Wohnungslose Bürgergeld-Bezieher im Obdachlosenheim haben keinen Anspruch auf die Kostenübernahme für die Einlagerung von Mobiliar durch das Jobcenter. Das urteilte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.
Eine in einem Obdachlosenwohnheim lebende Leistungsberechtigte hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Einlagerung von Möbeln und sonstigen Gegenständen als Kosten der Unterkunft bzw. als Sonderbedarf (Orientierungssatz Detlef Brock ). Urteil v. 06.05.2022 – L 34 AS 2279/18 –
Inhaltsverzeichnis
Begründung:
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
Der Begriff Unterkunft ist weiter als der Begriff „Wohnung. Er umfasst alle Einrichtungen oder Anlagen, die geeignet sind, Schutz vor der Witterung zu bieten und eine gewisse Privatsphäre – einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren – zu gewährleisten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 79/09 R – ).
Das BSG hat mit Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 1/08 R – wie folgt entschieden:
Auch die angemessenen Kosten einer Einlagerung können Teil der Unterkunftskosten sein, wenn es wegen der Größe der konkreten Unterkunft erforderlich ist, vorübergehend nicht benötigten, angemessenen Hausrat und persönliche Gegenstände anderweitig unterzubringen.
§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verlangt nicht, dass die Räumlichkeiten innerhalb eines Gebäudekomplexes lägen.
Dem Begriff der Unterkunft könnten auch Sachverhalte zugeordnet werden, bei denen die unterschiedlichen privaten Wohnzwecke in räumlich voneinander getrennten Gebäuden verwirklicht würden.
Dies gilt dann, wenn ein räumlicher Zusammenhang gewahrt bleibe, der eine Erreichbarkeit durch den Hilfebedürftigen gewährleiste. Auch der Zweck der Regelung stehe der Übernahme von Einlagerungskosten nicht grundsätzlich entgegen.
Die in § 22 SGB II geregelten Leistungen würden nicht lediglich das Bedürfnis nach Schutz vor der Witterung und Schlaf befriedigen.
Vielmehr müsse die Unterkunft auch sicherstellen, dass der Hilfebedürftige seine persönlichen Gegenstände verwahren könne.
Deshalb kommen Konstellationen in Betracht, in denen der angemietete Wohnraum derart klein sei, dass es nicht ausgeschlossen erscheine, dass für die Unterbringung von Gegenständen aus dem persönlichen Lebensbereich des Hilfebedürftigen (z. B. Kleidung, Haushaltsgegenstände usw.) in einem angemessenen Umfang zusätzliche Räumlichkeiten erforderlich seien.
Im Einzelnen setzt der Anspruch auf Leistungen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Deckung der Kosten für einen zusätzlichen Lagerraum nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16. Dezember 2008 (a. a. O.) voraus, dass
Zitat:
– die eingelagerten Gegenständen den persönlichen Grundbedürfnissen des Hilfebedürftigen oder dem Wohnen dienen (Rn. 17) sowie in einer nachvollziehbaren Relation zu dem Lebenszuschnitt des Hilfebedürftigen stehen (Rn. 21),
– es sich bei den eingelagerten Gegenständen nicht um Vermögensgüter handelt, die der Hilfebedürftige vor der Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung verwerten muss (Rn. 21),
– sich die Gesamtkosten der angemieteten Räumlichkeiten im Rahmen der nach Maßgabe des § 22 SGB II zu beachtenden Angemessenheitsgrenzen bewegen (Rn. 16, 21) und
– die (isolierte) Miete für den Lagerraum gemessen am Wert der eingelagerten Güter wirtschaftlich ist (Rn. 21).“
Dieser Rechtsauffassung des BSG schließt sich der 34. Senat des LSG BB an.
Daraus folgt, dass die begehrten Kosten nicht nach § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen waren.
Die von der Wohnheimbewohnerin eingelagerten Gegenstände dienten bzw. dienen zu einem großen Teil nicht persönlichen Grundbedürfnissen oder dem Wohnen.
Kosten für den Lagerraum waren nicht angemessen im Vergleich zum Einlagerungsgut
Denn bereits vor Beginn des streitigen Zeitraums hatte das Jobcenter Einlagerungskosten in Höhe von insgesamt mehr als 6.000,- € übernommen.
Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass das Einlagerungsgut einen Marktwert aufweisen könnte, der eine darüber hinausgehende kostenpflichtige Einlagerung rechtfertigen würde.
Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II – kein unabweisbarer laufender besonderer Bedarf
Die Einlagerungskosten sind auch nicht als Mehrbedarf zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen des insofern allein in Betracht kommenden § 21 Abs. 6 SGB II liegen nicht vor.
Denn einem Anspruch als Mehrbedarf steht entgegen, dass die Einlagerungskosten im streitigen Zeitraum nicht unabweisbar waren.
Im vorliegenden Fall waren die Kosten im Wesentlichen auf die Einlagerung von Gegenständen zurückzuführen, die das Ergebnis einer ausgesprochenen Sammlerleidenschaft bzw. unvernünftigen Vorratshaltung sind.
Es bestanden zumutbare Handlungsalternativen in Form der Entsorgung oder des Verkaufs der eingelagerten Gegenstände, durch die der Einlagerungsbedarf hätte vermieden werden können.
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Die Notwendigkeit, sich für eine dieser Lösungsmöglichkeiten entscheiden zu müssen, stelle demgemäß auch keinen grundrechtswidrigen Eingriff in die Menschenwürde dar, sondern sei – bedauerlicherweise – Teil der Lebenswirklichkeit, so das Gericht.
Solche Schicksale habe ich in Berlin nur zu oft gesehen, nicht immer konnte man helfen.
Nach meiner Meinung trifft es Obdachlose besonders hart, hier müsste der Gesetzgeber nach steuern.
Rechtstipp:
Ein Obdachloser kann auch keinen einen Härtefallmehrbedarf geltend machen für seine Aufwendungen für Körperpflege, Wäschepflege und Kleidung ( LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.09.2022 – L 9 AS 135/19 -).
Auch mal was Erfreuliches
LSG NRW, Beschluss v. 26.01.2017 – L 7 AS 2508/16 B ER – rechtskräftig –
Zur Übernahme von Kosten für die Überführung und Einlagerung von Hausrat nach der Zwangsräumung der Wohnung ( hier bejahend ).
Sei der finanzielle Aufwand für die Einlagerung des Hausrats prognostisch höher als der mit 1000 Euro zu veranschlagende Betrag einer Erstausstattung eines Alleinstehenden, scheide eine Kostenübernahme aus – so das Jobcenter,
Hierfür bietet das Gesetz aber “keine Grundlage”.
Soweit das BSG den Hinweis gegeben hat, die (isolierte) Miete für den zusätzlichen Lagerraum müsse gemessen am Wert der eingelagerten Güter wirtschaftlich sein (BSG Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 1/08 R), ist dies – abweichend von der Rechtsauffassung des Jobcenters – nicht dahingehend zu verstehen, dass ein Vergleich der Einlagerungskosten mit den Kosten für eine Erstausstattung vorzunehmen ist.
Hierfür bietet das Gesetz keine Grundlage.
Wissenswertes zu Einlagerungskosten
Das BSG hat ausdrücklich ausgeführt, dass zu berücksichtigen ist, dass den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach der Konzeption des Gesetzes ein vorübergehender Charakter zukommt, der es unwirtschaftlich erscheinen ließe, wenn die Hilfebedürftigen sich zum privaten Gebrauch bestimmter Gegenstände ohne nähere Prüfung allein mit Rücksicht auf eine sparsame Mittelverwendung entledigen müssten.
Unter Zugrundelegung der vom Antragsteller aufgestellten Wirtschaftlichkeitsgrundsätze wäre kaum eine kostenpflichtige Einlagerung denkbar, die nicht unwirtschaftlich wäre, was dazu führen würde, dass sich der Hilfebedürftige regelmäßig doch der zum privaten Gebrauch bestimmten Gegenstände entledigen müsste.
Einlagerungskosten übersteigen in der Regel schon nach wenigen Monaten den Verkehrswert gebrauchter Möbel und anderer privater Gegenstände.
Unter Beachtung des durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechts des Betroffenen, selbst zu entscheiden, welche Gegenstände er zur Deckung seiner persönlichen Grundbedürfnisse und seines Wohnbedarfs benötigt, ist eine Unwirtschaftlichkeit damit allenfalls dann anzunehmen, wenn der Wert der eingelagerten Gegenstände auch unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1 GG und des Umstands, dass es sich ersichtlich nur um einen vorübergehenden Zustand handeln soll, erkennbar außer Verhältnis zu den für seine Einlagerung aufzuwendenden Aufwendungen steht.
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.