Der 5. Senat des Landessozialgerichts Sachsen gibt mit einem wegweisendem Urteil bekannt, dass auch bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Partner für die falschen Angaben seines Partners haftet – hier Verschweigen von Erwerbseinkommen des Partners, welcher selbst nicht hilfebedürftig nach dem SGB 2 war. Eine Zurechnung des Verschuldens kommt allein aufgrund einer Duldungsvollmacht in Betracht (vgl. BSG, Urt. v. 08.12.2020 – B 4 AS 46/20 R -).
Inhaltsverzeichnis
Verschwiegenes Einkommen führt zur Erstattung von 4300 € an das Jobcenter
Wer es duldet, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, muss sich nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht dessen Verhalten zurechnen lassen, selbst wenn er keinen Bevollmächtigungswillen gehabt hätte.
Rechtsgrundlage ist hier – allein § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X
Der Senat ist hier zu der Überzeugung gelangt, dass die Zeugin die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Bewilligung grob fahrlässig nicht erkannt hatte.
Die Würdigung stützt sich auf folgende, ineinandergreifende Feststellungen: Zitat
“1. Die Aussage der Zeugin erweist sich als widersprüchlich und interessengeleitet. Sie behauptete, sämtliche Lohn- und Kontoauszüge stets selbst bei beim Beklagten eingereicht und den Kläger nie in die Mitwirkung eingebunden zu haben. Tatsächlich wurden die Verdienstbescheinigungen des Klägers für den streitigen Zeitraum erstmals mit dem Weiterbewilligungsantrag vom 16. April 2018 vorgelegt.
2. Weiterhin zeigte die Zeugin Erinnerungslücken dort, wo ein Vergessen lebensfremd erscheint. Sie vermochte weder anzugeben, weshalb sie ihre eigene Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg zurückgenommen hatte, noch wieso sie den deutlichen Anstieg der bewilligten Leistungen gegenüber früher nicht bemerkte – obwohl es um eine Rückforderung von über 4.000 € ging und die Ereignisse erst wenige Jahre zurücklagen.
3. Demgegenüber bekundete sie detailliertes Wissen, sobald es ihr vorteilhaft erschien. So erinnerte sie sich zwar an die Leistungsablehnung für Juni/Juli 2017 wegen Lohneinkommens, verneinte aber jede Kenntnis vom Zusammenhang zwischen Einkommen und Leistungsanspruch. Dies ist nicht plausibel und spricht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Einlassungen.
Das Gericht betont und stellt fest, dass die Zeugin den Berechnungsfehler des Jobcenters monatelang verschwiegen hat
Die Zeugin unternahm Monate nichts, um dem Jobcenter auf den offensichtlichen Berechnungsfehler hinzuweisen. Ein derartiges Ignorieren klarer Indizien übersteigt einfache Fahrlässigkeit deutlich.
Sie hätte den Widerspruch zwischen Einkommen, Ablehnungs- und Bewilligungsbescheid sowie den sprunghaft gestiegenen Zahlungen ohne Weiteres realisieren und den Leistungsträger informieren müssen. Das Gericht bewertet dieses Verhalten mithin als grob fahrlässig im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X.
Diese grob fahrlässige Unkenntnis muss sich der Kläger (Partner ) im Rahmen der Vertretungsregeln zurechnen lassen (§ 13 Abs. 1 SGB X)
Denn er wusste und billigte, dass die Zeugin für ihn gegenüber dem Beklagten auftrat und die Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft verwaltete.
Eine Verschuldenszurechnung nach allgemeinen Regeln (§§ 166, 278 BGB ) unter volljährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft kommt in den Fällen einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht oder – was hier ausscheidet – einer gesetzlichen Vertretung in Betracht.
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Bescheid prüfenDie rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht kann ausdrücklich erteilt werden, aber auch konkludent in Form einer sog. Duldungsvollmacht.
Duldungs- und Anscheinsvollmacht des Vertreters der Bedarfsgemeinschaft beim Bürgergeld
Das setzt aber voraus, dass das vertretene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Kenntnis vom Verhalten des Vertreters hat und dies stillschweigend duldet. Denn wer es duldet, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, muss sich nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht dessen Verhalten zurechnen lassen, selbst wenn er keinen Bevollmächtigungswillen gehabt hatte.
Es besteht keine Veranlassung, denjenigen, der für sich durch einen Dritten handeln lässt, besser zu stellen als denjenigen, der selbst handelt (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 2020, B 4 AS 46/20 R – ).
Dieser Rechtsgedanke findet auch im Sozialrecht Anwendung
Abweichendes folgt auch nicht daraus, dass der Begriff der groben Fahrlässigkeit eine Wertung beinhaltet (vgl. § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X).
Die Einstandspflicht des Geschäftsherrn entsprechend dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB erstreckt sich auch im Zivilrecht auf die rechtserheblichen Versäumnisse seines Beauftragten in Fällen, in denen der positiven Kenntnis u.a. die grob fahrlässige Unkenntnis gleichsteht (sog. “Kennen müssen”).
Der Geschäftsherr soll auch in dieser Fallkonstellation keine (rechtlichen) Vorteile daraus ziehen, dass er einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat.
Diese Erwägung gilt gleichermaßen in Bezug auf die das Vertrauen schützende Regelung in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X. Auch insoweit besteht keine Veranlassung, denjenigen, der für sich durch einen Dritten handeln lässt, besser zu stellen als denjenigen, der selbst handelt.
Eine ausdrückliche Vollmachtserteilung des Klägers für die Zeugin, in seinem Namen Leistungen zu beantragen, liegt hier nicht vor. Eine Zurechnung des Verschuldens kommt allein aufgrund einer Duldungsvollmacht in Betracht.
Anmerkung vom Experten für Sozialrecht Detlef Brock
Sozialleistungsbetrug: Wer die Vollmacht nicht widerruft, haftet, so das Landessozialgericht Niedersachsen – Bremen Az. L 11 AS 330/22.
Zurechnung des Verschuldens eines Bevollmächtigten dem Vollmachtgeber bzgl. der nicht erfolgten Abmeldung der Familie aus dem Leistungsbezug.