Berufskrankheiten sind definiert als Leiden, die durch die Ausรผbung einer beruflichen Tรคtigkeit entstehen. Bekannt sind zum Beispiel Lungenschรคden durch den stรคndigen Kontakt mit Asphalt.
Die Diagnose einer Berufskrankheit fรผhrt zu besonderen Ansprรผchen bei einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente, und auch bei Leistungen von Berufsgenossenschaften.
Inhaltsverzeichnis
Vergiftungen und mechanische Einwirkungen
Seit 2021 sind 82 Krankheiten in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) gelistet. Diese reichen von Erkrankungen durch Metalle wie Blei und Quecksilber รผber Krankheiten durch Erstickungsgase wie Kohlenmonoxid oder Schwefelwasserstoff bis zu Leiden, die durch mechanische Einwirkungen verursacht wurden.
Letztere wรคren zum Beispiel Meniskusschรคden nach jahrelangen andauernden oder hรคufig wiederkehrenden Tรคtigkeiten, die die Kniegelenke รผberdurchschnittlich belasteten.
Die โWie-Berufskrankheitenโ
Erkrankungen, die nicht aufgelistet sind, kรถnnen in Einzelfรคllen eine Erkrankung โwie eine Berufskrankheitโ nach sich ziehen und rechtlich ebenso bewertet werden.
Dies ist fรผr Betroffene sehr wichtig, wenn es um das Auszahlen von Renten geht โ sowohl bei Betriebsrenten wie bei der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente.
Berufskrankheit und Erwerbsminderungsrente
Bei einer Erwerbsminderungsrente kann die Anerkennung einer Berufskrankheit darรผber entscheiden, ob รผberhaupt ein Anspruch besteht. Normalerweise mรผssen Versicherte nรคmlich mindestens fรผnf Jahre Wartezeit bei der gesetzlichen Rentenkasse angerechnet bekommen, und davon mรผssen sie zumindest 36 Monate durchgehend in der Pflichtversicherung gewesen sein.
Bei einer Berufskrankheit entfรคllt diese Frist jedoch. Es reicht in solchen Fรคllen aus, dass Betroffene, die wegen einer Berufskrankheit erwerbsgemindert werden, รผberhaupt in die Rentenversicherung einzahlten.
Kรถnnen psychische Erkrankungen Berufskrankheiten sein?
Das Bundessozialgericht in Kassel entschied im Juni 2023: Eine posttraumatische Belastungsstรถrung kann bei Rettungssanitรคtern als Berufskrankheit anerkannt werden. (B 2 U 11/20 R).
Dieses Urteil ist wegweisend. Denn zum ersten Mal entschied hier ein deutsches Gericht, dass eine psychische Erkrankung als Berufskrankheit bewertet wird. Wer aufgrund seiner beruflichen Tรคtigkeit psychisch erkrankt und erwerbsgemindert ist, kรถnnte gegenรผber der gesetzlichen Rentenversicherung auf dieses Urteil verweisen.
Allerdings bezieht sich das Bundessozialgericht lediglich auf die posttraumatische Belastungsstรถrung und nur auf die Berufsgruppe der Rettungssanitรคter, nicht generell auf psychische Erkrankungen, die โtypischโ fรผr bestimmte Tรคtigkeiten sind.
Handelt es sich um eine Berufskrankheit?
Im ersten Weltkrieg wurden fรผr PTBS Begriffe benutzt wie Granatenschock, Granatenfieber oder Kriegsneurose. Die Briten bezeichneten das Phรคnomen als Breaking Point bei Soldaten. รrzte wussten also bereits 1918, dass es sich um eine Erkrankung handelte, die Soldaten wegen Kriegserfahrungen erleiden.
Also sollte die Frage eigentlich lรคngst geklรคrt sein: Wenn Soldaten im Krieg, Rettungssanitรคter, รrzte oder Katastrophenhelfer eine posttraumatische Belastungsstรถrung nach Traumata entwickeln, denen sie wegen ihrer beruflichen Tรคtigkeit ausgesetzt waren, dann entspricht das exakt einer Berufskrankheit.
Als solche ist PTBS aber nicht gelistet, und das gilt auch fรผr andere psychische Erkrankungen.
PTBS vor dem Bundessozialgericht
Der Sozialverband VdK kรคmpft juristisch dafรผr, dass ein Leichenumbetter, der an einer posttraumatischen Belastungsstรถrung leidet, diese von seiner Berufsgenossenschaft als Berufskrankheit anerkennt bekommt. Jetzt hat, laut Information von Jรถrg Ciszewski, der Betroffene eine รberprรผfung im Rahmen einer Revision beim Bundessozialgericht erreicht.
Erwerbsunfรคhig wegen PTBS
Der Mann arbeitete fรผr eine groรe Organisation als Leichenumbetter, von 1993 bis 2005. Dabei bettete er die Gebeine von Weltkriegstoten ebenso um wie die Leichen von Opfern der Jugoslawienkriege, mit Schaufel und Bagger, bestimmte Alter, Geschlecht, notierte Kรถrperbau, Grรถรe und beiliegende Gegenstรคnde.
2005 erkrankte er an einer PTBS und wurde erwerbsunfรคhig. Er bezieht eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente seit 2011.
Gesundheitliche Stรถrung mit lebenslanger Behinderung
Fรผr diese hatte er die vorgeschriebene Wartezeit erfรผllt und nicht die Sonderregelung fรผr Berufskrankheiten in Anspruch genommen. 2017 wandte er sich an seine Berufsgenossenschaft und beanspruchte eine zusรคtzliche Rente durch die Genossenschaft, weil es durch seine Tรคtigkeit zu einer gesundheitlichen Stรถrung mit lebenslanger Behinderung gekommen sei.
Seine Berufsgenossenschaft lehnte es jedoch ab, seine PTBS als Berufskrankheit anzuerkennen, da psychische Krankheiten nicht als solche gelistet sind. Auch eine โWie-Krankheitโ erkannte die Genossenschaft nicht an.
Der Traumatisierte klagte vor dem Sozialgericht. Dieses lehnte die Klage ebenso ab wie das Landessozialgericht. Beide Gerichte konnten keinen gesicherten Zusammenhang zwischen seiner Tรคtigkeit als Umbetter und der Erkrankung an einer PTBS erkennen. Immerhin wird das Urteil der Vorinstanz jetzt im Rahmen der Revision durch das Bundessozialgericht geprรผft.
PTBS als “Wie-Berufskrankheit”
Die Rechstabteilung des VdK bezieht sich in der eingereichten Revision jetzt auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom Juni 2023, nach dem bei der Berufsgruppe der Rettungssanitรคter PTBS als โWie-Berufskrankheitโ anerkannt werden kann.
Dies entschied das Bundessozialgericht mit der Begrรผndung, dass Rettungssanitรคter einem erhรถhten Risiko ausgesetzt seien, an einer PTBS zu erkranken. Laut dem VdK lรคsst sich das auch fรผr den Fall dieses Leichenumbetters ableiten.
Eine stรคndige Konfrontation mit dem Tod, grausame Auffindesituationen an Kriegsschauplรคtzen und in Massengrรคbern fรผhre zu wiederholten extrem psychisch traumatisierenden Belastungen.
Ausweitung auf weitere Berufsgruppen
Die Rechtsabteilung des VdK verfolgt mit dem Verfahren nicht nur das Ziel, dass dem Betroffenen seine PTBS als โWie Berufskrankheitโ anerkannt wird.
Sie mรถchte mit diesem Verfahren auch generell die โwegweisende Rechtsprechung (Anerkennung der Berufskrankheit fรผr Rettungssanitรคter) auch fรผr andere Berufungsgruppen geรถffnet werden, die hohen psychischen Arbeitsbelastungen ausgesetzt sind.โ
Mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts wird 2025 gerechnet.