Ein Paukenschlag aus Köln hat das Fundament der deutschen Bonitätsauskunft erschüttert. Am 10. April 2025 entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln, dass die Schufa beglichene Forderungen unverzüglich aus ihren Datenbeständen entfernen muss.
Das Gericht sprach dem Kläger zugleich 500 Euro Schadensersatz wegen unrechtmäßiger fortdauernder Speicherung zu. Die bis dahin gängige Praxis, erledigte „Zahlungsstörungen“ pauschal drei Jahre vorzuhalten, verstoße gegen die Datenschutz‑Grundverordnung.
Die Richterinnen und Richter sahen nach Ausgleich der Schuld kein „überwiegendes berechtigtes Interesse“ der Schufa mehr an einer weiteren Verarbeitung der Information.
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Dominoeffekt in der Instanzrechtsprechung
Kaum war das Kölner Urteil öffentlich, folgte das Landgericht (LG) Aachen. Mit Entscheidung vom 17. April 2025 (Az. 8 O 224/24) stellte es klar, dass auch auf Ebene der Tatsacheninstanz jede weitere Speicherung beglichener Forderungen unzulässig sei. Das Gericht knüpfte ausdrücklich an die Argumentation des OLG an und bejahte ebenfalls einen Schadensersatzanspruch.
Nur wenige Tage zuvor hatte das LG Bamberg am 26. März 2025 (Az. 41 O 749/24 KOIN) die automatisierte Score‑Berechnung der Schufa als solche ins Visier genommen.
Die vollständige Bewertung ohne jede menschliche Kontrolle sei eine unzulässige automatisierte Entscheidung im Sinne der DSGVO. Der Kläger erhielt 1 000 Euro. Damit wurde erstmals nicht nur die Dauer der Datenspeicherung, sondern die Score‑Methodik selbst für rechtswidrig erklärt.
Revision und Gegenoffensive der Schufa
Die Reaktion der Auskunftei ließ nicht lange auf sich warten. In einer Pressemitteilung kündigte die Schufa an, gegen das OLG‑Urteil Revision zum Bundesgerichtshof einzulegen. Man berufe sich auf rund 180 frühere Entscheidungen, die eine dreijährige Aufbewahrungsfrist bestätigt hätten, und warne vor steigenden Kreditzinsen, sollte die Löschungspflicht Bestand haben. Rechtlich bleibt die Kölner Entscheidung damit vorerst nicht rechtskräftig; das letzte Wort hat Karlsruhe.
Der heimliche Vergleichsversuch – ein juristischer Eklat
Parallel zum Gang nach Karlsruhe versuchte die Schufa nach übereinstimmenden Berichten, das Kölner Verfahren auf anderem Weg aus der Welt zu schaffen.
Eine Syndikus‑Anwältin des Unternehmens soll den Kläger Ende März telefonisch kontaktiert und ihm 10 000 Euro für eine sofortige Klagerücknahme angeboten haben – versehen mit weitreichenden Verschwiegenheitsklauseln und der ausdrücklichen Anweisung, weder den eigenen Rechtsanwalt noch die Rechtsschutzversicherung einzuschalten.
Das ist brisant, weil § 12 Satz 1 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) ein strenges Umgehungsverbot statuiert: Ein Anwalt darf die gegnerische Partei nicht direkt ansprechen, wenn diese anwaltlich vertreten ist.
Der Kläger lehnte ab; das OLG sprach das Urteil. Aus Sicht der Vertreter des Klägers erfüllt das Verhalten der Schufa‑Juristin nicht nur einen Berufsrechtsverstoß, sondern könnte auch zivil‑ oder strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Eine Strafanzeige gegen die Beteiligten wurde erstattet, wie die Kanzlei bestätigte.
Offene Fragen zum Datenschutz
Für zusätzlichen Zündstoff sorgt die ungeklärte Herkunft der Handynummer, über die der Kläger kontaktiert wurde. Nach eigenen Angaben hat er diese nie an die Schufa übermittelt.
Sollten die Daten tatsächlich aus internen Beständen oder aus der Meldung eines Vertragspartners stammen, stünde der Vorwurf einer missbräuchlichen Zweckänderung oder unerlaubten Weiterverarbeitung im Raum. Eine Beschwerde bei der zuständigen Datenschutz‑Aufsichtsbehörde ist bereits anhängig. Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Was Betroffene jetzt tun können
Trotz der ausstehenden BGH‑Entscheidung haben die Urteile der zweiten und ersten Instanz faktische Wirkung: Sie erleichtern die Geltendmachung von Lösch‑ und Ersatzansprüchen deutlich. Verbraucherinnen und Verbraucher können schriftlich Auskunft nach Art. 15 DSGVO verlangen, um ihre gespeicherten Einträge zu prüfen. Sind Forderungen erledigt, sollte eine fristgebundene Aufforderung zur sofortigen Löschung gestellt werden.
Verstreicht die Frist oder lehnt die Schufa ab, ist der Weg zu Gericht oder die Beauftragung einer spezialisierten Kanzlei eine realistische Option – zumal angesichts des zugesprochenen Schadensersatzes die Prozesskosten überschaubar bleiben können.
Weitreichende Folgen für das Scoring‑Modell
Das Bamberger Verbot des rein automatisierten Scorings trifft den Kern des Geschäftsmodells. Sollte der BGH die Linie bestätigen, müsste die Schufa künftig entweder jeden Score‑Fall individuell prüfen oder einen völlig neuen Bewertungsmechanismus entwickeln.
In der Praxis könnte das zu einer – zunächst – geringeren Verfügbarkeit von Echtzeit‑Bonitätsauskünften führen. Für Betroffene würde zugleich ein transparentes Verfahren mit klaren Auskunfts‑ und Widerspruchsrechten Einzug halten.
Ein Ausblick auf Karlsruhe
Der Bundesgerichtshof wird entscheiden müssen, ob die in Köln als überholt befundene Drei‑Jahres‑Frist noch mit dem datenschutzrechtlichen Grundsatz der Datenminimierung vereinbar ist.
Dr. Utz Anhalt von der Redaktion “Gegen-Hartz.de” erwartet “eine Grundsatzentscheidung mit Signalwirkung für Auskunfteien europaweit. Sollte der BGH dem OLG folgen, wäre die sofortige Löschung beglichener Schulden künftig verbindlicher Standard. Andernfalls stünde der Weg zum Europäischen Gerichtshof offen, der bereits 2023 automatisierte Bonitätsentscheidungen kritisch bewertet hat.”
Fazit
Die Reihe aktueller Urteile markiert einen tiefen Einschnitt in der deutschen Bonitätspraxis. Sie stärkt erheblich die Rechte derjenigen, die ihre Verbindlichkeiten erfüllt haben, und setzt der intransparenten Datenverwertung klare Grenzen.
Gleichzeitig offenbaren die Versuche der Schufa, ein wegweisendes Urteil mit eigenmächtigen Vergleichen zu verhindern, ein drängendes Problem anwaltlicher Compliance in Unternehmen.
Bis Karlsruhe gesprochen hat, lohnt es sich für Betroffene mehr denn je, ihre Auskünfte zu prüfen und ihre Ansprüche konsequent durchzusetzen.