Behörden müssen Bescheide erlassen, auch wenn sie sich nicht für zuständig halten

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Das Schweigen der Behörden verstößt gegen den Verfassungsgrundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz

Ein Zuständigkeitsstreit zwischen Leistungsträgern ermöglicht es den Behörden nicht, untätig zu bleiben. Die Auffassung, man könne Bescheide nicht erlassen, weil man unzuständig sei, verstößt sowohl gegen den Verfassungsgrundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz, als auch gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.

Denn vielmehr ist die angenommene Unzuständigkeit durch Bescheid auszusprechen, um dem Betroffenen die rechtsstaatliche Kontrolle zu ermöglichen.

Der Kläger/ Antragsteller bestimmt insoweit den Beginn eines Verwaltungsverfahrens, dass grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu enden hat ( SG Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 28.05.2025 – S 38 SO 10/25 – ).

Begründung des Gerichts

Der Kläger begehrt die Bescheidung seines Antrags auf Weiterbewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe und der Grundsicherung.

Die Behörde verteidigt sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit damit, “dass über den Antrag keine Entscheidung getroffen werden kann, da der Fachdienst Eingliederungs- und Gesundheitshilfe aufgrund der fehlenden örtlichen Zuständigkeit und der Sperrwirkung des § 14 SGB IX keine rechtmäßigen Bescheide erlassen kann”.

Dieser Auffassung ist das Gericht nicht gefolgt, denn sie ist rechtswidrig

Antrag löst ein Verwaltungsverfahren aus – § 18 SGB X

Ungeachtet der Verpflichtung der Sozialleistungsbehörden, bei offensichtlichem Hilfebedarf eines im Leistungsbezug stehenden Hilfebedürftigen von Amts wegen tätig werden zu müssen (zur Amtshaftung: Urteil des BGH vom 2. August 2018, III ZR 466/16), hat der Kläger durch seine Antragstellung ein Verwaltungsverfahren ausgelöst, sodass die adressierte Behörde tätig werden muss, § 18 Nummer 1 SGB X.

Die Behörde darf vorliegend darüber hinaus die Entgegennahme von Anträgen, die grundsätzlich in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache unzulässig oder unbegründet hält. Denn der Gesetzgeber hat alle denkbaren Fallkonstellationen geregelt, wie die adressierte Behörde mit dem Antrag umzugehen hat.

1. So hat er vorgegeben, dass eine Behörde, die der Auffassung ist, unzuständig zu sein, einen entsprechenden Bescheid zu erlassen hat, der das Verwaltungsverfahren beendet, §§ 8, 31 SGB X.

2. Daneben hat die Behörde bei angenommener Unzuständigkeit den Antrag an den nach ihrer Auffassung nach zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten, § 16 Abs. 2 SGB I bzw. im Falle der Eingliederungshilfe § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Der Gesetzgeber hat das Verwaltungsverfahren, dessen Beginn und das Ende normiert sowie im Sozialrecht insbesondere auch die Gewährung der sozialen Rechte durch die Pflicht zur Weiterleitung des Antrags sichergestellt.

Fazit:

Keinesfalls kann eine Behörde durch bloßes Nichtstun ihre Entscheidung der rechtsstaatlichen Kontrolle entziehen. Das Vorhandensein einer rechtsstaatlichen Kontrolle durch Widerspruchsbehörde und Gerichte ist grundlegender Ausdruck unserer Verfassung und Demokratie.

Weiterhin gilt, dass die Auffassung, man könne Bescheide nicht erlassen, weil man unzuständig sei, sowohl gegen den Verfassungsgrundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), als auch gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verstößt.

Im Falle der angenommenen Unzuständigkeit bleibt es der Behörde unbenommen, das Verwaltungsverfahren durch einen Verwaltungsakt, der die Unzuständigkeit ausspricht, zu beenden und dem Antragsteller die Möglichkeit der rechtsstaatlichen Kontrolle zu eröffnen.

Anmerkung Detlef Brock – Sozialrechtsexperte von Tacheles e. V.

Diese Entscheidung trifft den Nagel auf den Kopf.

Behörden wie Jobcenter, Sozialämter, Eingliederungshilfeträger und auch andere Behörden sind nach dem Gesetz verpflichtet, bei Zuständigkeitsstreit zwischen Leistungsträgern einen Bescheid zu erlassen.

Die Auffassung, man könne Bescheide nicht erlassen, weil man unzuständig sei, verstößt sowohl gegen den Verfassungsgrundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), als auch gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.

Denn im Falle der angenommenen Unzuständigkeit bleibt es der Behörde unbenommen, das Verwaltungsverfahren durch einen Verwaltungsakt, der die Unzuständigkeit ausspricht, zu beenden und dem Antragsteller die Möglichkeit der rechtsstaatlichen Kontrolle zu eröffnen.

Praxistipp zum Bürgergeld:

Die häufige Argumentation der Jobcenter, eine Bescheidung sei “obsolet”, wenn ein Antrag fehle, ist rechtswidrig ( beispielhaft LSG NRW Az. L 7 AS 384/16 B ).

Denn der Antrag iSd § 37 SGB II ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Zahlung von Leistungen, bei deren (vermeintlichem) Fehlen die Bewilligung abgelehnt werden muss, nicht aber eine Bescheidung verweigert werden darf.

Der Umstand, dass das Jobcenter rechtsirrig oft anderer Meinung sind und keinen Bescheid erlassen wollen, ist unbeachtlich, da die Auslegung nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts eines verständigen Beteiligten zu erfolgen hat.

Ob ein Antrag vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. An eine bestimmte Form ist ein Antrag nach § 37 SGB II nicht gebunden. Der Betroffene muss nur zum Ausdruck bringen, dass Leistungen vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende begehrt werden. Bringt der Antragsteller zum Ausdruck, dass er derartige Leistungen begehrt, so ist der Antrag so auszulegen, dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG, Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 10/09 R).

Aus dem speziellen Sozialrechtsverhältnis des SGB II kann sich die Pflicht des Grundsicherungsträgers ergeben, den Hilfebedürftigen vor dem Ablauf des letzten Bewilligungszeitraums über das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags zu beraten, zum Beispiel, wenn der Hilfebedürftige zwecks eines Umzugswunsches beim Jobcenter vorspricht und zu erkennen gibt, dass er auch später also nach dem Weiterbewilligungszeitraum Leistungen beziehen möchte.

In der Regel ist hier auch eine Begründung des Anspruchs nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfolgversprechend.