muss, wie häufig sich das Kind in der Wohnung aufhält, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn im konkreten Einzelfall hält die Kammer die neue Wohnung bereits aus folgenden Erwägungen für angemessen: Die Antragsgegnerin hält in ständiger Praxis einen Quadratmeterpreis von 5,24 Euro bei Wohnungen bis 50 qm (für Ein-Personen-Haushalte) und eine Wohnfläche für Alleinstehende von 47 qm für angemessen. Für den Antragsteller allein müsste daher schon nach den Angemessenheitskriterien der Antragsgegnerin aufgrund der Produkttheorie eine Kaltmiete von 246,28 Euro als angemessen angesehen werden. Die monatliche Kaltmiete der neuen Wohnung beträgt 259,89 Euro und damit nur 13,61 Euro mehr als – schon nach der Auffassung der Antragsgegnerin – für eine Person angemessen. Diese Differenz entspricht, bei umgekehrter Anwendung der Produkttheorie, einer zusätzlichen Fläche von rund 2,6 qm (13,61 Euro: 5,24 Euro/qm = 2,597 qm). Der Antragsteller begehrt also die Zusicherung für die Aufwendungen einer Wohnung, die rechnerisch einer Wohnung von 47 qm plus 2,6 qm entspricht. Bei Würdigung der Rechtssprechung zur temporären Bedarfsgemeinschaft und insbesondere der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz hält die Kammer einen "Zuschlag" in dieser Größenordnung zum Bedarf des Antragstellers als permanentes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft für offensichtlich angemessen. Dass der Antragsteller in der Folge eine Wohnung mit einer Größe von 64,17 qm anmieten kann, ergibt sich aus konsequenter Anwendung der Produkttheorie und ist für die Entscheidung ohne Belang, weil angemessen (lediglich) die Aufwendungen sein müssen.
Darüber hinaus ergibt sich der Anordnungsanspruch des Antragstellers auch daraus, dass die Kammer in der Hauptsache voraussichtlich auch für ihn allein und ohne Berücksichtigung der Besuche der Tochter die Aufwendungen der neuen Unterkunft als angemessen ansehen wird. Denn wenn für einen Alleinstehenden 50 qm als angemessene Wohnfläche gelten, liegt der Kaltmietpreis der neuen Wohnung unter dem angemessenen Produkt in Höhe von 262,00 Euro.
Es ist noch nicht abschließend geklärt, welche Wohnfläche seit dem 01.01.2010 als angemessen anzusehen ist. Offen ist, ob nach den Neuregelungen der landesrechtlichen Bestimmungen zur Wohnraumgröße im sozialen Mietwohnungsbau mit Wirkung zum 01 Jan 2010 bei einer Person nach wie vor von 45 Quadratmetern (so Ziff. 5.7 des Runderlasses des Ministeriums für Städtebau und Wohnen "Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsgesetz vom 08 März 2002, in der geänderten Fassung vom 21.09.2006), von 47 Quadratmetern (Anlage 1, Ziff. 1.4.1 der Wohnraumförderbestimmungen, Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 26.01.2006, in der geänderten Fassung vom 28.01.2010) oder von 50 Quadratmetern (Nr. 8.2 der Wohraumnutzungsbestimmungen, Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12 Dez 2009) als angemessene Wohnraumgröße auszugehen ist.
Es spricht jedoch viel dafür, von einer Fläche von 50 qm als angemessen für eine Person auszugehen, weil dies den derzeit geltenden landesrechtlichen Bestimmungen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus entspricht. Eine Bezugnahme auf die Wohnraumförderbestimmungen wird nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17 Dez 2009 (Az. B 4 AS 27/09 R) nicht in Betracht kommen, weil in dieser Regelung die Größe der Wohnung lediglich mit der Zahl der Zimmer und nicht mit der Zahl der Personen verknüpft wird (vgl. ausführlich Urteil des LSG NRW vom 29 April 2010, L 9 AS 58/08). Nach der Rechtsprechung des BSG war es vielmehr – zumindest für Zeiträume bis zum 31.12.2009 – zutreffend, auf die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen zu § 27 Abs. 4 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) zum Wohnberechtigungsschein und konkret auf Ziff. 5.7 der entsprechenden Verwaltungsvorschrift abzustellen, die für Alleinstehende eine Wohnfläche von 45 qm als in der Regel angemessen vorsah (BSG vom 17 dez 2009, Az. B 4 AS 27/09 R). Das Wohnraumförderungsgesetz wurde zum 01 Januar 2010 durch das Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG NRW) ersetzt. Die dem § 27 WoFG entsprechende Regelung in § 18 WFNG NW wird nunmehr durch Nr. 8.2 Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) konkretisiert. Angemessen ist danach in der Regel eine Wohnungsgröße für Alleinstehende von 50 qm. Zwar ist weder dem SGB II noch dem Regelungswillen des Gesetzgebers zu entnehmen, dass eine dynamische Verweisung auf das Wohnbauförderungsrecht zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten beabsichtigt war (vgl. LSG NRW vom 29 April 2010, L 9 AS 58/08). Die Methode, zur Bestimmung der angemessenen Wohnfläche auf die landesrechtlichen Bestimmungen zur Wohnbauförderung abzustellen, ist jedoch von der Rechtsprechung in Ermangelung einer bundeseinheitlichen Regelung aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität entwickelt worden. Nach der Rechtsprechung des BSG verbietet sich ein Vorgehen, bei dem nicht aktuell festgesetzte Werte zugrunde gelegt werden, sondern stattdessen auf diejenigen Verwaltungsvorschriften abgestellt wird, die im Zeitraum vor dem Inkrafttreten des SGB II zur Anwendung gekommen waren (BSG vom 22.09.2009, Az. B 4 AS 70/08 R, zum Land Sachsen). Diese Maßstäbe angelegt, muss auch nach den Neuregelungen in NRW ab dem 01 Jan 2010 auf die aktuellen Bestimmungen, namentlich auf 50 qm als angemessen für eine Person, abzustellen sein, weil die bis dahin geltenden noch aus dem Jahr 2002 stammten.
Weil nach der gebotenen Prüfungsdichte eine Hauptsacheklage voraussichtlich Erfolg haben wird, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund.
Ein Anordnungsgrund ist bereits darin zu sehen, dass dem Antragsteller auf keine andere Weise effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann als durch Erlass der entsprechenden Anordnung. Zwar ist die Zusicherung nicht Voraussetzung für die Übernahme der tatsächlichen Kosten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II nach einem Umzug. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 SGB II besteht jedoch ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft. Dieser besteht aber nur bezogen auf ein konkretes Wohnungsangebot, so dass – weil kaum ein Wohnungsangebot für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens aufrechterhalten bleibt – der Anspruch in der Praxis nur im Eilverfahren durchgesetzt werden kann. Dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes widerspricht es also, den Hilfebedürftigen statt des gesetzlich normierten Anspruchs auf Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II auf den Anspruch auf Übernahme der angemessenen Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II zu verweisen. Zudem hat er ein berechtigtes Interesse an der vorherigen verbindlichen Feststellung durch die Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II, dass die Kosten der neuen Unterkunft übernommen werden, damit nicht er selbst das Risiko eines Umzuges ohne Zusicherung trägt. Die Entscheidung war schließlich auch deshalb eilbedürftig, weil die Wohnung ab dem 01.01.2011 gemietet werden kann und nur bis zum 31.12.2010 reserviert wird.
Die Eilbedürftigkeit zum Erlass der einstweiligen Anordnung begründet das Sozialgericht damit, dass die Zusicherung der Kostenübernahme auf ein konkretes Wohnungsangebot begrenzt sei und dieses nicht für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens aufrecht erhalten werde. Die streitgegenständliche größere Wohnung sei nur bis zum 31 Dezember 2010 reserviert und könne ab dem ersten Januar 2011 gemietet werden. Sozialgericht Dortmund, Az.: S 22 AS 5857/10 ER.
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